Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite
Nur zu!
Schön prangt im Silberthau die junge Rose,
Den ihr der Morgen in den Busen rollte,
Sie blüht, als ob sie nie verblühen wollte,
Sie ahnet nichts vom lezten Blumen-Loose.
Der Adler strebt hinan in's Grenzenlose,
Sein Auge trinkt sich voll von sprühndem Golde,
Er ist der Thor nicht, daß er fragen sollte,
Ob er das Haupt nicht an die Wölbung stoße.
Mag denn der Jugend Blume uns verbleichen,
Noch glänzet sie und reizt unwiderstehlich,
Wer will so holdem Trug zu bald entsagen?
Und Liebe, darf sie nicht dem Adler gleichen?
Doch fürchtet sie; auch fürchten ist ihr selig,
Denn all' ihr Glück, was ist's? ein endlos Wagen!

Nur zu!
Schoͤn prangt im Silberthau die junge Roſe,
Den ihr der Morgen in den Buſen rollte,
Sie bluͤht, als ob ſie nie verbluͤhen wollte,
Sie ahnet nichts vom lezten Blumen-Looſe.
Der Adler ſtrebt hinan in's Grenzenloſe,
Sein Auge trinkt ſich voll von ſpruͤhndem Golde,
Er iſt der Thor nicht, daß er fragen ſollte,
Ob er das Haupt nicht an die Woͤlbung ſtoße.
Mag denn der Jugend Blume uns verbleichen,
Noch glaͤnzet ſie und reizt unwiderſtehlich,
Wer will ſo holdem Trug zu bald entſagen?
Und Liebe, darf ſie nicht dem Adler gleichen?
Doch fuͤrchtet ſie; auch fuͤrchten iſt ihr ſelig,
Denn all' ihr Gluͤck, was iſt's? ein endlos Wagen!

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0170" n="154"/>
      </div>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b #g">Nur zu!</hi><lb/>
        </head>
        <lg type="poem">
          <lg n="1">
            <l>Scho&#x0364;n prangt im Silberthau die junge Ro&#x017F;e,</l><lb/>
            <l>Den ihr der Morgen in den Bu&#x017F;en rollte,</l><lb/>
            <l>Sie blu&#x0364;ht, als ob &#x017F;ie nie verblu&#x0364;hen wollte,</l><lb/>
            <l>Sie ahnet nichts vom lezten Blumen-Loo&#x017F;e.</l><lb/>
          </lg>
          <lg n="2">
            <l>Der Adler &#x017F;trebt hinan in's Grenzenlo&#x017F;e,</l><lb/>
            <l>Sein Auge trinkt &#x017F;ich voll von &#x017F;pru&#x0364;hndem Golde,</l><lb/>
            <l>Er i&#x017F;t der Thor nicht, daß er fragen &#x017F;ollte,</l><lb/>
            <l>Ob er das Haupt nicht an die Wo&#x0364;lbung &#x017F;toße.</l><lb/>
          </lg>
          <lg n="3">
            <l>Mag denn der Jugend Blume uns verbleichen,</l><lb/>
            <l>Noch gla&#x0364;nzet &#x017F;ie und reizt unwider&#x017F;tehlich,</l><lb/>
            <l>Wer will &#x017F;o holdem Trug zu bald ent&#x017F;agen?</l><lb/>
          </lg>
          <lg n="4">
            <l>Und Liebe, darf &#x017F;ie nicht dem Adler gleichen?</l><lb/>
            <l>Doch fu&#x0364;rchtet &#x017F;ie; auch fu&#x0364;rchten i&#x017F;t ihr &#x017F;elig,</l><lb/>
            <l>Denn all' ihr Glu&#x0364;ck, was i&#x017F;t's? ein endlos Wagen!</l><lb/>
          </lg>
        </lg>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[154/0170] Nur zu! Schoͤn prangt im Silberthau die junge Roſe, Den ihr der Morgen in den Buſen rollte, Sie bluͤht, als ob ſie nie verbluͤhen wollte, Sie ahnet nichts vom lezten Blumen-Looſe. Der Adler ſtrebt hinan in's Grenzenloſe, Sein Auge trinkt ſich voll von ſpruͤhndem Golde, Er iſt der Thor nicht, daß er fragen ſollte, Ob er das Haupt nicht an die Woͤlbung ſtoße. Mag denn der Jugend Blume uns verbleichen, Noch glaͤnzet ſie und reizt unwiderſtehlich, Wer will ſo holdem Trug zu bald entſagen? Und Liebe, darf ſie nicht dem Adler gleichen? Doch fuͤrchtet ſie; auch fuͤrchten iſt ihr ſelig, Denn all' ihr Gluͤck, was iſt's? ein endlos Wagen!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838/170
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838/170>, abgerufen am 03.12.2024.