Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838.Antike Poesie. Ich sah den Helicon in Wolkendunst, Nur kaum berührt vom ersten Sonnenstrahle; Schau! jetzo stehen hoch mit einem Male Die Gipfel dort in Morgenröthe-Brunst. Doch unten spricht von holder Musen Gunst Der heil'ge Quell im dunkelgrünen Thale: Wer aber schöpft mit reiner Opferschale, Wie einst, den ächten Thau der alten Kunst? Wie? soll ich endlich keinen Meister sehn? Will keiner mehr den alten Lorbeer pflücken? -- Da sah ich Iphigeniens Dichter stehn: Er ist's, an dessen Blick sich diese Höhn So zauberhaft, so sonnewarm erquicken. Er geht, und frostig rauhe Lüfte weh'n. Antike Poeſie. Ich ſah den Helicon in Wolkendunſt, Nur kaum beruͤhrt vom erſten Sonnenſtrahle; Schau! jetzo ſtehen hoch mit einem Male Die Gipfel dort in Morgenroͤthe-Brunſt. Doch unten ſpricht von holder Muſen Gunſt Der heil'ge Quell im dunkelgruͤnen Thale: Wer aber ſchoͤpft mit reiner Opferſchale, Wie einſt, den aͤchten Thau der alten Kunſt? Wie? ſoll ich endlich keinen Meiſter ſehn? Will keiner mehr den alten Lorbeer pfluͤcken? — Da ſah ich Iphigeniens Dichter ſtehn: Er iſt's, an deſſen Blick ſich dieſe Hoͤhn So zauberhaft, ſo ſonnewarm erquicken. Er geht, und froſtig rauhe Luͤfte weh'n. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb n="134" facs="#f0150"/> </div> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b #g">Antike Poeſie.</hi><lb/> </head> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l><hi rendition="#in">I</hi>ch ſah den Helicon in Wolkendunſt,</l><lb/> <l>Nur kaum beruͤhrt vom erſten Sonnenſtrahle;</l><lb/> <l>Schau! jetzo ſtehen hoch mit einem Male</l><lb/> <l>Die Gipfel dort in Morgenroͤthe-Brunſt.</l><lb/> </lg> <lg n="2"> <l>Doch unten ſpricht von holder Muſen Gunſt</l><lb/> <l>Der heil'ge Quell im dunkelgruͤnen Thale:</l><lb/> <l>Wer aber ſchoͤpft mit reiner Opferſchale,</l><lb/> <l>Wie einſt, den aͤchten Thau der alten Kunſt?</l><lb/> </lg> <lg n="3"> <l>Wie? ſoll ich endlich keinen Meiſter ſehn?</l><lb/> <l>Will keiner mehr den alten Lorbeer pfluͤcken?</l><lb/> <l>— Da ſah ich Iphigeniens Dichter ſtehn:</l><lb/> </lg> <lg n="4"> <l>Er iſt's, an deſſen Blick ſich dieſe Hoͤhn</l><lb/> <l>So zauberhaft, ſo ſonnewarm erquicken.</l><lb/> <l>Er geht, und froſtig rauhe Luͤfte weh'n.</l><lb/> </lg> </lg> <milestone unit="section" rendition="#hr"/> </div> </body> </text> </TEI> [134/0150]
Antike Poeſie.
Ich ſah den Helicon in Wolkendunſt,
Nur kaum beruͤhrt vom erſten Sonnenſtrahle;
Schau! jetzo ſtehen hoch mit einem Male
Die Gipfel dort in Morgenroͤthe-Brunſt.
Doch unten ſpricht von holder Muſen Gunſt
Der heil'ge Quell im dunkelgruͤnen Thale:
Wer aber ſchoͤpft mit reiner Opferſchale,
Wie einſt, den aͤchten Thau der alten Kunſt?
Wie? ſoll ich endlich keinen Meiſter ſehn?
Will keiner mehr den alten Lorbeer pfluͤcken?
— Da ſah ich Iphigeniens Dichter ſtehn:
Er iſt's, an deſſen Blick ſich dieſe Hoͤhn
So zauberhaft, ſo ſonnewarm erquicken.
Er geht, und froſtig rauhe Luͤfte weh'n.
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Zitationshilfe: | Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838/150>, abgerufen am 04.03.2025. |