Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite
Antike Poesie.
Ich sah den Helicon in Wolkendunst,
Nur kaum berührt vom ersten Sonnenstrahle;
Schau! jetzo stehen hoch mit einem Male
Die Gipfel dort in Morgenröthe-Brunst.
Doch unten spricht von holder Musen Gunst
Der heil'ge Quell im dunkelgrünen Thale:
Wer aber schöpft mit reiner Opferschale,
Wie einst, den ächten Thau der alten Kunst?
Wie? soll ich endlich keinen Meister sehn?
Will keiner mehr den alten Lorbeer pflücken?
-- Da sah ich Iphigeniens Dichter stehn:
Er ist's, an dessen Blick sich diese Höhn
So zauberhaft, so sonnewarm erquicken.
Er geht, und frostig rauhe Lüfte weh'n.

Antike Poeſie.
Ich ſah den Helicon in Wolkendunſt,
Nur kaum beruͤhrt vom erſten Sonnenſtrahle;
Schau! jetzo ſtehen hoch mit einem Male
Die Gipfel dort in Morgenroͤthe-Brunſt.
Doch unten ſpricht von holder Muſen Gunſt
Der heil'ge Quell im dunkelgruͤnen Thale:
Wer aber ſchoͤpft mit reiner Opferſchale,
Wie einſt, den aͤchten Thau der alten Kunſt?
Wie? ſoll ich endlich keinen Meiſter ſehn?
Will keiner mehr den alten Lorbeer pfluͤcken?
— Da ſah ich Iphigeniens Dichter ſtehn:
Er iſt's, an deſſen Blick ſich dieſe Hoͤhn
So zauberhaft, ſo ſonnewarm erquicken.
Er geht, und froſtig rauhe Luͤfte weh'n.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0150" n="134"/>
      </div>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b #g">Antike Poe&#x017F;ie.</hi><lb/>
        </head>
        <lg type="poem">
          <lg n="1">
            <l><hi rendition="#in">I</hi>ch &#x017F;ah den Helicon in Wolkendun&#x017F;t,</l><lb/>
            <l>Nur kaum beru&#x0364;hrt vom er&#x017F;ten Sonnen&#x017F;trahle;</l><lb/>
            <l>Schau! jetzo &#x017F;tehen hoch mit einem Male</l><lb/>
            <l>Die Gipfel dort in Morgenro&#x0364;the-Brun&#x017F;t.</l><lb/>
          </lg>
          <lg n="2">
            <l>Doch unten &#x017F;pricht von holder Mu&#x017F;en Gun&#x017F;t</l><lb/>
            <l>Der heil'ge Quell im dunkelgru&#x0364;nen Thale:</l><lb/>
            <l>Wer aber &#x017F;cho&#x0364;pft mit reiner Opfer&#x017F;chale,</l><lb/>
            <l>Wie ein&#x017F;t, den a&#x0364;chten Thau der alten Kun&#x017F;t?</l><lb/>
          </lg>
          <lg n="3">
            <l>Wie? &#x017F;oll ich endlich keinen Mei&#x017F;ter &#x017F;ehn?</l><lb/>
            <l>Will keiner mehr den alten Lorbeer pflu&#x0364;cken?</l><lb/>
            <l>&#x2014; Da &#x017F;ah ich Iphigeniens Dichter &#x017F;tehn:</l><lb/>
          </lg>
          <lg n="4">
            <l>Er i&#x017F;t's, an de&#x017F;&#x017F;en Blick &#x017F;ich die&#x017F;e Ho&#x0364;hn</l><lb/>
            <l>So zauberhaft, &#x017F;o &#x017F;onnewarm erquicken.</l><lb/>
            <l>Er geht, und fro&#x017F;tig rauhe Lu&#x0364;fte weh'n.</l><lb/>
          </lg>
        </lg>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[134/0150] Antike Poeſie. Ich ſah den Helicon in Wolkendunſt, Nur kaum beruͤhrt vom erſten Sonnenſtrahle; Schau! jetzo ſtehen hoch mit einem Male Die Gipfel dort in Morgenroͤthe-Brunſt. Doch unten ſpricht von holder Muſen Gunſt Der heil'ge Quell im dunkelgruͤnen Thale: Wer aber ſchoͤpft mit reiner Opferſchale, Wie einſt, den aͤchten Thau der alten Kunſt? Wie? ſoll ich endlich keinen Meiſter ſehn? Will keiner mehr den alten Lorbeer pfluͤcken? — Da ſah ich Iphigeniens Dichter ſtehn: Er iſt's, an deſſen Blick ſich dieſe Hoͤhn So zauberhaft, ſo ſonnewarm erquicken. Er geht, und froſtig rauhe Luͤfte weh'n.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838/150
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838/150>, abgerufen am 21.11.2024.