Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite
Johann Kepler.
Gestern, als ich vom nächtlichen Lager den Stern mir
in Osten

Lang' betrachtete, den dort mit dem röthlichen Licht,
Und des Mannes gedachte, der seine Bahnen zu messen,
Von dem Gotte gereizt, himmlischer Pflicht sich ergab,
Durch beharrlichen Fleiß der Armuth grimmigen Stachel
Zu versöhnen, umsonst, und zu verachten bemüht:
Mir entbrannte mein Herz von inniger Wehmuth; ach!
dacht' ich,

Wußten die Himmlischen dir, Meister, kein besseres
Loos?

Wie ein Dichter den Helden sich wählt, wie Homer von
Achilles

Göttlichem Adel gerührt, schön im Gesang ihn erhob.
Also wandtest du ganz die Kräfte nach jenem Gestirne,
Sein gewaltiger Gang war dir ein ewiges Lied.
Doch so bewegt sich kein Gott von seinem goldenen Sitze,
Holdem Gesange geneigt, den zu erretten, herab,
Dem die höhere Macht die dunkeln Tage bestimmt hat,
Und euch Sterne berührt nimmer ein Menschengeschick;
Ihr geht über dem Haupte des Weisen oder des Thoren
Euern seligen Weg ewig gelassen dahin!

Johann Kepler.
Geſtern, als ich vom naͤchtlichen Lager den Stern mir
in Oſten

Lang' betrachtete, den dort mit dem roͤthlichen Licht,
Und des Mannes gedachte, der ſeine Bahnen zu meſſen,
Von dem Gotte gereizt, himmliſcher Pflicht ſich ergab,
Durch beharrlichen Fleiß der Armuth grimmigen Stachel
Zu verſoͤhnen, umſonſt, und zu verachten bemuͤht:
Mir entbrannte mein Herz von inniger Wehmuth; ach!
dacht' ich,

Wußten die Himmliſchen dir, Meiſter, kein beſſeres
Loos?

Wie ein Dichter den Helden ſich waͤhlt, wie Homer von
Achilles

Goͤttlichem Adel geruͤhrt, ſchoͤn im Geſang ihn erhob.
Alſo wandteſt du ganz die Kraͤfte nach jenem Geſtirne,
Sein gewaltiger Gang war dir ein ewiges Lied.
Doch ſo bewegt ſich kein Gott von ſeinem goldenen Sitze,
Holdem Geſange geneigt, den zu erretten, herab,
Dem die hoͤhere Macht die dunkeln Tage beſtimmt hat,
Und euch Sterne beruͤhrt nimmer ein Menſchengeſchick;
Ihr geht uͤber dem Haupte des Weiſen oder des Thoren
Euern ſeligen Weg ewig gelaſſen dahin!

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0128" n="112"/>
      </div>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Johann Kepler.</hi><lb/>
        </head>
        <lg type="poem">
          <l>Ge&#x017F;tern, als ich vom na&#x0364;chtlichen Lager den Stern mir<lb/><hi rendition="#et">in O&#x017F;ten</hi></l><lb/>
          <l>Lang' betrachtete, den dort mit dem ro&#x0364;thlichen Licht,</l><lb/>
          <l>Und des Mannes gedachte, der &#x017F;eine Bahnen zu me&#x017F;&#x017F;en,</l><lb/>
          <l>Von dem Gotte gereizt, himmli&#x017F;cher Pflicht &#x017F;ich ergab,</l><lb/>
          <l>Durch beharrlichen Fleiß der Armuth grimmigen Stachel</l><lb/>
          <l>Zu ver&#x017F;o&#x0364;hnen, um&#x017F;on&#x017F;t, und zu verachten bemu&#x0364;ht:</l><lb/>
          <l>Mir entbrannte mein Herz von inniger Wehmuth; ach!<lb/><hi rendition="#et">dacht' ich,</hi></l><lb/>
          <l>Wußten die Himmli&#x017F;chen dir, Mei&#x017F;ter, kein be&#x017F;&#x017F;eres<lb/><hi rendition="#et">Loos?</hi></l><lb/>
          <l>Wie ein Dichter den Helden &#x017F;ich wa&#x0364;hlt, wie Homer von<lb/><hi rendition="#et">Achilles</hi></l><lb/>
          <l>Go&#x0364;ttlichem Adel geru&#x0364;hrt, &#x017F;cho&#x0364;n im Ge&#x017F;ang ihn erhob.</l><lb/>
          <l>Al&#x017F;o wandte&#x017F;t du ganz die Kra&#x0364;fte nach jenem Ge&#x017F;tirne,</l><lb/>
          <l>Sein gewaltiger Gang war dir ein ewiges Lied.</l><lb/>
          <l>Doch &#x017F;o bewegt &#x017F;ich kein Gott von &#x017F;einem goldenen Sitze,</l><lb/>
          <l>Holdem Ge&#x017F;ange geneigt, den zu erretten, herab,</l><lb/>
          <l>Dem die ho&#x0364;here Macht die dunkeln Tage be&#x017F;timmt hat,</l><lb/>
          <l>Und euch Sterne beru&#x0364;hrt nimmer ein Men&#x017F;chenge&#x017F;chick;</l><lb/>
          <l>Ihr geht u&#x0364;ber dem Haupte des Wei&#x017F;en oder des Thoren</l><lb/>
          <l>Euern &#x017F;eligen Weg ewig gela&#x017F;&#x017F;en dahin!</l><lb/>
        </lg>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[112/0128] Johann Kepler. Geſtern, als ich vom naͤchtlichen Lager den Stern mir in Oſten Lang' betrachtete, den dort mit dem roͤthlichen Licht, Und des Mannes gedachte, der ſeine Bahnen zu meſſen, Von dem Gotte gereizt, himmliſcher Pflicht ſich ergab, Durch beharrlichen Fleiß der Armuth grimmigen Stachel Zu verſoͤhnen, umſonſt, und zu verachten bemuͤht: Mir entbrannte mein Herz von inniger Wehmuth; ach! dacht' ich, Wußten die Himmliſchen dir, Meiſter, kein beſſeres Loos? Wie ein Dichter den Helden ſich waͤhlt, wie Homer von Achilles Goͤttlichem Adel geruͤhrt, ſchoͤn im Geſang ihn erhob. Alſo wandteſt du ganz die Kraͤfte nach jenem Geſtirne, Sein gewaltiger Gang war dir ein ewiges Lied. Doch ſo bewegt ſich kein Gott von ſeinem goldenen Sitze, Holdem Geſange geneigt, den zu erretten, herab, Dem die hoͤhere Macht die dunkeln Tage beſtimmt hat, Und euch Sterne beruͤhrt nimmer ein Menſchengeſchick; Ihr geht uͤber dem Haupte des Weiſen oder des Thoren Euern ſeligen Weg ewig gelaſſen dahin!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838/128
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838/128>, abgerufen am 21.11.2024.