Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite
Romanze vom wahnsinnigen Feuerreiter. *
Sehet ihr am Fensterlein
Dort die rothe Mütze wieder?
Muß nicht ganz geheuer seyn,
Denn er geht schon auf und nieder;
Und was für ein toll Gewühle
Plötzlich auf den Gassen schwillt!
Horch! das Jammerglöcklein grillt:
Hinter'm Berg, hinter'm Berg
Brennt's in einer Mühle!
Schaut! da sprengt er wüthend schier
Durch das Thor, der Feuerreiter,
Auf dem rippendürren Thier,
Als auf einer Feuerleiter!
* Ist aus dem Roman: "Maler Nolten." In einer alten Stadt,
so wird erzählt, habe im Giebeldache eines kleinen Hauses ein
junger fremder Mann gewohnt, von dessen Lebensweise Niemand
näher wußte, der sich Jahr aus, Jahr ein auch niemals habe
blicken lassen, außer -- nach dem Volksglauben -- regelmäßig
vor dem Ausbruch einer Feuersbrunst. Dann sah man ihn in
einer scharlachrothen, netzartigen Mütze unruhig am kleinen
Fenster auf und nieder gehen, zum sichern Vorzeichen des nahe
drohenden Unglücks. Mit dem ersten Feuerlärmen kam er auf
einem magern Klepper unten aus dem Stalle hervorgesprengt
und nahm pfeilschnell, unfehlbar seinen Lauf nach dem Orte des
Brandes.
Romanze vom wahnſinnigen Feuerreiter. *
Sehet ihr am Fenſterlein
Dort die rothe Muͤtze wieder?
Muß nicht ganz geheuer ſeyn,
Denn er geht ſchon auf und nieder;
Und was fuͤr ein toll Gewuͤhle
Ploͤtzlich auf den Gaſſen ſchwillt!
Horch! das Jammergloͤcklein grillt:
Hinter'm Berg, hinter'm Berg
Brennt's in einer Muͤhle!
Schaut! da ſprengt er wuͤthend ſchier
Durch das Thor, der Feuerreiter,
Auf dem rippenduͤrren Thier,
Als auf einer Feuerleiter!
* Iſt aus dem Roman: „Maler Nolten.“ In einer alten Stadt,
ſo wird erzaͤhlt, habe im Giebeldache eines kleinen Hauſes ein
junger fremder Mann gewohnt, von deſſen Lebensweiſe Niemand
naͤher wußte, der ſich Jahr aus, Jahr ein auch niemals habe
blicken laſſen, außer — nach dem Volksglauben — regelmaͤßig
vor dem Ausbruch einer Feuersbrunſt. Dann ſah man ihn in
einer ſcharlachrothen, netzartigen Muͤtze unruhig am kleinen
Fenſter auf und nieder gehen, zum ſichern Vorzeichen des nahe
drohenden Ungluͤcks. Mit dem erſten Feuerlaͤrmen kam er auf
einem magern Klepper unten aus dem Stalle hervorgeſprengt
und nahm pfeilſchnell, unfehlbar ſeinen Lauf nach dem Orte des
Brandes.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0101" n="85"/>
      </div>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Romanze vom wahn&#x017F;innigen Feuerreiter.</hi> <note place="foot" n="*">I&#x017F;t aus dem Roman: &#x201E;Maler Nolten.&#x201C; In einer alten Stadt,<lb/>
&#x017F;o wird erza&#x0364;hlt, habe im Giebeldache eines kleinen Hau&#x017F;es ein<lb/>
junger fremder Mann gewohnt, von de&#x017F;&#x017F;en Lebenswei&#x017F;e Niemand<lb/>
na&#x0364;her wußte, der &#x017F;ich Jahr aus, Jahr ein auch niemals habe<lb/>
blicken la&#x017F;&#x017F;en, außer &#x2014; nach dem Volksglauben &#x2014; regelma&#x0364;ßig<lb/>
vor dem Ausbruch einer Feuersbrun&#x017F;t. Dann &#x017F;ah man ihn in<lb/>
einer &#x017F;charlachrothen, netzartigen Mu&#x0364;tze unruhig am kleinen<lb/>
Fen&#x017F;ter auf und nieder gehen, zum &#x017F;ichern Vorzeichen des nahe<lb/>
drohenden Unglu&#x0364;cks. Mit dem er&#x017F;ten Feuerla&#x0364;rmen kam er auf<lb/>
einem magern Klepper unten aus dem Stalle hervorge&#x017F;prengt<lb/>
und nahm pfeil&#x017F;chnell, unfehlbar &#x017F;einen Lauf nach dem Orte des<lb/>
Brandes.<lb/><lb/>
</note><lb/>
        </head>
        <lg type="poem">
          <lg n="1">
            <l>Sehet ihr am Fen&#x017F;terlein</l><lb/>
            <l>Dort die rothe Mu&#x0364;tze wieder?</l><lb/>
            <l>Muß nicht ganz geheuer &#x017F;eyn,</l><lb/>
            <l>Denn er geht &#x017F;chon auf und nieder;</l><lb/>
            <l>Und was fu&#x0364;r ein toll Gewu&#x0364;hle</l><lb/>
            <l>Plo&#x0364;tzlich auf den Ga&#x017F;&#x017F;en &#x017F;chwillt!</l><lb/>
            <l>Horch! das Jammerglo&#x0364;cklein grillt:</l><lb/>
            <l>Hinter'm Berg, hinter'm Berg</l><lb/>
            <l>Brennt's in einer Mu&#x0364;hle!</l><lb/>
          </lg>
          <lg n="2">
            <l>Schaut! da &#x017F;prengt er wu&#x0364;thend &#x017F;chier</l><lb/>
            <l>Durch das Thor, der Feuerreiter,</l><lb/>
            <l>Auf dem rippendu&#x0364;rren Thier,</l><lb/>
            <l>Als auf einer Feuerleiter!</l><lb/>
          </lg>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[85/0101] Romanze vom wahnſinnigen Feuerreiter. * Sehet ihr am Fenſterlein Dort die rothe Muͤtze wieder? Muß nicht ganz geheuer ſeyn, Denn er geht ſchon auf und nieder; Und was fuͤr ein toll Gewuͤhle Ploͤtzlich auf den Gaſſen ſchwillt! Horch! das Jammergloͤcklein grillt: Hinter'm Berg, hinter'm Berg Brennt's in einer Muͤhle! Schaut! da ſprengt er wuͤthend ſchier Durch das Thor, der Feuerreiter, Auf dem rippenduͤrren Thier, Als auf einer Feuerleiter! * Iſt aus dem Roman: „Maler Nolten.“ In einer alten Stadt, ſo wird erzaͤhlt, habe im Giebeldache eines kleinen Hauſes ein junger fremder Mann gewohnt, von deſſen Lebensweiſe Niemand naͤher wußte, der ſich Jahr aus, Jahr ein auch niemals habe blicken laſſen, außer — nach dem Volksglauben — regelmaͤßig vor dem Ausbruch einer Feuersbrunſt. Dann ſah man ihn in einer ſcharlachrothen, netzartigen Muͤtze unruhig am kleinen Fenſter auf und nieder gehen, zum ſichern Vorzeichen des nahe drohenden Ungluͤcks. Mit dem erſten Feuerlaͤrmen kam er auf einem magern Klepper unten aus dem Stalle hervorgeſprengt und nahm pfeilſchnell, unfehlbar ſeinen Lauf nach dem Orte des Brandes.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838/101
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838/101>, abgerufen am 21.11.2024.