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Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882.

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Die Karyatide.
Im Hof des Louvre trägt ein Weib
Die Zinne mit dem Marmorhaupt,
Mit einem allerliebsten Haupt.
Als Meister Goujon sie geformt
In feinen Linien, überschlank,
Und stehend auf dem Baugerüst
Die letzte Locke meißelte,
Erschoß den Meister hinterrücks
(Am Tag der Saint-Barthelemy)
Ein überzeugter Katholik.
Vorstürzend überflutet' er
Den feinen Busen ganz mit Blut,
Dann sank er rücklings in den Hof.
Die Marmormagd entschlummerte
Und schlief dreihundert Jahre lang,
Ein Feuerschein erwärmte sie
(Am Tag da die Commüne focht)
Sie gähnt' und blickte rings sich um:
Wo bin ich denn? In welcher Stadt?
Sie morden sich. Es ist Paris.

Die Karyatide.
Im Hof des Louvre trägt ein Weib
Die Zinne mit dem Marmorhaupt,
Mit einem allerliebſten Haupt.
Als Meiſter Goujon ſie geformt
In feinen Linien, überſchlank,
Und ſtehend auf dem Baugerüſt
Die letzte Locke meißelte,
Erſchoß den Meiſter hinterrücks
(Am Tag der Saint-Barthélemy)
Ein überzeugter Katholik.
Vorſtürzend überflutet' er
Den feinen Buſen ganz mit Blut,
Dann ſank er rücklings in den Hof.
Die Marmormagd entſchlummerte
Und ſchlief dreihundert Jahre lang,
Ein Feuerſchein erwärmte ſie
(Am Tag da die Commüne focht)
Sie gähnt' und blickte rings ſich um:
Wo bin ich denn? In welcher Stadt?
Sie morden ſich. Es iſt Paris.

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[320/0334] Die Karyatide. Im Hof des Louvre trägt ein Weib Die Zinne mit dem Marmorhaupt, Mit einem allerliebſten Haupt. Als Meiſter Goujon ſie geformt In feinen Linien, überſchlank, Und ſtehend auf dem Baugerüſt Die letzte Locke meißelte, Erſchoß den Meiſter hinterrücks (Am Tag der Saint-Barthélemy) Ein überzeugter Katholik. Vorſtürzend überflutet' er Den feinen Buſen ganz mit Blut, Dann ſank er rücklings in den Hof. Die Marmormagd entſchlummerte Und ſchlief dreihundert Jahre lang, Ein Feuerſchein erwärmte ſie (Am Tag da die Commüne focht) Sie gähnt' und blickte rings ſich um: Wo bin ich denn? In welcher Stadt? Sie morden ſich. Es iſt Paris.

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_gedichte_1882/334>, abgerufen am 18.11.2024.