Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882.Das Goldtuch. "Ihr Mägde, schaut, was ihr im Schreine habt! Nicht darfst du mir von hinnen unbegabt, Mein blonder Enkel, der der Ahne bot Mit priesterlichen Händen Gott im Brot!" Mathilde sprach's die Fürstin, sterbeschwach. Richburg die Schaffnerin seufzt' Weh und Ach! "Hin gabst den Armen Alles du! Allein Dein goldgewoben Bahrtuch liegt im Schrein!" -- "Die goldne Decke! Gebt dem Bischof die! Brauthemd und Bahrtuch fehlt den Frauen nie!" ... Der Jüngling zaudert ... "Nimm die Decke! Kränk' Mich nicht!" Er nimmt und zieht mit dem Geschenk. Sie athmet aus. Es läutet lang und schön Mit allen Glocken von des Münsters Höhn. Was wandert dort im letzten Sonnenblick? Mathildens Bahrtuch kehrt zu ihr zurück. Abspringt ein Reiter, der den Thurm ersteigt. "Den Bischof warf das Roß. Ein Todter schweigt. Wir bringen ihn! Verdoppelt das Geläut! Ihr Glöckner, zwier bekommt ihr Löhnung heut!" Das Goldtuch. „Ihr Mägde, ſchaut, was ihr im Schreine habt! Nicht darfſt du mir von hinnen unbegabt, Mein blonder Enkel, der der Ahne bot Mit prieſterlichen Händen Gott im Brot!“ Mathilde ſprach's die Fürſtin, ſterbeſchwach. Richburg die Schaffnerin ſeufzt' Weh und Ach! „Hin gabſt den Armen Alles du! Allein Dein goldgewoben Bahrtuch liegt im Schrein!“ — „Die goldne Decke! Gebt dem Biſchof die! Brauthemd und Bahrtuch fehlt den Frauen nie!“ ... Der Jüngling zaudert ... „Nimm die Decke! Kränk' Mich nicht!“ Er nimmt und zieht mit dem Geſchenk. Sie athmet aus. Es läutet lang und ſchön Mit allen Glocken von des Münſters Höhn. Was wandert dort im letzten Sonnenblick? Mathildens Bahrtuch kehrt zu ihr zurück. Abſpringt ein Reiter, der den Thurm erſteigt. „Den Biſchof warf das Roß. Ein Todter ſchweigt. Wir bringen ihn! Verdoppelt das Geläut! Ihr Glöckner, zwier bekommt ihr Löhnung heut!“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb n="262" facs="#f0276"/> </div> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Das Goldtuch.</hi><lb/> </head> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>„Ihr Mägde, ſchaut, was ihr im Schreine habt!</l><lb/> <l>Nicht darfſt du mir von hinnen unbegabt,</l><lb/> <l>Mein blonder Enkel, der der Ahne bot</l><lb/> <l>Mit prieſterlichen Händen Gott im Brot!“</l><lb/> </lg> <lg n="2"> <l>Mathilde ſprach's die Fürſtin, ſterbeſchwach.</l><lb/> <l>Richburg die Schaffnerin ſeufzt' Weh und Ach!</l><lb/> <l>„Hin gabſt den Armen Alles du! Allein</l><lb/> <l>Dein goldgewoben Bahrtuch liegt im Schrein!“</l><lb/> </lg> <lg n="3"> <l>— „Die goldne Decke! Gebt dem Biſchof die!</l><lb/> <l>Brauthemd und Bahrtuch fehlt den Frauen nie!“ ...</l><lb/> <l>Der Jüngling zaudert ... „Nimm die Decke! Kränk'</l><lb/> <l>Mich nicht!“ Er nimmt und zieht mit dem Geſchenk.</l><lb/> </lg> <lg n="4"> <l>Sie athmet aus. Es läutet lang und ſchön</l><lb/> <l>Mit allen Glocken von des Münſters Höhn.</l><lb/> <l>Was wandert dort im letzten Sonnenblick?</l><lb/> <l>Mathildens Bahrtuch kehrt zu ihr zurück.</l><lb/> </lg> <lg n="5"> <l>Abſpringt ein Reiter, der den Thurm erſteigt.</l><lb/> <l>„Den Biſchof warf das Roß. Ein Todter ſchweigt.</l><lb/> <l>Wir bringen ihn! Verdoppelt das Geläut!</l><lb/> <l>Ihr Glöckner, zwier bekommt ihr Löhnung heut!“</l><lb/> </lg> </lg> <milestone unit="section" rendition="#hr"/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [262/0276]
Das Goldtuch.
„Ihr Mägde, ſchaut, was ihr im Schreine habt!
Nicht darfſt du mir von hinnen unbegabt,
Mein blonder Enkel, der der Ahne bot
Mit prieſterlichen Händen Gott im Brot!“
Mathilde ſprach's die Fürſtin, ſterbeſchwach.
Richburg die Schaffnerin ſeufzt' Weh und Ach!
„Hin gabſt den Armen Alles du! Allein
Dein goldgewoben Bahrtuch liegt im Schrein!“
— „Die goldne Decke! Gebt dem Biſchof die!
Brauthemd und Bahrtuch fehlt den Frauen nie!“ ...
Der Jüngling zaudert ... „Nimm die Decke! Kränk'
Mich nicht!“ Er nimmt und zieht mit dem Geſchenk.
Sie athmet aus. Es läutet lang und ſchön
Mit allen Glocken von des Münſters Höhn.
Was wandert dort im letzten Sonnenblick?
Mathildens Bahrtuch kehrt zu ihr zurück.
Abſpringt ein Reiter, der den Thurm erſteigt.
„Den Biſchof warf das Roß. Ein Todter ſchweigt.
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Zitationshilfe: | Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_gedichte_1882/276>, abgerufen am 03.03.2025. |