Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882.Thespestus. Zwei Greise ruhten unter einer Pinie, Stab neben Stab, an einer Quelle klarer Flut, Wo wandernd sie begegnet sich von ungefähr. Sie führten Zwiegespräch und sie behagten sich. -- "Man nennt mich Eukrates, und wer, mein Freund, bist du?" -- "Mich nannten Aridaeus lange Jahre sie, Seit langen Jahren bin ich nun Thespesius." -- "Zwei Namen trugst du?" -- "Beide Namen, Eukrates. Hör' an! Ein Jüngling, peitscht' ich rasend das Gespann. Die Rosse flogen. Becher, Buhlen, Würfelspiel, Wuth, Zorn, vergossen Blut -- verklagend Blut! Dem ich entfloh, die Eumeniden hinter mir -- Sie folgten meiner raschen Füße schnellstem Lauf, Ich warf mich in den Fluß, sie sprangen jauchzend nach Und hoben schwimmend ihrer Fackeln düstre Glut. Ich klomm bergan -- verirrt stürzt' ich von einer Wand -- Die Sinne schwanden mir. Dann lebt' ich wieder -- war's Im Traum? -- und schritt auf einem weichen Wiesengrün, Wo Sel'ge -- solche schienen sie -- lustwandelten In still bewegten Schaaren. Kränze trugen sie. Den Einen kannt' ich wohl und ward von ihm erkannt: Mein Blutsverwandter, welcher jüngst geschwunden war Aus dieser Erde Staub nach einem reinen Lauf. C. F. Meyer, Gedichte. 13
Theſpeſtus. Zwei Greiſe ruhten unter einer Pinie, Stab neben Stab, an einer Quelle klarer Flut, Wo wandernd ſie begegnet ſich von ungefähr. Sie führten Zwiegeſpräch und ſie behagten ſich. — „Man nennt mich Eukrates, und wer, mein Freund, biſt du?“ — „Mich nannten Aridaeus lange Jahre ſie, Seit langen Jahren bin ich nun Theſpeſius.“ — „Zwei Namen trugſt du?“ — „Beide Namen, Eukrates. Hör' an! Ein Jüngling, peitſcht' ich raſend das Geſpann. Die Roſſe flogen. Becher, Buhlen, Würfelſpiel, Wuth, Zorn, vergoſſen Blut — verklagend Blut! Dem ich entfloh, die Eumeniden hinter mir — Sie folgten meiner raſchen Füße ſchnellſtem Lauf, Ich warf mich in den Fluß, ſie ſprangen jauchzend nach Und hoben ſchwimmend ihrer Fackeln düſtre Glut. Ich klomm bergan — verirrt ſtürzt' ich von einer Wand — Die Sinne ſchwanden mir. Dann lebt' ich wieder — war's Im Traum? — und ſchritt auf einem weichen Wieſengrün, Wo Sel'ge — ſolche ſchienen ſie — luſtwandelten In ſtill bewegten Schaaren. Kränze trugen ſie. Den Einen kannt' ich wohl und ward von ihm erkannt: Mein Blutsverwandter, welcher jüngſt geſchwunden war Aus dieſer Erde Staub nach einem reinen Lauf. C. F. Meyer, Gedichte. 13
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0207" n="193"/> </div> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Theſpeſtus.</hi><lb/> </head> <lg type="poem"> <l>Zwei Greiſe ruhten unter einer Pinie,</l><lb/> <l>Stab neben Stab, an einer Quelle klarer Flut,</l><lb/> <l>Wo wandernd ſie begegnet ſich von ungefähr.</l><lb/> <l>Sie führten Zwiegeſpräch und ſie behagten ſich.</l><lb/> <l>— „Man nennt mich Eukrates, und wer, mein Freund, biſt du?“</l><lb/> <l>— „Mich nannten Aridaeus lange Jahre ſie,</l><lb/> <l>Seit langen Jahren bin ich nun Theſpeſius.“</l><lb/> <l>— „Zwei Namen trugſt du?“ — „Beide Namen, Eukrates.</l><lb/> <l>Hör' an! Ein Jüngling, peitſcht' ich raſend das Geſpann.</l><lb/> <l>Die Roſſe flogen. Becher, Buhlen, Würfelſpiel,</l><lb/> <l>Wuth, Zorn, vergoſſen Blut — verklagend Blut!</l><lb/> <l>Dem ich entfloh, die Eumeniden hinter mir —</l><lb/> <l>Sie folgten meiner raſchen Füße ſchnellſtem Lauf,</l><lb/> <l>Ich warf mich in den Fluß, ſie ſprangen jauchzend nach</l><lb/> <l>Und hoben ſchwimmend ihrer Fackeln düſtre Glut.</l><lb/> <l>Ich klomm bergan — verirrt ſtürzt' ich von einer Wand —</l><lb/> <l>Die Sinne ſchwanden mir. Dann lebt' ich wieder — war's</l><lb/> <l>Im Traum? — und ſchritt auf einem weichen Wieſengrün,</l><lb/> <l>Wo Sel'ge — ſolche ſchienen ſie — luſtwandelten</l><lb/> <l>In ſtill bewegten Schaaren. Kränze trugen ſie.</l><lb/> <l>Den Einen kannt' ich wohl und ward von ihm erkannt:</l><lb/> <l>Mein Blutsverwandter, welcher jüngſt geſchwunden war</l><lb/> <l>Aus dieſer Erde Staub nach einem reinen Lauf.</l><lb/> <fw place="bottom" type="sig">C. F. <hi rendition="#g">Meyer</hi>, Gedichte. 13<lb/></fw> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [193/0207]
Theſpeſtus.
Zwei Greiſe ruhten unter einer Pinie,
Stab neben Stab, an einer Quelle klarer Flut,
Wo wandernd ſie begegnet ſich von ungefähr.
Sie führten Zwiegeſpräch und ſie behagten ſich.
— „Man nennt mich Eukrates, und wer, mein Freund, biſt du?“
— „Mich nannten Aridaeus lange Jahre ſie,
Seit langen Jahren bin ich nun Theſpeſius.“
— „Zwei Namen trugſt du?“ — „Beide Namen, Eukrates.
Hör' an! Ein Jüngling, peitſcht' ich raſend das Geſpann.
Die Roſſe flogen. Becher, Buhlen, Würfelſpiel,
Wuth, Zorn, vergoſſen Blut — verklagend Blut!
Dem ich entfloh, die Eumeniden hinter mir —
Sie folgten meiner raſchen Füße ſchnellſtem Lauf,
Ich warf mich in den Fluß, ſie ſprangen jauchzend nach
Und hoben ſchwimmend ihrer Fackeln düſtre Glut.
Ich klomm bergan — verirrt ſtürzt' ich von einer Wand —
Die Sinne ſchwanden mir. Dann lebt' ich wieder — war's
Im Traum? — und ſchritt auf einem weichen Wieſengrün,
Wo Sel'ge — ſolche ſchienen ſie — luſtwandelten
In ſtill bewegten Schaaren. Kränze trugen ſie.
Den Einen kannt' ich wohl und ward von ihm erkannt:
Mein Blutsverwandter, welcher jüngſt geſchwunden war
Aus dieſer Erde Staub nach einem reinen Lauf.
C. F. Meyer, Gedichte. 13
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |