Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882.Nach einem Niederländer. Der Meister malt ein kleines zartes Bild, Zurückgelehnt, beschaut er's liebevoll. Es pocht. "Herein." Ein vlämischer Junker ist's Mit einer drallen, aufgedonnerten Dirn, Der vor Gesundheit fast die Wange birst. Sie rauscht von Seide, flimmert von Geschmeid. "Wir haben's eilig, lieber Meister. Wißt, Ein wackrer Schelm stiehlt mir das Töchterlein. Morgen ist Hochzeit. Malet mir mein Kind!" "Zur Stunde, Herr! Nur noch den Pinselstrich!" Sie treten lustig vor die Staffelei: Auf einem blanken Kissen schlummernd liegt Ein feiner Mädchenkopf. Der Meister setzt Des Blumenkranzes tiefste Knospe noch Auf die verblichne Stirn mit leichter Hand. -- "Nach der Natur?" -- "Nach der Natur. Mein Kind. Gestern beerdigt. Herr, ich bin zu Dienst." Nach einem Niederländer. Der Meiſter malt ein kleines zartes Bild, Zurückgelehnt, beſchaut er's liebevoll. Es pocht. „Herein.“ Ein vlämiſcher Junker iſt's Mit einer drallen, aufgedonnerten Dirn, Der vor Geſundheit faſt die Wange birſt. Sie rauſcht von Seide, flimmert von Geſchmeid. „Wir haben's eilig, lieber Meiſter. Wißt, Ein wackrer Schelm ſtiehlt mir das Töchterlein. Morgen iſt Hochzeit. Malet mir mein Kind!“ „Zur Stunde, Herr! Nur noch den Pinſelſtrich!“ Sie treten luſtig vor die Staffelei: Auf einem blanken Kiſſen ſchlummernd liegt Ein feiner Mädchenkopf. Der Meiſter ſetzt Des Blumenkranzes tiefſte Knospe noch Auf die verblichne Stirn mit leichter Hand. — „Nach der Natur?“ — „Nach der Natur. Mein Kind. Geſtern beerdigt. Herr, ich bin zu Dienſt.“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb n="122" facs="#f0136"/> </div> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Nach einem Niederländer.</hi><lb/> </head> <lg type="poem"> <l>Der Meiſter malt ein kleines zartes Bild,</l><lb/> <l>Zurückgelehnt, beſchaut er's liebevoll.</l><lb/> <l>Es pocht. „Herein.“ Ein vlämiſcher Junker iſt's</l><lb/> <l>Mit einer drallen, aufgedonnerten Dirn,</l><lb/> <l>Der vor Geſundheit faſt die Wange birſt.</l><lb/> <l>Sie rauſcht von Seide, flimmert von Geſchmeid.</l><lb/> <l>„Wir haben's eilig, lieber Meiſter. Wißt,</l><lb/> <l>Ein wackrer Schelm ſtiehlt mir das Töchterlein.</l><lb/> <l>Morgen iſt Hochzeit. Malet mir mein Kind!“</l><lb/> <l>„Zur Stunde, Herr! Nur noch den Pinſelſtrich!“</l><lb/> <l>Sie treten luſtig vor die Staffelei:</l><lb/> <l>Auf einem blanken Kiſſen ſchlummernd liegt</l><lb/> <l>Ein feiner Mädchenkopf. Der Meiſter ſetzt</l><lb/> <l>Des Blumenkranzes tiefſte Knospe noch</l><lb/> <l>Auf die verblichne Stirn mit leichter Hand.</l><lb/> <l>— „Nach der Natur?“ — „Nach der Natur. Mein Kind.</l><lb/> <l>Geſtern beerdigt. Herr, ich bin zu Dienſt.“</l><lb/> </lg> <milestone unit="section" rendition="#hr"/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [122/0136]
Nach einem Niederländer.
Der Meiſter malt ein kleines zartes Bild,
Zurückgelehnt, beſchaut er's liebevoll.
Es pocht. „Herein.“ Ein vlämiſcher Junker iſt's
Mit einer drallen, aufgedonnerten Dirn,
Der vor Geſundheit faſt die Wange birſt.
Sie rauſcht von Seide, flimmert von Geſchmeid.
„Wir haben's eilig, lieber Meiſter. Wißt,
Ein wackrer Schelm ſtiehlt mir das Töchterlein.
Morgen iſt Hochzeit. Malet mir mein Kind!“
„Zur Stunde, Herr! Nur noch den Pinſelſtrich!“
Sie treten luſtig vor die Staffelei:
Auf einem blanken Kiſſen ſchlummernd liegt
Ein feiner Mädchenkopf. Der Meiſter ſetzt
Des Blumenkranzes tiefſte Knospe noch
Auf die verblichne Stirn mit leichter Hand.
— „Nach der Natur?“ — „Nach der Natur. Mein Kind.
Geſtern beerdigt. Herr, ich bin zu Dienſt.“
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Zitationshilfe: | Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_gedichte_1882/136>, abgerufen am 03.03.2025. |