Der bekannte Nachahmungstrieb der Deut¬ schen herrscht auch vorzüglich in ihrer Literatur. Man schätzt sich glücklich und wirft es sich zugleich vor, den Fremden nachzuhinken und zu stottern. Man streitet sich seit mehr als tausend Jahren über dieß Phänomen in unserm Nationalcharakter, wie über eine Neigung des Herzens, welche die Moral zu ver¬ bieten scheint. Schon in den Zeiten der Römer gab es zwei Parteien in Deutschland, Nachahmer und Puristen. Verächtlich sind die Affen, die immer nur nach fremden rothen Lappen springen, verächtlich die Entarteten, die sich schämen, Deutsche zu seyn. Das Vorurtheil, daß die deutsche Natur eine Art Bären¬ haftigkeit und Rusticität sey, die schlechterdings eines fremden Tanzmeisters bedürfe, hat sich nur bei sol¬ chen erzeugen und erhalten können, die wirklich recht plebegisch geboren waren. Lächerlich aber sind die Thoren, die ein Urdeutschthum von allen fremden Schlacken reinigen, und um die deutschen Grenzen
Einfluß der fremden Literatur.
Der bekannte Nachahmungstrieb der Deut¬ ſchen herrſcht auch vorzuͤglich in ihrer Literatur. Man ſchaͤtzt ſich gluͤcklich und wirft es ſich zugleich vor, den Fremden nachzuhinken und zu ſtottern. Man ſtreitet ſich ſeit mehr als tauſend Jahren uͤber dieß Phaͤnomen in unſerm Nationalcharakter, wie uͤber eine Neigung des Herzens, welche die Moral zu ver¬ bieten ſcheint. Schon in den Zeiten der Roͤmer gab es zwei Parteien in Deutſchland, Nachahmer und Puriſten. Veraͤchtlich ſind die Affen, die immer nur nach fremden rothen Lappen ſpringen, veraͤchtlich die Entarteten, die ſich ſchaͤmen, Deutſche zu ſeyn. Das Vorurtheil, daß die deutſche Natur eine Art Baͤren¬ haftigkeit und Ruſticitaͤt ſey, die ſchlechterdings eines fremden Tanzmeiſters beduͤrfe, hat ſich nur bei ſol¬ chen erzeugen und erhalten koͤnnen, die wirklich recht plebegiſch geboren waren. Laͤcherlich aber ſind die Thoren, die ein Urdeutſchthum von allen fremden Schlacken reinigen, und um die deutſchen Grenzen
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Einfluß der fremden Literatur.
Der bekannte Nachahmungstrieb der Deut¬
ſchen herrſcht auch vorzuͤglich in ihrer Literatur.
Man ſchaͤtzt ſich gluͤcklich und wirft es ſich zugleich
vor, den Fremden nachzuhinken und zu ſtottern. Man
ſtreitet ſich ſeit mehr als tauſend Jahren uͤber dieß
Phaͤnomen in unſerm Nationalcharakter, wie uͤber
eine Neigung des Herzens, welche die Moral zu ver¬
bieten ſcheint. Schon in den Zeiten der Roͤmer gab
es zwei Parteien in Deutſchland, Nachahmer und
Puriſten. Veraͤchtlich ſind die Affen, die immer nur
nach fremden rothen Lappen ſpringen, veraͤchtlich die
Entarteten, die ſich ſchaͤmen, Deutſche zu ſeyn. Das
Vorurtheil, daß die deutſche Natur eine Art Baͤren¬
haftigkeit und Ruſticitaͤt ſey, die ſchlechterdings eines
fremden Tanzmeiſters beduͤrfe, hat ſich nur bei ſol¬
chen erzeugen und erhalten koͤnnen, die wirklich recht
plebegiſch geboren waren. Laͤcherlich aber ſind die
Thoren, die ein Urdeutſchthum von allen fremden
Schlacken reinigen, und um die deutſchen Grenzen
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/52>, abgerufen am 30.01.2025.
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