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Menger, Carl: Grundsätze der Volkswirthschaftslehre. Wien, 1871.

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Die Grundlagen und die Grenzen des ökonomischen Tausches.
ja den Tausch bis ins Unbegrenzte fortsetzen würden, während
wir doch im Leben überall zu beobachten vermögen, dass die
wirthschaftenden Menschen sich jeden Tausch vorher wohl über-
legen und schliesslich für jeden gegebenen Zeitpunct eine Grenze
eintritt, über welche hinaus zwei Individuen nicht weiter
tauschen.

Ist es nun sicher, dass der Tausch für die Menschen kein
Selbstzweck, noch weniger an und für sich eine Lust ist, so wird
es nunmehr unsere Aufgabe sein, Wesen und Ursprung des
Tausches in dem Nachfolgenden darzulegen.

Denken wir uns, um mit dem einfachsten Falle zu beginnen,
zwei Landleute A und B, von welchen jeder bisher eine isolirte
Wirthschaft führte und von denen der erstere nach einer ausser-
gewöhnlich reichen Ernte so viel Getreide besässe, dass er
nach einer noch so reichlichen Vorsorge für die Befriedigung
aller seiner Bedürfnisse einen gewissen Theil davon für sich und
sein Hauswesen nicht mehr zu verwenden vermöchte. Der zweite
Landwirth B, ein Nachbar des ersten, hätte wiederum, wie wir
annehmen wollen, eine so gute Weinernte gehabt, dass er aus
Mangel an Gefässen und weil sein Keller ohnehin noch von
früheren Jahrgängen her gefüllt ist, schon nahe daran wäre,
einen Theil des eingelagerten älteren Weines, der von einem
schlechteren Jahrgange herrührt, auszuschütten. Diesem Ueber-
flusse auf der einen Seite könnte der grösste Mangel auf der
andern Seite gegenüberstehen. Der Landmann, der einen Ueber-
fluss an Getreide hat, muss den Genuss des Weines vollständig
entbehren, weil er überhaupt keine Weinberge besitzt, und der
zweite Landwirth von dessen Ueberfluss an Wein wir hörten,
leidet Mangel an Nahrungsmitteln. Während demnach der erste
Landwirth viele Metzen Korn auf seinen Aeckern verderben las-
sen kann, würde ihm ein Eimer Wein viele Genüsse verschaffen,
die er jetzt entbehren muss; während der zweite Landwirth
daran ist, nicht nur einen, sondern mehrere Eimer Wein dem
Verderben Preis zu geben, könnte er doch einige Metzen Ge-
treide in seiner Wirthschaft sehr wohl verwenden. Der
erste Landmann dürstet, der zweite hungert, während doch schon
durch jenes Getreide, das A auf seinen Aeckern verfaulen zu
lassen, und durch jenen Wein, den B auszuschütten entschlossen

Die Grundlagen und die Grenzen des ökonomischen Tausches.
ja den Tausch bis ins Unbegrenzte fortsetzen würden, während
wir doch im Leben überall zu beobachten vermögen, dass die
wirthschaftenden Menschen sich jeden Tausch vorher wohl über-
legen und schliesslich für jeden gegebenen Zeitpunct eine Grenze
eintritt, über welche hinaus zwei Individuen nicht weiter
tauschen.

Ist es nun sicher, dass der Tausch für die Menschen kein
Selbstzweck, noch weniger an und für sich eine Lust ist, so wird
es nunmehr unsere Aufgabe sein, Wesen und Ursprung des
Tausches in dem Nachfolgenden darzulegen.

Denken wir uns, um mit dem einfachsten Falle zu beginnen,
zwei Landleute A und B, von welchen jeder bisher eine isolirte
Wirthschaft führte und von denen der erstere nach einer ausser-
gewöhnlich reichen Ernte so viel Getreide besässe, dass er
nach einer noch so reichlichen Vorsorge für die Befriedigung
aller seiner Bedürfnisse einen gewissen Theil davon für sich und
sein Hauswesen nicht mehr zu verwenden vermöchte. Der zweite
Landwirth B, ein Nachbar des ersten, hätte wiederum, wie wir
annehmen wollen, eine so gute Weinernte gehabt, dass er aus
Mangel an Gefässen und weil sein Keller ohnehin noch von
früheren Jahrgängen her gefüllt ist, schon nahe daran wäre,
einen Theil des eingelagerten älteren Weines, der von einem
schlechteren Jahrgange herrührt, auszuschütten. Diesem Ueber-
flusse auf der einen Seite könnte der grösste Mangel auf der
andern Seite gegenüberstehen. Der Landmann, der einen Ueber-
fluss an Getreide hat, muss den Genuss des Weines vollständig
entbehren, weil er überhaupt keine Weinberge besitzt, und der
zweite Landwirth von dessen Ueberfluss an Wein wir hörten,
leidet Mangel an Nahrungsmitteln. Während demnach der erste
Landwirth viele Metzen Korn auf seinen Aeckern verderben las-
sen kann, würde ihm ein Eimer Wein viele Genüsse verschaffen,
die er jetzt entbehren muss; während der zweite Landwirth
daran ist, nicht nur einen, sondern mehrere Eimer Wein dem
Verderben Preis zu geben, könnte er doch einige Metzen Ge-
treide in seiner Wirthschaft sehr wohl verwenden. Der
erste Landmann dürstet, der zweite hungert, während doch schon
durch jenes Getreide, das A auf seinen Aeckern verfaulen zu
lassen, und durch jenen Wein, den B auszuschütten entschlossen

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[155/0173] Die Grundlagen und die Grenzen des ökonomischen Tausches. ja den Tausch bis ins Unbegrenzte fortsetzen würden, während wir doch im Leben überall zu beobachten vermögen, dass die wirthschaftenden Menschen sich jeden Tausch vorher wohl über- legen und schliesslich für jeden gegebenen Zeitpunct eine Grenze eintritt, über welche hinaus zwei Individuen nicht weiter tauschen. Ist es nun sicher, dass der Tausch für die Menschen kein Selbstzweck, noch weniger an und für sich eine Lust ist, so wird es nunmehr unsere Aufgabe sein, Wesen und Ursprung des Tausches in dem Nachfolgenden darzulegen. Denken wir uns, um mit dem einfachsten Falle zu beginnen, zwei Landleute A und B, von welchen jeder bisher eine isolirte Wirthschaft führte und von denen der erstere nach einer ausser- gewöhnlich reichen Ernte so viel Getreide besässe, dass er nach einer noch so reichlichen Vorsorge für die Befriedigung aller seiner Bedürfnisse einen gewissen Theil davon für sich und sein Hauswesen nicht mehr zu verwenden vermöchte. Der zweite Landwirth B, ein Nachbar des ersten, hätte wiederum, wie wir annehmen wollen, eine so gute Weinernte gehabt, dass er aus Mangel an Gefässen und weil sein Keller ohnehin noch von früheren Jahrgängen her gefüllt ist, schon nahe daran wäre, einen Theil des eingelagerten älteren Weines, der von einem schlechteren Jahrgange herrührt, auszuschütten. Diesem Ueber- flusse auf der einen Seite könnte der grösste Mangel auf der andern Seite gegenüberstehen. Der Landmann, der einen Ueber- fluss an Getreide hat, muss den Genuss des Weines vollständig entbehren, weil er überhaupt keine Weinberge besitzt, und der zweite Landwirth von dessen Ueberfluss an Wein wir hörten, leidet Mangel an Nahrungsmitteln. Während demnach der erste Landwirth viele Metzen Korn auf seinen Aeckern verderben las- sen kann, würde ihm ein Eimer Wein viele Genüsse verschaffen, die er jetzt entbehren muss; während der zweite Landwirth daran ist, nicht nur einen, sondern mehrere Eimer Wein dem Verderben Preis zu geben, könnte er doch einige Metzen Ge- treide in seiner Wirthschaft sehr wohl verwenden. Der erste Landmann dürstet, der zweite hungert, während doch schon durch jenes Getreide, das A auf seinen Aeckern verfaulen zu lassen, und durch jenen Wein, den B auszuschütten entschlossen

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Zitationshilfe: Menger, Carl: Grundsätze der Volkswirthschaftslehre. Wien, 1871, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menger_volkswirtschaftslehre_1871/173>, abgerufen am 26.04.2024.