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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896.

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§ 43. Zwangsdienstpflicht und übertragenes Ehrenamt.
damit verbundenen obrigkeitlichen Ausspruch und ohne Willenserklärung
des Pflichtigen: auch der unfreiwillige Dienstantritt des gewaltsam
vorgeführten Heerespflichtigen hat jene Wirkungen.

Der Dienstantritt bedeutet nichts als die Erfüllung der that-
sächlichen Voraussetzungen für die volle Wirksamkeit der Dienst-
pflicht: das ihr entsprechende Gewaltverhältnis entfaltet sich
jetzt; im weiteren wird die genauere Art dieser Wirkungen bestimmt
nach Verschiedenheit des Inhalts der Dienstpflicht.

Für den Schöffen und Geschworenen entsteht nunmehr Amt und
Amtspflicht. Ein Schöffe oder Geschworener, welcher zur be-
stimmten Sitzung nicht erscheint, hat niemals ein Amt gehabt; erst
durch den Dienstantritt erlangt er es2. Die Amtspflicht giebt der
Dienstpflicht ihren bestimmten Inhalt. Der Pflichtige ist der Leitung
des Vorsitzenden unterworfen und steht dabei unter einer Dienst-
gewalt für sein äußerliches Verhalten, wie sie eben mit richterlicher
Thätigkeit überhaupt vereinbar ist; die Mittel, welche verhindern,
daß der Pflichtige "sich seinen Obliegenheiten entziehe", reichen aus,
um auch die gehörige Erfüllung der Pflicht zu sichern, deshalb sind
besondere Disciplinarzwangsmittel hier nicht ausgebildet (vgl. unten
§ 45, I); die civilrechtliche Schadensersatzpflicht steht dahinter.

Viel bedeutsamer noch erweist sich in seinen Wirkungen der
Dienstantritt bei der Heerdienstpflicht. Mit der thatsächlichen Ein-
reihung in das Heer entsteht eine aktive Dienstpflicht von ganz be-
sonderer Stärke3. Als Seitenstück zu dem Amte des dienstthuenden
Geschworenen und Schöffen erscheint hier die Zugehörigkeit

2 Es ist nur eine abkürzende Ausdrucksweise, wenn das Gerichtsverfassungs-
gesetz überall von der Wahl, der Einberufung, von dem Ablehnen, Entbinden,
Sicheinfinden der "Schöffen" oder "Geschworenen" spricht. Es sollte heißen: der
zum Schöffen- oder Geschworenendienste in Anspruch zu nehmenden Personen.
Ein Geschworener, der bestraft wird, weil er sich nicht gestellt hat und deshalb
nicht eingeschworen werden konnte, ist natürlich kein Geschworener gewesen.
Darum sind Schöffen und Geschworene keine Beamten: sie "versehen" ein Amt
(G.V.G. §§ 31, 84); aber sie sind nicht mit dem Amte versehen, nicht beamtet.
Das Amt hängt nicht an ihrer Person, ist nicht zu einer persönlichen Fähigkeit
und Eigenschaft geworden, sondern gehört ihnen nur, so lange sie bei Gericht
sind. dieser Gedanke ist ungenau ausgedrückt, wenn man sagt: die kurze Dauer
des Amtes mache es aus (Hälschner, Stf.R. II, 2 S. 1033 u. Anm. 3). Un-
richtig aber ist es, wenn man den Grund, weshalb diese Leute keine Beamten
sind, in der Unfreiwilligkeit ihres Amtes sucht (Olshausen, Stf.G.B. II S. 1380
n. 8 c; Laband, St.R. I S. 414). Da hätte es ja unter der Herrschaft von
Goenners Theorie, wonach aller Staatsdienst erzwingbare Bürgerpflicht war, über-
haupt keine Beamten gegeben.
3 Laband, St.R. II S. 643 (3. Aufl. S. 617).

§ 43. Zwangsdienstpflicht und übertragenes Ehrenamt.
damit verbundenen obrigkeitlichen Ausspruch und ohne Willenserklärung
des Pflichtigen: auch der unfreiwillige Dienstantritt des gewaltsam
vorgeführten Heerespflichtigen hat jene Wirkungen.

Der Dienstantritt bedeutet nichts als die Erfüllung der that-
sächlichen Voraussetzungen für die volle Wirksamkeit der Dienst-
pflicht: das ihr entsprechende Gewaltverhältnis entfaltet sich
jetzt; im weiteren wird die genauere Art dieser Wirkungen bestimmt
nach Verschiedenheit des Inhalts der Dienstpflicht.

Für den Schöffen und Geschworenen entsteht nunmehr Amt und
Amtspflicht. Ein Schöffe oder Geschworener, welcher zur be-
stimmten Sitzung nicht erscheint, hat niemals ein Amt gehabt; erst
durch den Dienstantritt erlangt er es2. Die Amtspflicht giebt der
Dienstpflicht ihren bestimmten Inhalt. Der Pflichtige ist der Leitung
des Vorsitzenden unterworfen und steht dabei unter einer Dienst-
gewalt für sein äußerliches Verhalten, wie sie eben mit richterlicher
Thätigkeit überhaupt vereinbar ist; die Mittel, welche verhindern,
daß der Pflichtige „sich seinen Obliegenheiten entziehe“, reichen aus,
um auch die gehörige Erfüllung der Pflicht zu sichern, deshalb sind
besondere Disciplinarzwangsmittel hier nicht ausgebildet (vgl. unten
§ 45, I); die civilrechtliche Schadensersatzpflicht steht dahinter.

Viel bedeutsamer noch erweist sich in seinen Wirkungen der
Dienstantritt bei der Heerdienstpflicht. Mit der thatsächlichen Ein-
reihung in das Heer entsteht eine aktive Dienstpflicht von ganz be-
sonderer Stärke3. Als Seitenstück zu dem Amte des dienstthuenden
Geschworenen und Schöffen erscheint hier die Zugehörigkeit

2 Es ist nur eine abkürzende Ausdrucksweise, wenn das Gerichtsverfassungs-
gesetz überall von der Wahl, der Einberufung, von dem Ablehnen, Entbinden,
Sicheinfinden der „Schöffen“ oder „Geschworenen“ spricht. Es sollte heißen: der
zum Schöffen- oder Geschworenendienste in Anspruch zu nehmenden Personen.
Ein Geschworener, der bestraft wird, weil er sich nicht gestellt hat und deshalb
nicht eingeschworen werden konnte, ist natürlich kein Geschworener gewesen.
Darum sind Schöffen und Geschworene keine Beamten: sie „versehen“ ein Amt
(G.V.G. §§ 31, 84); aber sie sind nicht mit dem Amte versehen, nicht beamtet.
Das Amt hängt nicht an ihrer Person, ist nicht zu einer persönlichen Fähigkeit
und Eigenschaft geworden, sondern gehört ihnen nur, so lange sie bei Gericht
sind. dieser Gedanke ist ungenau ausgedrückt, wenn man sagt: die kurze Dauer
des Amtes mache es aus (Hälschner, Stf.R. II, 2 S. 1033 u. Anm. 3). Un-
richtig aber ist es, wenn man den Grund, weshalb diese Leute keine Beamten
sind, in der Unfreiwilligkeit ihres Amtes sucht (Olshausen, Stf.G.B. II S. 1380
n. 8 c; Laband, St.R. I S. 414). Da hätte es ja unter der Herrschaft von
Goenners Theorie, wonach aller Staatsdienst erzwingbare Bürgerpflicht war, über-
haupt keine Beamten gegeben.
3 Laband, St.R. II S. 643 (3. Aufl. S. 617).
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[205/0217] § 43. Zwangsdienstpflicht und übertragenes Ehrenamt. damit verbundenen obrigkeitlichen Ausspruch und ohne Willenserklärung des Pflichtigen: auch der unfreiwillige Dienstantritt des gewaltsam vorgeführten Heerespflichtigen hat jene Wirkungen. Der Dienstantritt bedeutet nichts als die Erfüllung der that- sächlichen Voraussetzungen für die volle Wirksamkeit der Dienst- pflicht: das ihr entsprechende Gewaltverhältnis entfaltet sich jetzt; im weiteren wird die genauere Art dieser Wirkungen bestimmt nach Verschiedenheit des Inhalts der Dienstpflicht. Für den Schöffen und Geschworenen entsteht nunmehr Amt und Amtspflicht. Ein Schöffe oder Geschworener, welcher zur be- stimmten Sitzung nicht erscheint, hat niemals ein Amt gehabt; erst durch den Dienstantritt erlangt er es 2. Die Amtspflicht giebt der Dienstpflicht ihren bestimmten Inhalt. Der Pflichtige ist der Leitung des Vorsitzenden unterworfen und steht dabei unter einer Dienst- gewalt für sein äußerliches Verhalten, wie sie eben mit richterlicher Thätigkeit überhaupt vereinbar ist; die Mittel, welche verhindern, daß der Pflichtige „sich seinen Obliegenheiten entziehe“, reichen aus, um auch die gehörige Erfüllung der Pflicht zu sichern, deshalb sind besondere Disciplinarzwangsmittel hier nicht ausgebildet (vgl. unten § 45, I); die civilrechtliche Schadensersatzpflicht steht dahinter. Viel bedeutsamer noch erweist sich in seinen Wirkungen der Dienstantritt bei der Heerdienstpflicht. Mit der thatsächlichen Ein- reihung in das Heer entsteht eine aktive Dienstpflicht von ganz be- sonderer Stärke 3. Als Seitenstück zu dem Amte des dienstthuenden Geschworenen und Schöffen erscheint hier die Zugehörigkeit 2 Es ist nur eine abkürzende Ausdrucksweise, wenn das Gerichtsverfassungs- gesetz überall von der Wahl, der Einberufung, von dem Ablehnen, Entbinden, Sicheinfinden der „Schöffen“ oder „Geschworenen“ spricht. Es sollte heißen: der zum Schöffen- oder Geschworenendienste in Anspruch zu nehmenden Personen. Ein Geschworener, der bestraft wird, weil er sich nicht gestellt hat und deshalb nicht eingeschworen werden konnte, ist natürlich kein Geschworener gewesen. Darum sind Schöffen und Geschworene keine Beamten: sie „versehen“ ein Amt (G.V.G. §§ 31, 84); aber sie sind nicht mit dem Amte versehen, nicht beamtet. Das Amt hängt nicht an ihrer Person, ist nicht zu einer persönlichen Fähigkeit und Eigenschaft geworden, sondern gehört ihnen nur, so lange sie bei Gericht sind. dieser Gedanke ist ungenau ausgedrückt, wenn man sagt: die kurze Dauer des Amtes mache es aus (Hälschner, Stf.R. II, 2 S. 1033 u. Anm. 3). Un- richtig aber ist es, wenn man den Grund, weshalb diese Leute keine Beamten sind, in der Unfreiwilligkeit ihres Amtes sucht (Olshausen, Stf.G.B. II S. 1380 n. 8 c; Laband, St.R. I S. 414). Da hätte es ja unter der Herrschaft von Goenners Theorie, wonach aller Staatsdienst erzwingbare Bürgerpflicht war, über- haupt keine Beamten gegeben. 3 Laband, St.R. II S. 643 (3. Aufl. S. 617).

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht02_1896/217>, abgerufen am 26.04.2024.