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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896.

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§ 41. Öffentlichrechtliche Eigentumsbeschränkung.
drücklich ordnet, seine Voraussetzungen und Formen bestimmt, ist
ausgeschlossen, daß das Gleiche außerdem noch von selbst kraft des
allgemeinen Grundverhältnisses rechtmäßig geschehen könne. Das
gilt nicht nur dann, wenn geradezu die Eigentumsbeschränkung als
solche ihr Gegenstand geworden ist. Auch die Rechtssätze über
Eigentumsentziehung und Auferlegung von Grunddienstbarkeiten des
öffentlichen Rechts werden wirksam: thatsächlich gleichwertige Ein-
griffe sind daran gebunden und sind Unrecht, wenn sie anders als
gemäß der gesetzlichen Vorschrift geschehen15.

Die öffentlichrechtliche Eigentumsbeschränkung trägt überdies
noch ein gewisses Maß in sich selbst. Es ist in der Grundidee ge-
geben, auf der sie beruht. Das Eigentum ist nur wehrlos, soweit der
öffentlichen Verwaltung geholfen werden kann, ohne es selbst wesent-
lich zu beeinträchtigen
. Eine wesentliche Beeinträchtigung
würde meist schon unter einen der vom Gesetze besonders geordneten
Eingriffe fallen, wenn nicht der Form, so doch der Sache nach, und
deshalb auf Grund unseres allgemeinen Rechtsinstitutes nicht mehr
zulässig sein. Aber auch ohne das ist die Heiligkeit des Eigentums
für unser Recht ein ebenso wichtiger Grundsatz, wie das Überwiegen
der Erscheinungen der öffentlichen Gewalt. Unser ganzes Rechts-
institut beruht auf einem notwendigen Kompromiß zwischen beiden.
Nur verhältnismäßig, nur in geringfügigeren Dingen, nur zeitweilig,
mit Rücksicht auch auf das Maß des Bedürfnisses, hat das Eigentum
zurückzuweichen. Wo die danach zu ziehende Grenze läuft, das ist
allerdings Sache der Anschauung. Aber nicht die Anschauung des
urteilenden Subjektes, nicht der Gelehrte oder Praktiker bestimmt
frei, was ihm gerechtfertigt dünkt, sondern das Gemeinbewußtsein
bestimmt darüber, wie es in Übung und Herkommen erscheint. Das
ist dann Rechtens. Gewohnheitsrecht dürfen wir das wohl kaum
nennen. Gegenüber neu auftauchenden Verwaltungsthätigkeiten und
entsprechenden Bedürfnissen bildet sich oft sofort, ohne durch Zeit-
ablauf gerechtfertigt zu sein, eine feste Anschauung von dem, was
sich gehört. Meist geschieht es in Anlehnung an verwandte Er-
scheinungen, die bisher schon in bestimmter Weise behandelt wurden.
Eine Zeit des Schwankens kann sich möglicherweise dazwischen schieben;
dann streiten die Schriftsteller und geben die Gerichte widersprechende
Urteile. Aber das kann gesagt werden, daß der Zug der Zeit eher

15 Das ergiebt sich aus der rechtlichen Natur der vollziehenden Gewalt;
Bd. I S. 85.

§ 41. Öffentlichrechtliche Eigentumsbeschränkung.
drücklich ordnet, seine Voraussetzungen und Formen bestimmt, ist
ausgeschlossen, daß das Gleiche außerdem noch von selbst kraft des
allgemeinen Grundverhältnisses rechtmäßig geschehen könne. Das
gilt nicht nur dann, wenn geradezu die Eigentumsbeschränkung als
solche ihr Gegenstand geworden ist. Auch die Rechtssätze über
Eigentumsentziehung und Auferlegung von Grunddienstbarkeiten des
öffentlichen Rechts werden wirksam: thatsächlich gleichwertige Ein-
griffe sind daran gebunden und sind Unrecht, wenn sie anders als
gemäß der gesetzlichen Vorschrift geschehen15.

Die öffentlichrechtliche Eigentumsbeschränkung trägt überdies
noch ein gewisses Maß in sich selbst. Es ist in der Grundidee ge-
geben, auf der sie beruht. Das Eigentum ist nur wehrlos, soweit der
öffentlichen Verwaltung geholfen werden kann, ohne es selbst wesent-
lich zu beeinträchtigen
. Eine wesentliche Beeinträchtigung
würde meist schon unter einen der vom Gesetze besonders geordneten
Eingriffe fallen, wenn nicht der Form, so doch der Sache nach, und
deshalb auf Grund unseres allgemeinen Rechtsinstitutes nicht mehr
zulässig sein. Aber auch ohne das ist die Heiligkeit des Eigentums
für unser Recht ein ebenso wichtiger Grundsatz, wie das Überwiegen
der Erscheinungen der öffentlichen Gewalt. Unser ganzes Rechts-
institut beruht auf einem notwendigen Kompromiß zwischen beiden.
Nur verhältnismäßig, nur in geringfügigeren Dingen, nur zeitweilig,
mit Rücksicht auch auf das Maß des Bedürfnisses, hat das Eigentum
zurückzuweichen. Wo die danach zu ziehende Grenze läuft, das ist
allerdings Sache der Anschauung. Aber nicht die Anschauung des
urteilenden Subjektes, nicht der Gelehrte oder Praktiker bestimmt
frei, was ihm gerechtfertigt dünkt, sondern das Gemeinbewußtsein
bestimmt darüber, wie es in Übung und Herkommen erscheint. Das
ist dann Rechtens. Gewohnheitsrecht dürfen wir das wohl kaum
nennen. Gegenüber neu auftauchenden Verwaltungsthätigkeiten und
entsprechenden Bedürfnissen bildet sich oft sofort, ohne durch Zeit-
ablauf gerechtfertigt zu sein, eine feste Anschauung von dem, was
sich gehört. Meist geschieht es in Anlehnung an verwandte Er-
scheinungen, die bisher schon in bestimmter Weise behandelt wurden.
Eine Zeit des Schwankens kann sich möglicherweise dazwischen schieben;
dann streiten die Schriftsteller und geben die Gerichte widersprechende
Urteile. Aber das kann gesagt werden, daß der Zug der Zeit eher

15 Das ergiebt sich aus der rechtlichen Natur der vollziehenden Gewalt;
Bd. I S. 85.
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[189/0201] § 41. Öffentlichrechtliche Eigentumsbeschränkung. drücklich ordnet, seine Voraussetzungen und Formen bestimmt, ist ausgeschlossen, daß das Gleiche außerdem noch von selbst kraft des allgemeinen Grundverhältnisses rechtmäßig geschehen könne. Das gilt nicht nur dann, wenn geradezu die Eigentumsbeschränkung als solche ihr Gegenstand geworden ist. Auch die Rechtssätze über Eigentumsentziehung und Auferlegung von Grunddienstbarkeiten des öffentlichen Rechts werden wirksam: thatsächlich gleichwertige Ein- griffe sind daran gebunden und sind Unrecht, wenn sie anders als gemäß der gesetzlichen Vorschrift geschehen 15. Die öffentlichrechtliche Eigentumsbeschränkung trägt überdies noch ein gewisses Maß in sich selbst. Es ist in der Grundidee ge- geben, auf der sie beruht. Das Eigentum ist nur wehrlos, soweit der öffentlichen Verwaltung geholfen werden kann, ohne es selbst wesent- lich zu beeinträchtigen. Eine wesentliche Beeinträchtigung würde meist schon unter einen der vom Gesetze besonders geordneten Eingriffe fallen, wenn nicht der Form, so doch der Sache nach, und deshalb auf Grund unseres allgemeinen Rechtsinstitutes nicht mehr zulässig sein. Aber auch ohne das ist die Heiligkeit des Eigentums für unser Recht ein ebenso wichtiger Grundsatz, wie das Überwiegen der Erscheinungen der öffentlichen Gewalt. Unser ganzes Rechts- institut beruht auf einem notwendigen Kompromiß zwischen beiden. Nur verhältnismäßig, nur in geringfügigeren Dingen, nur zeitweilig, mit Rücksicht auch auf das Maß des Bedürfnisses, hat das Eigentum zurückzuweichen. Wo die danach zu ziehende Grenze läuft, das ist allerdings Sache der Anschauung. Aber nicht die Anschauung des urteilenden Subjektes, nicht der Gelehrte oder Praktiker bestimmt frei, was ihm gerechtfertigt dünkt, sondern das Gemeinbewußtsein bestimmt darüber, wie es in Übung und Herkommen erscheint. Das ist dann Rechtens. Gewohnheitsrecht dürfen wir das wohl kaum nennen. Gegenüber neu auftauchenden Verwaltungsthätigkeiten und entsprechenden Bedürfnissen bildet sich oft sofort, ohne durch Zeit- ablauf gerechtfertigt zu sein, eine feste Anschauung von dem, was sich gehört. Meist geschieht es in Anlehnung an verwandte Er- scheinungen, die bisher schon in bestimmter Weise behandelt wurden. Eine Zeit des Schwankens kann sich möglicherweise dazwischen schieben; dann streiten die Schriftsteller und geben die Gerichte widersprechende Urteile. Aber das kann gesagt werden, daß der Zug der Zeit eher 15 Das ergiebt sich aus der rechtlichen Natur der vollziehenden Gewalt; Bd. I S. 85.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht02_1896/201>, abgerufen am 26.04.2024.