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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896.

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Das öffentliche Sachenrecht.

Nachteil von der Änderung können auch Andere haben, die nicht
unmittelbar angrenzen. Namentlich die Nachbarn, vor deren Grund-
stück die Straße noch bestehen bleibt, können durch die Unterdrückung
der Fortsetzung derselben genötigt sein, Umwege zu machen oder sind
vielleicht in eine Sackgasse geraten. Das sind keine Eingriffe in ihren
Vermögensstand, keine Wertentziehungen; denn ihr Grundstück selbst
bleibt benutzbar, zugänglich und mit allen Vorteilen des Gemein-
gebrauchs versehen, die es hatte. Andere, noch entferntere Personen
sind vielleicht in ähnlicher, noch geringerer Weise beteiligt: niemand
als der Anlieger hat aus der Straßenänderung den unmittelbaren greif-
baren Schaden, der hier allein in Betracht kommt.

Darin liegt die ganze Lösung der Frage des "Sonderrechtes" der
Anlieger36.

36 Ubbelohde a. a. O. S. 187 bekämpft den vorhin erwähnten Ausspruch
Dernburgs mit dem Hinweis auf die Folgen, zu welchen die Anwendung von dessen
"Grundsatz" führen würde. Die Frachtfuhrleute, welche durch Eröffnung der Eisen-
bahn, die Eigentümer und Hypothekare der Häuser an der alten Straße, welche
durch Ablenkung des Verkehrs nach der neuen Straße, die Industriellen und Land-
wirte, welche aus dem Abschlusse der neuen Handelsverträge Schaden leiden,
müßten nach ihm in Anwendung jenes Grundsatzes ebenfalls Entschädigung be-
anspruchen können. Diese Befürchtungen werden bei genauerer Kenntnis des
Rechtsinstitutes der öffentlichrechtlichen Entschädigung beseitigt werden. In den
vorgelegten Beispielen ist überall wohl ein Schade aus der Maßregel der öffent-
lichen Verwaltung gegeben, aber nicht jener unmittelbare greifbare Schade, das
Opfer, wie die öffentlichrechtliche Entschädigung es voraussetzt. Aus der Unter-
scheidung dieses unmittelbaren Schadens gegenüber dem entfernteren erklären sich
auch manche scheinbare Widersprüche der gerichtlichen Urteile; die Wissenschaft,
welche die Bedeutung dieses Unterschiedes nicht erfaßt hat, glaubt da Schwankungen
der Rechtspflege feststellen zu können, wo in Wirklichkeit keine sind. Insbeson-
dere das Reichsgericht hat sich dieser Kritik ausgesetzt, insofern es, wie oben
Note 31 erwähnt, in gewissen Fällen grundsätzlich den Entschädigungsanspruch
für begründet erklärt, daneben aber in anderen Fällen ihn ebenso grundsätzlich
zu verneinen scheint. Darüber Bekker, Pand. S. 347. Die Fälle der letzteren
Art sind aber eben lauter solche, in denen eine unmittelbare greifbare Schädigung
im angegebenen Sinne nicht vorliegt. R.G. 16. Nov. 1880 (Samml. VII S. 171):
Eine Straßenstrecke wird aufgehoben bis an das Grundstück, auf welchem die
Häuser des Entschädigungsklägers stehen; dieser beschwert sich über "die Be-
schränkung der Zuwegung seines Grundstückes"; er hat aber noch anderen Zu-
gang, die Bequemlichkeit des Zuganges ist nur vermindert; die Zurückweisung des
Entschädigungsanspruches war also gerechtfertigt. Dabei hat das Reichsgericht
allerdings in der Begründung die Idee einer durch stillschweigenden Vertrag ein-
geräumten Servitut an dem Straßenboden ausdrücklich verworfen, welche es, wie
wir gesehen, in andern Entscheidungen ebenso ausdrücklich billigt; überflüssig ist
das eine wie das andere gewesen. -- R.G. 13. Jan. 1882 (Samml. VI S. 159 ff.):
Ein Weg wird aufgehoben; Entschädigungsklage eines Grundbesitzers wegen der
Das öffentliche Sachenrecht.

Nachteil von der Änderung können auch Andere haben, die nicht
unmittelbar angrenzen. Namentlich die Nachbarn, vor deren Grund-
stück die Straße noch bestehen bleibt, können durch die Unterdrückung
der Fortsetzung derselben genötigt sein, Umwege zu machen oder sind
vielleicht in eine Sackgasse geraten. Das sind keine Eingriffe in ihren
Vermögensstand, keine Wertentziehungen; denn ihr Grundstück selbst
bleibt benutzbar, zugänglich und mit allen Vorteilen des Gemein-
gebrauchs versehen, die es hatte. Andere, noch entferntere Personen
sind vielleicht in ähnlicher, noch geringerer Weise beteiligt: niemand
als der Anlieger hat aus der Straßenänderung den unmittelbaren greif-
baren Schaden, der hier allein in Betracht kommt.

Darin liegt die ganze Lösung der Frage des „Sonderrechtes“ der
Anlieger36.

36 Ubbelohde a. a. O. S. 187 bekämpft den vorhin erwähnten Ausspruch
Dernburgs mit dem Hinweis auf die Folgen, zu welchen die Anwendung von dessen
„Grundsatz“ führen würde. Die Frachtfuhrleute, welche durch Eröffnung der Eisen-
bahn, die Eigentümer und Hypothekare der Häuser an der alten Straße, welche
durch Ablenkung des Verkehrs nach der neuen Straße, die Industriellen und Land-
wirte, welche aus dem Abschlusse der neuen Handelsverträge Schaden leiden,
müßten nach ihm in Anwendung jenes Grundsatzes ebenfalls Entschädigung be-
anspruchen können. Diese Befürchtungen werden bei genauerer Kenntnis des
Rechtsinstitutes der öffentlichrechtlichen Entschädigung beseitigt werden. In den
vorgelegten Beispielen ist überall wohl ein Schade aus der Maßregel der öffent-
lichen Verwaltung gegeben, aber nicht jener unmittelbare greifbare Schade, das
Opfer, wie die öffentlichrechtliche Entschädigung es voraussetzt. Aus der Unter-
scheidung dieses unmittelbaren Schadens gegenüber dem entfernteren erklären sich
auch manche scheinbare Widersprüche der gerichtlichen Urteile; die Wissenschaft,
welche die Bedeutung dieses Unterschiedes nicht erfaßt hat, glaubt da Schwankungen
der Rechtspflege feststellen zu können, wo in Wirklichkeit keine sind. Insbeson-
dere das Reichsgericht hat sich dieser Kritik ausgesetzt, insofern es, wie oben
Note 31 erwähnt, in gewissen Fällen grundsätzlich den Entschädigungsanspruch
für begründet erklärt, daneben aber in anderen Fällen ihn ebenso grundsätzlich
zu verneinen scheint. Darüber Bekker, Pand. S. 347. Die Fälle der letzteren
Art sind aber eben lauter solche, in denen eine unmittelbare greifbare Schädigung
im angegebenen Sinne nicht vorliegt. R.G. 16. Nov. 1880 (Samml. VII S. 171):
Eine Straßenstrecke wird aufgehoben bis an das Grundstück, auf welchem die
Häuser des Entschädigungsklägers stehen; dieser beschwert sich über „die Be-
schränkung der Zuwegung seines Grundstückes“; er hat aber noch anderen Zu-
gang, die Bequemlichkeit des Zuganges ist nur vermindert; die Zurückweisung des
Entschädigungsanspruches war also gerechtfertigt. Dabei hat das Reichsgericht
allerdings in der Begründung die Idee einer durch stillschweigenden Vertrag ein-
geräumten Servitut an dem Straßenboden ausdrücklich verworfen, welche es, wie
wir gesehen, in andern Entscheidungen ebenso ausdrücklich billigt; überflüssig ist
das eine wie das andere gewesen. — R.G. 13. Jan. 1882 (Samml. VI S. 159 ff.):
Ein Weg wird aufgehoben; Entschädigungsklage eines Grundbesitzers wegen der
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[136/0148] Das öffentliche Sachenrecht. Nachteil von der Änderung können auch Andere haben, die nicht unmittelbar angrenzen. Namentlich die Nachbarn, vor deren Grund- stück die Straße noch bestehen bleibt, können durch die Unterdrückung der Fortsetzung derselben genötigt sein, Umwege zu machen oder sind vielleicht in eine Sackgasse geraten. Das sind keine Eingriffe in ihren Vermögensstand, keine Wertentziehungen; denn ihr Grundstück selbst bleibt benutzbar, zugänglich und mit allen Vorteilen des Gemein- gebrauchs versehen, die es hatte. Andere, noch entferntere Personen sind vielleicht in ähnlicher, noch geringerer Weise beteiligt: niemand als der Anlieger hat aus der Straßenänderung den unmittelbaren greif- baren Schaden, der hier allein in Betracht kommt. Darin liegt die ganze Lösung der Frage des „Sonderrechtes“ der Anlieger 36. 36 Ubbelohde a. a. O. S. 187 bekämpft den vorhin erwähnten Ausspruch Dernburgs mit dem Hinweis auf die Folgen, zu welchen die Anwendung von dessen „Grundsatz“ führen würde. Die Frachtfuhrleute, welche durch Eröffnung der Eisen- bahn, die Eigentümer und Hypothekare der Häuser an der alten Straße, welche durch Ablenkung des Verkehrs nach der neuen Straße, die Industriellen und Land- wirte, welche aus dem Abschlusse der neuen Handelsverträge Schaden leiden, müßten nach ihm in Anwendung jenes Grundsatzes ebenfalls Entschädigung be- anspruchen können. Diese Befürchtungen werden bei genauerer Kenntnis des Rechtsinstitutes der öffentlichrechtlichen Entschädigung beseitigt werden. In den vorgelegten Beispielen ist überall wohl ein Schade aus der Maßregel der öffent- lichen Verwaltung gegeben, aber nicht jener unmittelbare greifbare Schade, das Opfer, wie die öffentlichrechtliche Entschädigung es voraussetzt. Aus der Unter- scheidung dieses unmittelbaren Schadens gegenüber dem entfernteren erklären sich auch manche scheinbare Widersprüche der gerichtlichen Urteile; die Wissenschaft, welche die Bedeutung dieses Unterschiedes nicht erfaßt hat, glaubt da Schwankungen der Rechtspflege feststellen zu können, wo in Wirklichkeit keine sind. Insbeson- dere das Reichsgericht hat sich dieser Kritik ausgesetzt, insofern es, wie oben Note 31 erwähnt, in gewissen Fällen grundsätzlich den Entschädigungsanspruch für begründet erklärt, daneben aber in anderen Fällen ihn ebenso grundsätzlich zu verneinen scheint. Darüber Bekker, Pand. S. 347. Die Fälle der letzteren Art sind aber eben lauter solche, in denen eine unmittelbare greifbare Schädigung im angegebenen Sinne nicht vorliegt. R.G. 16. Nov. 1880 (Samml. VII S. 171): Eine Straßenstrecke wird aufgehoben bis an das Grundstück, auf welchem die Häuser des Entschädigungsklägers stehen; dieser beschwert sich über „die Be- schränkung der Zuwegung seines Grundstückes“; er hat aber noch anderen Zu- gang, die Bequemlichkeit des Zuganges ist nur vermindert; die Zurückweisung des Entschädigungsanspruches war also gerechtfertigt. Dabei hat das Reichsgericht allerdings in der Begründung die Idee einer durch stillschweigenden Vertrag ein- geräumten Servitut an dem Straßenboden ausdrücklich verworfen, welche es, wie wir gesehen, in andern Entscheidungen ebenso ausdrücklich billigt; überflüssig ist das eine wie das andere gewesen. — R.G. 13. Jan. 1882 (Samml. VI S. 159 ff.): Ein Weg wird aufgehoben; Entschädigungsklage eines Grundbesitzers wegen der

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht02_1896/148>, abgerufen am 26.04.2024.