Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Polizeigewalt.
mässigkeit vorgegangen werden: die Gewaltanwendung muss sich aber
dann (abgesehen von besonderen Gesetzesbestimmungen) rechtfertigen,
entweder als Verteidigung der guten Ordnung, der öffentlichen Strasse
(oben I), oder als Verhinderung einer strafbaren Handlung, in der er
begriffen wäre (oben II). Passt keiner dieser Fälle, so muss auf den
Gesichtspunkt der Rettung zurückgegriffen werden und der praktische
Unterschied ist der, dass dann immerhin die Rechtmässigkeit der
Gewalt von einer Art Notlage abhängt in dem obigen Sinn; zum
mindesten müsste eine gewisse Schwierigkeit bestehen, den geraden
Weg der Abwehr des Angriffs zu wählen, der ja seinerseits als straf-
bare Handlung stets der Gewaltanwendung unterliegt; wo das nicht
der Fall ist, würde die Vergewaltigung des Angegriffenen statt der
Angreifer rechtswidrig sein17.

§ 25.
Fortsetzung; Zwang durch Gewaltanwendung insbesondere.

Die Gewaltanwendung dient sowohl der polizeilichen Zwangs-
vollstreckung als dem unmittelbaren Zwang. Die Voraussetzungen,
unter welchen dieses Zwangsmittel zulässig ist, sind in § 23, III und
in § 24 festgestellt worden. Für die Art, wie es gebraucht und
wirksam gemacht wird, gelten gewisse gemeinsame Regeln.

I. Zur Gewaltanwendung bedient sich die Verwaltung der ihr
zur Verfügung stehenden Menschenkräfte, wie sie ihr die öffentlich-
rechtliche Dienstpflicht in ihren verschiedenen Formen verschafft oder
civilrechtlicher Dienstvertrag oder die Hülfeleistung zugezogener Bürger.
Darunter ragt nun aber hervor eine besondere Art von niederen Be-
amten, welche berufsmässig dazu bestimmt sind, der polizeilichen
Gewaltanwendung den Arm zu leihen. Das sind die polizei-
lichen Vollstreckungsbeamten
.

Die Verwaltung des französischen Königtums hatte mit ihrer
marechaussee den deutschen Fürsten das Vorbild gegeben für ein

17 G. Meyer, V.R. I S. 162, erklärt aus allgemeinen Grundsätzen, auch ohne ge-
setzliche Ermächtigung, Verhaftungen für zulässig, "wenn diese im Interesse der
öffentlichen Sicherheit, Ruhe oder Sittlichkeit oder zum eignen Schutze der ver-
hafteten Person notwendig erscheinen." Das "notwendig" muss aber doch in diesem
letzteren Fall eine ganz andere Schärfe haben, als in den anderen. Es ist gar
nicht einmal wünschenswert, dass das Gesetz, wie das preussische v. 12. Febr. 1850
§ 6 thut, solche Verhaftungen ausdrücklich vorsieht. Der Beamte soll das Be-
wusstsein behalten, etwas Ausserordentliches zu thun, wozu ihn nur ausserordent-
liche Umstände berechtigen.

Die Polizeigewalt.
mäſsigkeit vorgegangen werden: die Gewaltanwendung muſs sich aber
dann (abgesehen von besonderen Gesetzesbestimmungen) rechtfertigen,
entweder als Verteidigung der guten Ordnung, der öffentlichen Straſse
(oben I), oder als Verhinderung einer strafbaren Handlung, in der er
begriffen wäre (oben II). Paſst keiner dieser Fälle, so muſs auf den
Gesichtspunkt der Rettung zurückgegriffen werden und der praktische
Unterschied ist der, daſs dann immerhin die Rechtmäſsigkeit der
Gewalt von einer Art Notlage abhängt in dem obigen Sinn; zum
mindesten müſste eine gewisse Schwierigkeit bestehen, den geraden
Weg der Abwehr des Angriffs zu wählen, der ja seinerseits als straf-
bare Handlung stets der Gewaltanwendung unterliegt; wo das nicht
der Fall ist, würde die Vergewaltigung des Angegriffenen statt der
Angreifer rechtswidrig sein17.

§ 25.
Fortsetzung; Zwang durch Gewaltanwendung insbesondere.

Die Gewaltanwendung dient sowohl der polizeilichen Zwangs-
vollstreckung als dem unmittelbaren Zwang. Die Voraussetzungen,
unter welchen dieses Zwangsmittel zulässig ist, sind in § 23, III und
in § 24 festgestellt worden. Für die Art, wie es gebraucht und
wirksam gemacht wird, gelten gewisse gemeinsame Regeln.

I. Zur Gewaltanwendung bedient sich die Verwaltung der ihr
zur Verfügung stehenden Menschenkräfte, wie sie ihr die öffentlich-
rechtliche Dienstpflicht in ihren verschiedenen Formen verschafft oder
civilrechtlicher Dienstvertrag oder die Hülfeleistung zugezogener Bürger.
Darunter ragt nun aber hervor eine besondere Art von niederen Be-
amten, welche berufsmäſsig dazu bestimmt sind, der polizeilichen
Gewaltanwendung den Arm zu leihen. Das sind die polizei-
lichen Vollstreckungsbeamten
.

Die Verwaltung des französischen Königtums hatte mit ihrer
maréchaussée den deutschen Fürsten das Vorbild gegeben für ein

17 G. Meyer, V.R. I S. 162, erklärt aus allgemeinen Grundsätzen, auch ohne ge-
setzliche Ermächtigung, Verhaftungen für zulässig, „wenn diese im Interesse der
öffentlichen Sicherheit, Ruhe oder Sittlichkeit oder zum eignen Schutze der ver-
hafteten Person notwendig erscheinen.“ Das „notwendig“ muſs aber doch in diesem
letzteren Fall eine ganz andere Schärfe haben, als in den anderen. Es ist gar
nicht einmal wünschenswert, daſs das Gesetz, wie das preuſsische v. 12. Febr. 1850
§ 6 thut, solche Verhaftungen ausdrücklich vorsieht. Der Beamte soll das Be-
wuſstsein behalten, etwas Auſserordentliches zu thun, wozu ihn nur auſserordent-
liche Umstände berechtigen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0378" n="358"/><fw place="top" type="header">Die Polizeigewalt.</fw><lb/>&#x017F;sigkeit vorgegangen werden: die Gewaltanwendung mu&#x017F;s sich aber<lb/>
dann (abgesehen von besonderen Gesetzesbestimmungen) rechtfertigen,<lb/>
entweder als Verteidigung der guten Ordnung, der öffentlichen Stra&#x017F;se<lb/>
(oben I), oder als Verhinderung einer strafbaren Handlung, in der er<lb/>
begriffen wäre (oben II). Pa&#x017F;st keiner dieser Fälle, so mu&#x017F;s auf den<lb/>
Gesichtspunkt der Rettung zurückgegriffen werden und der praktische<lb/>
Unterschied ist der, da&#x017F;s dann immerhin die Rechtmä&#x017F;sigkeit der<lb/>
Gewalt von einer Art <hi rendition="#g">Notlage</hi> abhängt in dem obigen Sinn; zum<lb/>
mindesten mü&#x017F;ste eine gewisse Schwierigkeit bestehen, den geraden<lb/>
Weg der Abwehr des Angriffs zu wählen, der ja seinerseits als straf-<lb/>
bare Handlung stets der Gewaltanwendung unterliegt; wo das nicht<lb/>
der Fall ist, würde die Vergewaltigung des Angegriffenen statt der<lb/>
Angreifer rechtswidrig sein<note place="foot" n="17">G. <hi rendition="#g">Meyer,</hi> V.R. I S. 162, erklärt aus allgemeinen Grundsätzen, auch ohne ge-<lb/>
setzliche Ermächtigung, Verhaftungen für zulässig, &#x201E;wenn diese im Interesse der<lb/>
öffentlichen Sicherheit, Ruhe oder Sittlichkeit oder zum eignen Schutze der ver-<lb/>
hafteten Person notwendig erscheinen.&#x201C; Das &#x201E;notwendig&#x201C; mu&#x017F;s aber doch in diesem<lb/>
letzteren Fall eine ganz andere Schärfe haben, als in den anderen. Es ist gar<lb/>
nicht einmal wünschenswert, da&#x017F;s das Gesetz, wie das preu&#x017F;sische v. 12. Febr. 1850<lb/>
§ 6 thut, solche Verhaftungen ausdrücklich vorsieht. Der Beamte soll das Be-<lb/>
wu&#x017F;stsein behalten, etwas Au&#x017F;serordentliches zu thun, wozu ihn nur au&#x017F;serordent-<lb/>
liche Umstände berechtigen.</note>.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>§ 25.<lb/><hi rendition="#b">Fortsetzung; Zwang durch Gewaltanwendung insbesondere.</hi></head><lb/>
              <p>Die Gewaltanwendung dient sowohl der polizeilichen Zwangs-<lb/>
vollstreckung als dem unmittelbaren Zwang. Die Voraussetzungen,<lb/>
unter <choice><sic>weIchen</sic><corr>welchen</corr></choice> dieses Zwangsmittel zulässig ist, sind in § 23, III und<lb/>
in § 24 festgestellt worden. Für die Art, wie es gebraucht und<lb/>
wirksam gemacht wird, gelten gewisse gemeinsame Regeln.</p><lb/>
              <p>I. Zur Gewaltanwendung bedient sich die Verwaltung der ihr<lb/>
zur Verfügung stehenden Menschenkräfte, wie sie ihr die öffentlich-<lb/>
rechtliche Dienstpflicht in ihren verschiedenen Formen verschafft oder<lb/>
civilrechtlicher Dienstvertrag oder die Hülfeleistung zugezogener Bürger.<lb/>
Darunter ragt nun aber hervor eine besondere Art von niederen Be-<lb/>
amten, welche berufsmä&#x017F;sig dazu bestimmt sind, der polizeilichen<lb/>
Gewaltanwendung den Arm zu leihen. Das sind die <hi rendition="#g">polizei-<lb/>
lichen Vollstreckungsbeamten</hi>.</p><lb/>
              <p>Die Verwaltung des französischen Königtums hatte mit ihrer<lb/>
maréchaussée den deutschen Fürsten das Vorbild gegeben für ein<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[358/0378] Die Polizeigewalt. mäſsigkeit vorgegangen werden: die Gewaltanwendung muſs sich aber dann (abgesehen von besonderen Gesetzesbestimmungen) rechtfertigen, entweder als Verteidigung der guten Ordnung, der öffentlichen Straſse (oben I), oder als Verhinderung einer strafbaren Handlung, in der er begriffen wäre (oben II). Paſst keiner dieser Fälle, so muſs auf den Gesichtspunkt der Rettung zurückgegriffen werden und der praktische Unterschied ist der, daſs dann immerhin die Rechtmäſsigkeit der Gewalt von einer Art Notlage abhängt in dem obigen Sinn; zum mindesten müſste eine gewisse Schwierigkeit bestehen, den geraden Weg der Abwehr des Angriffs zu wählen, der ja seinerseits als straf- bare Handlung stets der Gewaltanwendung unterliegt; wo das nicht der Fall ist, würde die Vergewaltigung des Angegriffenen statt der Angreifer rechtswidrig sein 17. § 25. Fortsetzung; Zwang durch Gewaltanwendung insbesondere. Die Gewaltanwendung dient sowohl der polizeilichen Zwangs- vollstreckung als dem unmittelbaren Zwang. Die Voraussetzungen, unter welchen dieses Zwangsmittel zulässig ist, sind in § 23, III und in § 24 festgestellt worden. Für die Art, wie es gebraucht und wirksam gemacht wird, gelten gewisse gemeinsame Regeln. I. Zur Gewaltanwendung bedient sich die Verwaltung der ihr zur Verfügung stehenden Menschenkräfte, wie sie ihr die öffentlich- rechtliche Dienstpflicht in ihren verschiedenen Formen verschafft oder civilrechtlicher Dienstvertrag oder die Hülfeleistung zugezogener Bürger. Darunter ragt nun aber hervor eine besondere Art von niederen Be- amten, welche berufsmäſsig dazu bestimmt sind, der polizeilichen Gewaltanwendung den Arm zu leihen. Das sind die polizei- lichen Vollstreckungsbeamten. Die Verwaltung des französischen Königtums hatte mit ihrer maréchaussée den deutschen Fürsten das Vorbild gegeben für ein 17 G. Meyer, V.R. I S. 162, erklärt aus allgemeinen Grundsätzen, auch ohne ge- setzliche Ermächtigung, Verhaftungen für zulässig, „wenn diese im Interesse der öffentlichen Sicherheit, Ruhe oder Sittlichkeit oder zum eignen Schutze der ver- hafteten Person notwendig erscheinen.“ Das „notwendig“ muſs aber doch in diesem letzteren Fall eine ganz andere Schärfe haben, als in den anderen. Es ist gar nicht einmal wünschenswert, daſs das Gesetz, wie das preuſsische v. 12. Febr. 1850 § 6 thut, solche Verhaftungen ausdrücklich vorsieht. Der Beamte soll das Be- wuſstsein behalten, etwas Auſserordentliches zu thun, wozu ihn nur auſserordent- liche Umstände berechtigen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/378
Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/378>, abgerufen am 03.12.2024.