Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Polizeigewalt.
ausschliessungsgrund anerkennt, die Fälle der unrichtigen Würdigung
eines Rechtsverhältnisses eine hervorragende Rolle spielen21.

§ 23.
Der Polizeizwang; polizeiliche Zwangsvollstreckung.

Unter Polizeizwang verstehen wir die Anwendung obrig-
keitlicher Machtmittel zur Durchführung der polizei-
lichen Pflicht
. Solche Machtmittel besitzt die öffentliche Gewalt
dem Unterthanen gegenüber unbegrenzt; inwiefern davon in rechtlich-
zulässiger Weise Gebrauch gemacht werden kann, bestimmt sich nach
den Ordnungen des Verfassungs- und Rechtsstaates.

Unter Umständen wird die überwältigende Einwirkung der obrig-
keitlichen Macht ohne weiteres losgelassen gegen die Polizeiwidrig-
keit; das giebt die Fälle des unmittelbaren Zwangs; davon
unten § 24.

Daneben findet sich, dem Grundgedanken des Rechtsstaates ent-
sprechend, eine polizeiliche Zwangsvollstreckung ausge-
bildet, welche den Formen der Civilrechtspflege sich möglichst an-
schliesst.

Die polizeiliche Zwangsvollstreckung ist das geordnete Ver-
fahren zur Durchführung eines nicht befolgten Polizei-
befehls
1. Der Polizeibefehl ist für sie, was für die civilprozess-

21 Hierher gehören alle Polizeistraffälle, in deren Behandlung Loos,
Stf.R.Zeitung X S. 327, eine Abweichung des Preuss. Obertribunals von seinem
Grundsatze des objektiven Massstabes erkennt. O.Tr. 1. März 1866: guter Glaube,
selbst jagdberechtigt zu sein; O.Tr. 13. Juni 1867: irrige Meinung, zur Wegebau-
last rechtlich nicht verbunden zu sein. Beide Male macht der Irrtum straffrei.
Haelschner, Stf.R. I S. 319 Anm. 1, führt ganz richtig als Hauptfälle der Wirk-
samkeit des Irrtums solche an, wo das Polizeidelikt ein "unbefugtes Handeln" vor-
aussetzt. Andere Beispiele: O.L.G. München 13. Febr. 1880 (Reger I S. 336);
17. Febr. 1883 (Reger IV S. 190); R.G. 3. März 1884. Gleicher Art ist der oben
§ 21 Note 27 erwähnte Fall der ungültigen Polizeierlaubnis, in welchem das Reichs-
gericht wegen Irrtums freispricht. Es handelt sich hier nicht um eine unrichtige
Auskunft über das Gesetz (oben Note 20), sondern um ein besonderes Rechtsver-
hältnis, das auf Grund des Gesetzes geschaffen sein soll, und darin ist der Irrtum
erlaubt.
1 Die grundlegende Unterscheidung der polizeilichen Zwangsvollstreckung
und des unmittelbaren Polizeizwangs ist wenigstens angedeutet bei Foerstemann,
Pol.R. S. 393, welcher die erstere als "eigentliche Exekutivbefugnis der Polizei"
dem Zwang der Polizei "für ihr sonstiges Wirken" gegenüber stellt. --
Wenn G. Meyer in Wörterbuch II S. 800 das Verwaltungszwangsverfahren

Die Polizeigewalt.
ausschlieſsungsgrund anerkennt, die Fälle der unrichtigen Würdigung
eines Rechtsverhältnisses eine hervorragende Rolle spielen21.

§ 23.
Der Polizeizwang; polizeiliche Zwangsvollstreckung.

Unter Polizeizwang verstehen wir die Anwendung obrig-
keitlicher Machtmittel zur Durchführung der polizei-
lichen Pflicht
. Solche Machtmittel besitzt die öffentliche Gewalt
dem Unterthanen gegenüber unbegrenzt; inwiefern davon in rechtlich-
zulässiger Weise Gebrauch gemacht werden kann, bestimmt sich nach
den Ordnungen des Verfassungs- und Rechtsstaates.

Unter Umständen wird die überwältigende Einwirkung der obrig-
keitlichen Macht ohne weiteres losgelassen gegen die Polizeiwidrig-
keit; das giebt die Fälle des unmittelbaren Zwangs; davon
unten § 24.

Daneben findet sich, dem Grundgedanken des Rechtsstaates ent-
sprechend, eine polizeiliche Zwangsvollstreckung ausge-
bildet, welche den Formen der Civilrechtspflege sich möglichst an-
schlieſst.

Die polizeiliche Zwangsvollstreckung ist das geordnete Ver-
fahren zur Durchführung eines nicht befolgten Polizei-
befehls
1. Der Polizeibefehl ist für sie, was für die civilprozeſs-

21 Hierher gehören alle Polizeistraffälle, in deren Behandlung Loos,
Stf.R.Zeitung X S. 327, eine Abweichung des Preuſs. Obertribunals von seinem
Grundsatze des objektiven Maſsstabes erkennt. O.Tr. 1. März 1866: guter Glaube,
selbst jagdberechtigt zu sein; O.Tr. 13. Juni 1867: irrige Meinung, zur Wegebau-
last rechtlich nicht verbunden zu sein. Beide Male macht der Irrtum straffrei.
Haelschner, Stf.R. I S. 319 Anm. 1, führt ganz richtig als Hauptfälle der Wirk-
samkeit des Irrtums solche an, wo das Polizeidelikt ein „unbefugtes Handeln“ vor-
aussetzt. Andere Beispiele: O.L.G. München 13. Febr. 1880 (Reger I S. 336);
17. Febr. 1883 (Reger IV S. 190); R.G. 3. März 1884. Gleicher Art ist der oben
§ 21 Note 27 erwähnte Fall der ungültigen Polizeierlaubnis, in welchem das Reichs-
gericht wegen Irrtums freispricht. Es handelt sich hier nicht um eine unrichtige
Auskunft über das Gesetz (oben Note 20), sondern um ein besonderes Rechtsver-
hältnis, das auf Grund des Gesetzes geschaffen sein soll, und darin ist der Irrtum
erlaubt.
1 Die grundlegende Unterscheidung der polizeilichen Zwangsvollstreckung
und des unmittelbaren Polizeizwangs ist wenigstens angedeutet bei Foerstemann,
Pol.R. S. 393, welcher die erstere als „eigentliche Exekutivbefugnis der Polizei“
dem Zwang der Polizei „für ihr sonstiges Wirken“ gegenüber stellt. —
Wenn G. Meyer in Wörterbuch II S. 800 das Verwaltungszwangsverfahren
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0346" n="326"/><fw place="top" type="header">Die Polizeigewalt.</fw><lb/>
ausschlie&#x017F;sungsgrund anerkennt, die Fälle der unrichtigen Würdigung<lb/>
eines Rechtsverhältnisses eine hervorragende Rolle spielen<note place="foot" n="21">Hierher gehören alle Polizeistraffälle, in deren Behandlung <hi rendition="#g">Loos,</hi><lb/>
Stf.R.Zeitung X S. 327, eine Abweichung des Preu&#x017F;s. Obertribunals von seinem<lb/>
Grundsatze des objektiven Ma&#x017F;sstabes erkennt. O.Tr. 1. März 1866: guter Glaube,<lb/>
selbst jagdberechtigt zu sein; O.Tr. 13. Juni 1867: irrige Meinung, zur Wegebau-<lb/>
last rechtlich nicht verbunden zu sein. Beide Male macht der Irrtum straffrei.<lb/><hi rendition="#g">Haelschner,</hi> Stf.R. I S. 319 Anm. 1, führt ganz richtig als Hauptfälle der Wirk-<lb/>
samkeit des Irrtums solche an, wo das Polizeidelikt ein &#x201E;unbefugtes Handeln&#x201C; vor-<lb/>
aussetzt. Andere Beispiele: O.L.G. München 13. Febr. 1880 (<hi rendition="#g">Reger</hi> I S. 336);<lb/>
17. Febr. 1883 (<hi rendition="#g">Reger</hi> IV S. 190); R.G. 3. März 1884. Gleicher Art ist der oben<lb/>
§ 21 Note 27 erwähnte Fall der ungültigen Polizeierlaubnis, in welchem das Reichs-<lb/>
gericht wegen Irrtums freispricht. Es handelt sich hier nicht um eine unrichtige<lb/>
Auskunft über das Gesetz (oben Note 20), sondern um ein besonderes Rechtsver-<lb/>
hältnis, das auf Grund des Gesetzes geschaffen sein soll, und darin ist der Irrtum<lb/>
erlaubt.</note>.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>§ 23.<lb/><hi rendition="#b">Der Polizeizwang; polizeiliche Zwangsvollstreckung.</hi></head><lb/>
              <p>Unter Polizeizwang verstehen wir die <hi rendition="#g">Anwendung obrig-<lb/>
keitlicher Machtmittel zur Durchführung der polizei-<lb/>
lichen Pflicht</hi>. Solche Machtmittel besitzt die öffentliche Gewalt<lb/>
dem Unterthanen gegenüber unbegrenzt; inwiefern davon in rechtlich-<lb/>
zulässiger Weise Gebrauch gemacht werden kann, bestimmt sich nach<lb/>
den Ordnungen des Verfassungs- und Rechtsstaates.</p><lb/>
              <p>Unter Umständen wird die überwältigende Einwirkung der obrig-<lb/>
keitlichen Macht ohne weiteres losgelassen gegen die Polizeiwidrig-<lb/>
keit; das giebt die Fälle des <hi rendition="#g">unmittelbaren Zwangs;</hi> davon<lb/>
unten § 24.</p><lb/>
              <p>Daneben findet sich, dem Grundgedanken des Rechtsstaates ent-<lb/>
sprechend, eine <hi rendition="#g">polizeiliche Zwangsvollstreckung</hi> ausge-<lb/>
bildet, welche den Formen der Civilrechtspflege sich möglichst an-<lb/>
schlie&#x017F;st.</p><lb/>
              <p>Die polizeiliche Zwangsvollstreckung ist das <hi rendition="#g">geordnete Ver-<lb/>
fahren zur Durchführung eines nicht befolgten Polizei-<lb/>
befehls</hi><note xml:id="seg2pn_76_1" next="#seg2pn_76_2" place="foot" n="1">Die grundlegende Unterscheidung der polizeilichen Zwangsvollstreckung<lb/>
und des unmittelbaren Polizeizwangs ist wenigstens angedeutet bei <hi rendition="#g">Foerstemann,</hi><lb/>
Pol.R. S. 393, welcher die erstere als &#x201E;eigentliche Exekutivbefugnis der Polizei&#x201C;<lb/>
dem Zwang der Polizei &#x201E;für ihr sonstiges Wirken&#x201C; gegenüber stellt. &#x2014;<lb/>
Wenn G. <hi rendition="#g">Meyer</hi> in Wörterbuch II S. 800 das Verwaltungszwangsverfahren</note>. Der Polizeibefehl ist für sie, was für die civilproze&#x017F;s-<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[326/0346] Die Polizeigewalt. ausschlieſsungsgrund anerkennt, die Fälle der unrichtigen Würdigung eines Rechtsverhältnisses eine hervorragende Rolle spielen 21. § 23. Der Polizeizwang; polizeiliche Zwangsvollstreckung. Unter Polizeizwang verstehen wir die Anwendung obrig- keitlicher Machtmittel zur Durchführung der polizei- lichen Pflicht. Solche Machtmittel besitzt die öffentliche Gewalt dem Unterthanen gegenüber unbegrenzt; inwiefern davon in rechtlich- zulässiger Weise Gebrauch gemacht werden kann, bestimmt sich nach den Ordnungen des Verfassungs- und Rechtsstaates. Unter Umständen wird die überwältigende Einwirkung der obrig- keitlichen Macht ohne weiteres losgelassen gegen die Polizeiwidrig- keit; das giebt die Fälle des unmittelbaren Zwangs; davon unten § 24. Daneben findet sich, dem Grundgedanken des Rechtsstaates ent- sprechend, eine polizeiliche Zwangsvollstreckung ausge- bildet, welche den Formen der Civilrechtspflege sich möglichst an- schlieſst. Die polizeiliche Zwangsvollstreckung ist das geordnete Ver- fahren zur Durchführung eines nicht befolgten Polizei- befehls 1. Der Polizeibefehl ist für sie, was für die civilprozeſs- 21 Hierher gehören alle Polizeistraffälle, in deren Behandlung Loos, Stf.R.Zeitung X S. 327, eine Abweichung des Preuſs. Obertribunals von seinem Grundsatze des objektiven Maſsstabes erkennt. O.Tr. 1. März 1866: guter Glaube, selbst jagdberechtigt zu sein; O.Tr. 13. Juni 1867: irrige Meinung, zur Wegebau- last rechtlich nicht verbunden zu sein. Beide Male macht der Irrtum straffrei. Haelschner, Stf.R. I S. 319 Anm. 1, führt ganz richtig als Hauptfälle der Wirk- samkeit des Irrtums solche an, wo das Polizeidelikt ein „unbefugtes Handeln“ vor- aussetzt. Andere Beispiele: O.L.G. München 13. Febr. 1880 (Reger I S. 336); 17. Febr. 1883 (Reger IV S. 190); R.G. 3. März 1884. Gleicher Art ist der oben § 21 Note 27 erwähnte Fall der ungültigen Polizeierlaubnis, in welchem das Reichs- gericht wegen Irrtums freispricht. Es handelt sich hier nicht um eine unrichtige Auskunft über das Gesetz (oben Note 20), sondern um ein besonderes Rechtsver- hältnis, das auf Grund des Gesetzes geschaffen sein soll, und darin ist der Irrtum erlaubt. 1 Die grundlegende Unterscheidung der polizeilichen Zwangsvollstreckung und des unmittelbaren Polizeizwangs ist wenigstens angedeutet bei Foerstemann, Pol.R. S. 393, welcher die erstere als „eigentliche Exekutivbefugnis der Polizei“ dem Zwang der Polizei „für ihr sonstiges Wirken“ gegenüber stellt. — Wenn G. Meyer in Wörterbuch II S. 800 das Verwaltungszwangsverfahren

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/346
Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/346>, abgerufen am 22.12.2024.