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Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796.

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Von Verträgen.
handlungen haben, als bloßen Tractaten, noch keine ver-
bindliche Kraft a). Die Einwilligung selbst kann durch
Worte, oder anerkannte Wortzeichen, oder, wie bey still-
schweigenden Verträgen, durch andere Handlungen zu er-
kennen gegeben werden. In Ansehung der Verbindlichkeit
ist es gleichgültig, ob die Erklärung blos mündlich b) oder
schriftlich geschehn, ob wohl jetzt zu Erleichterung des Be-
weises alle Verträge der Völker schriftlich verfasset zu wer-
den pflegen.

a) Ein Beyspiel von Anwendung dieses Grundsatzes s. in m. Essai
concernant les amateurs
§. 65. p.
192. Vergl. §. 41. not. c. p. 117.
b) Daß jetzt mündlich geschlossene Verträge nicht mehr verbindlich
seyn behauptet Hr. Neyron de vi foederum, speciatim de obliga-
tione success. ex foed antecessorum
§. 23, aber wie ich glaube,
ohne Grund, wenn gleich alle Verträge schriftlich aufgesetzt zu
werden pflegen, und einige Staaten z. B. die vereinigten Nie-
derlande über keinen Vorschlag einer fremden Macht berath-
schlagen, der ihnen nicht schriftlich vorgelegt worden. Daß
indeß auch sie eine mündliche Erklärung für verbindlich halten,
zeiget noch ein neueres Beyspiel. Nouv. extr. 1785. n. 21.
22. suppl.
§. 44.
3) Die Einwilligung muß frey seyn.

Die Einwilligung muß 3) frey seyn. Würde einem
Regenten oder dessen Bevollmächtigten durch physischen
Zwang die Unterschrift abgenöthiget, so wäre diese passive
Handlung unverbindlich. Wenn aber bloß Furcht vor der
gegenwärtigen oder bevorstehenden Gewalt einer andren
Macht ihn zu Schließung eines obwohl ungern eingegan-
genen Vertrages bestimmt, so kann er den Mangel der
Einwilligung nicht vorschützen. Ob aber diese Macht die
Erfüllung eines solchen Vertrages fordern könne, hängt von
der Rechtmäßigkeit oder Unrechtmäßigkeit der gebrauchten
Gewalt ab, da niemand aus seiner ungerechten Gewalt ein
Recht erwerben kann a). Da indeß eine Nation nicht
Richterinn der andren ist, und beide keinen höheren Rich-

ter
D 4

Von Vertraͤgen.
handlungen haben, als bloßen Tractaten, noch keine ver-
bindliche Kraft a). Die Einwilligung ſelbſt kann durch
Worte, oder anerkannte Wortzeichen, oder, wie bey ſtill-
ſchweigenden Vertraͤgen, durch andere Handlungen zu er-
kennen gegeben werden. In Anſehung der Verbindlichkeit
iſt es gleichguͤltig, ob die Erklaͤrung blos muͤndlich b) oder
ſchriftlich geſchehn, ob wohl jetzt zu Erleichterung des Be-
weiſes alle Vertraͤge der Voͤlker ſchriftlich verfaſſet zu wer-
den pflegen.

a) Ein Beyſpiel von Anwendung dieſes Grundſatzes ſ. in m. Eſſai
concernant les amateurs
§. 65. p.
192. Vergl. §. 41. not. c. p. 117.
b) Daß jetzt muͤndlich geſchloſſene Vertraͤge nicht mehr verbindlich
ſeyn behauptet Hr. Neyron de vi foederum, ſpeciatim de obliga-
tione ſucceſſ. ex foed anteceſſorum
§. 23, aber wie ich glaube,
ohne Grund, wenn gleich alle Vertraͤge ſchriftlich aufgeſetzt zu
werden pflegen, und einige Staaten z. B. die vereinigten Nie-
derlande uͤber keinen Vorſchlag einer fremden Macht berath-
ſchlagen, der ihnen nicht ſchriftlich vorgelegt worden. Daß
indeß auch ſie eine muͤndliche Erklaͤrung fuͤr verbindlich halten,
zeiget noch ein neueres Beyſpiel. Nouv. extr. 1785. n. 21.
22. ſuppl.
§. 44.
3) Die Einwilligung muß frey ſeyn.

Die Einwilligung muß 3) frey ſeyn. Wuͤrde einem
Regenten oder deſſen Bevollmaͤchtigten durch phyſiſchen
Zwang die Unterſchrift abgenoͤthiget, ſo waͤre dieſe paſſive
Handlung unverbindlich. Wenn aber bloß Furcht vor der
gegenwaͤrtigen oder bevorſtehenden Gewalt einer andren
Macht ihn zu Schließung eines obwohl ungern eingegan-
genen Vertrages beſtimmt, ſo kann er den Mangel der
Einwilligung nicht vorſchuͤtzen. Ob aber dieſe Macht die
Erfuͤllung eines ſolchen Vertrages fordern koͤnne, haͤngt von
der Rechtmaͤßigkeit oder Unrechtmaͤßigkeit der gebrauchten
Gewalt ab, da niemand aus ſeiner ungerechten Gewalt ein
Recht erwerben kann a). Da indeß eine Nation nicht
Richterinn der andren iſt, und beide keinen hoͤheren Rich-

ter
D 4
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[55/0083] Von Vertraͤgen. handlungen haben, als bloßen Tractaten, noch keine ver- bindliche Kraft a). Die Einwilligung ſelbſt kann durch Worte, oder anerkannte Wortzeichen, oder, wie bey ſtill- ſchweigenden Vertraͤgen, durch andere Handlungen zu er- kennen gegeben werden. In Anſehung der Verbindlichkeit iſt es gleichguͤltig, ob die Erklaͤrung blos muͤndlich b) oder ſchriftlich geſchehn, ob wohl jetzt zu Erleichterung des Be- weiſes alle Vertraͤge der Voͤlker ſchriftlich verfaſſet zu wer- den pflegen. a⁾ Ein Beyſpiel von Anwendung dieſes Grundſatzes ſ. in m. Eſſai concernant les amateurs §. 65. p. 192. Vergl. §. 41. not. c. p. 117. b⁾ Daß jetzt muͤndlich geſchloſſene Vertraͤge nicht mehr verbindlich ſeyn behauptet Hr. Neyron de vi foederum, ſpeciatim de obliga- tione ſucceſſ. ex foed anteceſſorum §. 23, aber wie ich glaube, ohne Grund, wenn gleich alle Vertraͤge ſchriftlich aufgeſetzt zu werden pflegen, und einige Staaten z. B. die vereinigten Nie- derlande uͤber keinen Vorſchlag einer fremden Macht berath- ſchlagen, der ihnen nicht ſchriftlich vorgelegt worden. Daß indeß auch ſie eine muͤndliche Erklaͤrung fuͤr verbindlich halten, zeiget noch ein neueres Beyſpiel. Nouv. extr. 1785. n. 21. 22. ſuppl. §. 44. 3) Die Einwilligung muß frey ſeyn. Die Einwilligung muß 3) frey ſeyn. Wuͤrde einem Regenten oder deſſen Bevollmaͤchtigten durch phyſiſchen Zwang die Unterſchrift abgenoͤthiget, ſo waͤre dieſe paſſive Handlung unverbindlich. Wenn aber bloß Furcht vor der gegenwaͤrtigen oder bevorſtehenden Gewalt einer andren Macht ihn zu Schließung eines obwohl ungern eingegan- genen Vertrages beſtimmt, ſo kann er den Mangel der Einwilligung nicht vorſchuͤtzen. Ob aber dieſe Macht die Erfuͤllung eines ſolchen Vertrages fordern koͤnne, haͤngt von der Rechtmaͤßigkeit oder Unrechtmaͤßigkeit der gebrauchten Gewalt ab, da niemand aus ſeiner ungerechten Gewalt ein Recht erwerben kann a). Da indeß eine Nation nicht Richterinn der andren iſt, und beide keinen hoͤheren Rich- ter D 4

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Zitationshilfe: Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/martens_voelkerrecht_1796/83>, abgerufen am 21.11.2024.