Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite
Verschiedenheit der Regierungsformen.

Die völligste Democratie setzt Theilnahme aller na-
türlich regierungsfähigen Mittglieder an den Beschlüßen der
Landesgemeine voraus (wie in Schwiz, Uri, Unterwalden).
Ist, wie nothwendig in großen Staaten, die Theilnahme
der mehresten Mitglieder nur eine mittelbare, durch von
ihnen ernannte Representanten, oder sonst an positive Er-
fordernisse gebunden, so trägt diese äußerlich noch democra-
tische Verfassung oft unter der Larve der Gleichheit und Frey-
heit den Keim der Aristocratie in sich, und die Allgewalt der
Versammlung gränzt an Despotismus.

a) Dahin gehören also auch die sogenannten gemischten Republi-
ken, in welchen der Senat zum Theil aus privilegirten Fami-
lien, zum Theil aus dem Volk zusammen gesetzt ist, wie der in
einzelnen der 7 Provinzen der vereinigten Niederlande aus Adel
und Städten, Pestel commentarii de rep. Batav. T. II. §. 184.
oder wie in Basel, Solothurn, Schafhausen, s. Leonh.
Meister Eydgenößisches Staatsrecht
1786. 8. Leu
Schweizer-Lexicon. B. S.
§. 24.
Staatensysteme, zusammengesetzte Staaten.

Wenn mehrere freye Staaten sich durch ein gleiches
ewige Bündniß zu gegenseitiger Vertheidigung, wie die
Eidgenossenschaft, oder zu gemeinsamer Ausübung gewis-
ser Hoheitsrechte, wie die Provinzen der vereinigten Nie-
derlande,
verbinden, so bilden sie ein Staatensystem, das
zwar in Hinsicht auswärtiger als ein Ganzes, aber so lange
nicht als ein Staat oder Republik angesehn werden kann,
als sie keine gemeinsame höchste Gewalt über sich erkennen;
selbst wenn sie, wie bisher in den Niederlanden, eine phy-
sische Person erblich zum eminenten Haupt dieser Union be-
stellet hätten. Erst dann, wenn mehrere Staaten unter
einer gemeinsamen höchsten Gewalt einen Staat bilden,
entsteht der Begriff eines zusammengesetzten Staats. Da-
von giebt Teutschland ein Beyspiel, nicht aber die Ita-
lienischen Reichslande.




Viertes
C 3
Verſchiedenheit der Regierungsformen.

Die voͤlligſte Democratie ſetzt Theilnahme aller na-
tuͤrlich regierungsfaͤhigen Mittglieder an den Beſchluͤßen der
Landesgemeine voraus (wie in Schwiz, Uri, Unterwalden).
Iſt, wie nothwendig in großen Staaten, die Theilnahme
der mehreſten Mitglieder nur eine mittelbare, durch von
ihnen ernannte Repreſentanten, oder ſonſt an poſitive Er-
forderniſſe gebunden, ſo traͤgt dieſe aͤußerlich noch democra-
tiſche Verfaſſung oft unter der Larve der Gleichheit und Frey-
heit den Keim der Ariſtocratie in ſich, und die Allgewalt der
Verſammlung graͤnzt an Deſpotismus.

a) Dahin gehoͤren alſo auch die ſogenannten gemiſchten Republi-
ken, in welchen der Senat zum Theil aus privilegirten Fami-
lien, zum Theil aus dem Volk zuſammen geſetzt iſt, wie der in
einzelnen der 7 Provinzen der vereinigten Niederlande aus Adel
und Staͤdten, Pestel commentarii de rep. Batav. T. II. §. 184.
oder wie in Baſel, Solothurn, Schafhauſen, ſ. Leonh.
Meiſter Eydgenoͤßiſches Staatsrecht
1786. 8. Leu
Schweizer-Lexicon. B. S.
§. 24.
Staatenſyſteme, zuſammengeſetzte Staaten.

Wenn mehrere freye Staaten ſich durch ein gleiches
ewige Buͤndniß zu gegenſeitiger Vertheidigung, wie die
Eidgenoſſenſchaft, oder zu gemeinſamer Ausuͤbung gewiſ-
ſer Hoheitsrechte, wie die Provinzen der vereinigten Nie-
derlande,
verbinden, ſo bilden ſie ein Staatenſyſtem, das
zwar in Hinſicht auswaͤrtiger als ein Ganzes, aber ſo lange
nicht als ein Staat oder Republik angeſehn werden kann,
als ſie keine gemeinſame hoͤchſte Gewalt uͤber ſich erkennen;
ſelbſt wenn ſie, wie bisher in den Niederlanden, eine phy-
ſiſche Perſon erblich zum eminenten Haupt dieſer Union be-
ſtellet haͤtten. Erſt dann, wenn mehrere Staaten unter
einer gemeinſamen hoͤchſten Gewalt einen Staat bilden,
entſteht der Begriff eines zuſammengeſetzten Staats. Da-
von giebt Teutſchland ein Beyſpiel, nicht aber die Ita-
lieniſchen Reichslande.




Viertes
C 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0065" n="37"/>
            <fw place="top" type="header">Ver&#x017F;chiedenheit der Regierungsformen.</fw><lb/>
            <p>Die vo&#x0364;llig&#x017F;te Democratie &#x017F;etzt Theilnahme aller na-<lb/>
tu&#x0364;rlich regierungsfa&#x0364;higen Mittglieder an den Be&#x017F;chlu&#x0364;ßen der<lb/>
Landesgemeine voraus (wie in Schwiz, Uri, Unterwalden).<lb/>
I&#x017F;t, wie nothwendig in großen Staaten, die Theilnahme<lb/>
der mehre&#x017F;ten Mitglieder nur eine mittelbare, durch von<lb/>
ihnen ernannte Repre&#x017F;entanten, oder &#x017F;on&#x017F;t an po&#x017F;itive Er-<lb/>
forderni&#x017F;&#x017F;e gebunden, &#x017F;o tra&#x0364;gt die&#x017F;e a&#x0364;ußerlich noch democra-<lb/>
ti&#x017F;che Verfa&#x017F;&#x017F;ung oft unter der Larve der Gleichheit und Frey-<lb/>
heit den Keim der Ari&#x017F;tocratie in &#x017F;ich, und die Allgewalt der<lb/>
Ver&#x017F;ammlung gra&#x0364;nzt an De&#x017F;potismus.</p><lb/>
            <note place="end" n="a)">Dahin geho&#x0364;ren al&#x017F;o auch die &#x017F;ogenannten gemi&#x017F;chten Republi-<lb/>
ken, in welchen der Senat zum Theil aus privilegirten Fami-<lb/>
lien, zum Theil aus dem Volk zu&#x017F;ammen ge&#x017F;etzt i&#x017F;t, wie der in<lb/>
einzelnen der 7 Provinzen der vereinigten Niederlande aus Adel<lb/>
und Sta&#x0364;dten, <hi rendition="#aq"><hi rendition="#k">Pestel</hi><hi rendition="#i">commentarii de rep. Batav</hi>. T. II.</hi> §. 184.<lb/>
oder wie in Ba&#x017F;el, Solothurn, Schafhau&#x017F;en, &#x017F;. <hi rendition="#fr">Leonh.<lb/><hi rendition="#g">Mei&#x017F;ter</hi> Eydgeno&#x0364;ßi&#x017F;ches Staatsrecht</hi> 1786. 8. <hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">Leu</hi><lb/>
Schweizer-Lexicon. B. S.</hi></note>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 24.<lb/><hi rendition="#fr">Staaten&#x017F;y&#x017F;teme, zu&#x017F;ammenge&#x017F;etzte Staaten.</hi></head><lb/>
            <p>Wenn mehrere freye Staaten &#x017F;ich durch ein gleiches<lb/>
ewige Bu&#x0364;ndniß zu gegen&#x017F;eitiger Vertheidigung, wie die<lb/>
Eidgeno&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft, oder zu gemein&#x017F;amer Ausu&#x0364;bung gewi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;er Hoheitsrechte, wie die Provinzen der vereinigten <hi rendition="#fr">Nie-<lb/>
derlande,</hi> verbinden, &#x017F;o bilden &#x017F;ie ein Staaten&#x017F;y&#x017F;tem, das<lb/>
zwar in Hin&#x017F;icht auswa&#x0364;rtiger als ein Ganzes, aber &#x017F;o lange<lb/>
nicht als ein Staat oder Republik ange&#x017F;ehn werden kann,<lb/>
als &#x017F;ie keine gemein&#x017F;ame ho&#x0364;ch&#x017F;te Gewalt u&#x0364;ber &#x017F;ich erkennen;<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t wenn &#x017F;ie, wie bisher in den Niederlanden, eine phy-<lb/>
&#x017F;i&#x017F;che Per&#x017F;on erblich zum eminenten Haupt die&#x017F;er Union be-<lb/>
&#x017F;tellet ha&#x0364;tten. Er&#x017F;t dann, wenn mehrere Staaten unter<lb/>
einer gemein&#x017F;amen ho&#x0364;ch&#x017F;ten Gewalt einen Staat bilden,<lb/>
ent&#x017F;teht der Begriff eines zu&#x017F;ammenge&#x017F;etzten Staats. Da-<lb/>
von giebt <hi rendition="#fr">Teut&#x017F;chland</hi> ein Bey&#x017F;piel, nicht aber die Ita-<lb/>
lieni&#x017F;chen Reichslande.</p>
          </div>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <fw place="bottom" type="sig">C 3</fw>
        <fw place="bottom" type="catch">Viertes</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[37/0065] Verſchiedenheit der Regierungsformen. Die voͤlligſte Democratie ſetzt Theilnahme aller na- tuͤrlich regierungsfaͤhigen Mittglieder an den Beſchluͤßen der Landesgemeine voraus (wie in Schwiz, Uri, Unterwalden). Iſt, wie nothwendig in großen Staaten, die Theilnahme der mehreſten Mitglieder nur eine mittelbare, durch von ihnen ernannte Repreſentanten, oder ſonſt an poſitive Er- forderniſſe gebunden, ſo traͤgt dieſe aͤußerlich noch democra- tiſche Verfaſſung oft unter der Larve der Gleichheit und Frey- heit den Keim der Ariſtocratie in ſich, und die Allgewalt der Verſammlung graͤnzt an Deſpotismus. a⁾ Dahin gehoͤren alſo auch die ſogenannten gemiſchten Republi- ken, in welchen der Senat zum Theil aus privilegirten Fami- lien, zum Theil aus dem Volk zuſammen geſetzt iſt, wie der in einzelnen der 7 Provinzen der vereinigten Niederlande aus Adel und Staͤdten, Pestel commentarii de rep. Batav. T. II. §. 184. oder wie in Baſel, Solothurn, Schafhauſen, ſ. Leonh. Meiſter Eydgenoͤßiſches Staatsrecht 1786. 8. Leu Schweizer-Lexicon. B. S. §. 24. Staatenſyſteme, zuſammengeſetzte Staaten. Wenn mehrere freye Staaten ſich durch ein gleiches ewige Buͤndniß zu gegenſeitiger Vertheidigung, wie die Eidgenoſſenſchaft, oder zu gemeinſamer Ausuͤbung gewiſ- ſer Hoheitsrechte, wie die Provinzen der vereinigten Nie- derlande, verbinden, ſo bilden ſie ein Staatenſyſtem, das zwar in Hinſicht auswaͤrtiger als ein Ganzes, aber ſo lange nicht als ein Staat oder Republik angeſehn werden kann, als ſie keine gemeinſame hoͤchſte Gewalt uͤber ſich erkennen; ſelbſt wenn ſie, wie bisher in den Niederlanden, eine phy- ſiſche Perſon erblich zum eminenten Haupt dieſer Union be- ſtellet haͤtten. Erſt dann, wenn mehrere Staaten unter einer gemeinſamen hoͤchſten Gewalt einen Staat bilden, entſteht der Begriff eines zuſammengeſetzten Staats. Da- von giebt Teutſchland ein Beyſpiel, nicht aber die Ita- lieniſchen Reichslande. Viertes C 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/martens_voelkerrecht_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/martens_voelkerrecht_1796/65
Zitationshilfe: Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/martens_voelkerrecht_1796/65>, abgerufen am 03.12.2024.