Da nicht leicht ein Land alles das erzeuget, was zum Bedürfnisse, zum Nutzen und Vergnügen seiner Ein- wohner gereicht, oft aber das eine an demjenigen Ueber- fluß hat, an welchem ein anderes Mangel leidet, so ist der Handel der natürlichste Weg, um durch einen unter sehr ver- schiedenen Formen vorgenommen Austausch des überflüssigern gegen das nothwendigere, das gegenseitige Wohlseyn der Völker zu vermehren. Und da die Beförderung des letz- teren selbst eine natürliche, obwohl unvollkommene Pflicht der Völker wie der Individuen ist, so ist auch jede Na- tion unvollkommen und im allgemeinen verbunden, einem ihr unschädlichen Handel mit anderen Völkern die Hände zu bieten. Aber eine vollkommene Verbindlichkeit dazu hat sie nicht, und ist daher so wenig von einem andren Volk zu kaufen, als diesem, den Nothfall abgerechnet a), ihren Ueberfluß zu verkaufen, oder mit ihm zu vertauschen schul- dig. Jeder Staat hat also das natürliche vollkommene Recht sich in jedem einzelnen Falle nach seinem Interesse zu bestimmen, ob er mit einem andren Handel treiben wolle; er kann folglich auch die Erlaubniß dieses Handels an alle Bedingungen und Beschränkungen die er für gut findet binden b). Noch weniger hat ein Volk ein natür- liches Recht auf den ausschließlichen Handel mit einem an- dren ihm nicht unterworfenen Volke c). Gesetzt daher es hat noch so lange mit diesem den Handel, wohl gar aus- schließlich, getrieben, so entsteht daraus allein für dasselbe noch keine Verbindlichkeit, ihn fortzusetzen, oder gar ihn mit keinem anderen Volk zu treiben. Doch kann eine Na- tion gültig einer anderen das ausschließliche Recht mit ihr Handel zu treiben ertheilen d) und dadurch seiner Handels- freyheit Grenzen setzen. Wo aber dies nicht geschehn ist, da hat, wenn zwey Völker mit einander Handel treiben wollen, ein drittes kein Recht sich dem zu widersetzen; und darinn besteht eben die natürliche Handelsfreyheit der Völker.
a) Daß
L 3
Rechte der Voͤlker in Anſehung des Handels.
§. 136. Natuͤrliche Handelsfreyheit.
Da nicht leicht ein Land alles das erzeuget, was zum Beduͤrfniſſe, zum Nutzen und Vergnuͤgen ſeiner Ein- wohner gereicht, oft aber das eine an demjenigen Ueber- fluß hat, an welchem ein anderes Mangel leidet, ſo iſt der Handel der natuͤrlichſte Weg, um durch einen unter ſehr ver- ſchiedenen Formen vorgenommen Austauſch des uͤberfluͤſſigern gegen das nothwendigere, das gegenſeitige Wohlſeyn der Voͤlker zu vermehren. Und da die Befoͤrderung des letz- teren ſelbſt eine natuͤrliche, obwohl unvollkommene Pflicht der Voͤlker wie der Individuen iſt, ſo iſt auch jede Na- tion unvollkommen und im allgemeinen verbunden, einem ihr unſchaͤdlichen Handel mit anderen Voͤlkern die Haͤnde zu bieten. Aber eine vollkommene Verbindlichkeit dazu hat ſie nicht, und iſt daher ſo wenig von einem andren Volk zu kaufen, als dieſem, den Nothfall abgerechnet a), ihren Ueberfluß zu verkaufen, oder mit ihm zu vertauſchen ſchul- dig. Jeder Staat hat alſo das natuͤrliche vollkommene Recht ſich in jedem einzelnen Falle nach ſeinem Intereſſe zu beſtimmen, ob er mit einem andren Handel treiben wolle; er kann folglich auch die Erlaubniß dieſes Handels an alle Bedingungen und Beſchraͤnkungen die er fuͤr gut findet binden b). Noch weniger hat ein Volk ein natuͤr- liches Recht auf den ausſchließlichen Handel mit einem an- dren ihm nicht unterworfenen Volke c). Geſetzt daher es hat noch ſo lange mit dieſem den Handel, wohl gar aus- ſchließlich, getrieben, ſo entſteht daraus allein fuͤr daſſelbe noch keine Verbindlichkeit, ihn fortzuſetzen, oder gar ihn mit keinem anderen Volk zu treiben. Doch kann eine Na- tion guͤltig einer anderen das ausſchließliche Recht mit ihr Handel zu treiben ertheilen d) und dadurch ſeiner Handels- freyheit Grenzen ſetzen. Wo aber dies nicht geſchehn iſt, da hat, wenn zwey Voͤlker mit einander Handel treiben wollen, ein drittes kein Recht ſich dem zu widerſetzen; und darinn beſteht eben die natuͤrliche Handelsfreyheit der Voͤlker.
a) Daß
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Rechte der Voͤlker in Anſehung des Handels.
§. 136.
Natuͤrliche Handelsfreyheit.
Da nicht leicht ein Land alles das erzeuget, was
zum Beduͤrfniſſe, zum Nutzen und Vergnuͤgen ſeiner Ein-
wohner gereicht, oft aber das eine an demjenigen Ueber-
fluß hat, an welchem ein anderes Mangel leidet, ſo iſt der
Handel der natuͤrlichſte Weg, um durch einen unter ſehr ver-
ſchiedenen Formen vorgenommen Austauſch des uͤberfluͤſſigern
gegen das nothwendigere, das gegenſeitige Wohlſeyn der
Voͤlker zu vermehren. Und da die Befoͤrderung des letz-
teren ſelbſt eine natuͤrliche, obwohl unvollkommene Pflicht
der Voͤlker wie der Individuen iſt, ſo iſt auch jede Na-
tion unvollkommen und im allgemeinen verbunden, einem
ihr unſchaͤdlichen Handel mit anderen Voͤlkern die Haͤnde zu
bieten. Aber eine vollkommene Verbindlichkeit dazu hat
ſie nicht, und iſt daher ſo wenig von einem andren Volk
zu kaufen, als dieſem, den Nothfall abgerechnet a), ihren
Ueberfluß zu verkaufen, oder mit ihm zu vertauſchen ſchul-
dig. Jeder Staat hat alſo das natuͤrliche vollkommene
Recht ſich in jedem einzelnen Falle nach ſeinem Intereſſe
zu beſtimmen, ob er mit einem andren Handel treiben
wolle; er kann folglich auch die Erlaubniß dieſes Handels
an alle Bedingungen und Beſchraͤnkungen die er fuͤr gut
findet binden b). Noch weniger hat ein Volk ein natuͤr-
liches Recht auf den ausſchließlichen Handel mit einem an-
dren ihm nicht unterworfenen Volke c). Geſetzt daher es
hat noch ſo lange mit dieſem den Handel, wohl gar aus-
ſchließlich, getrieben, ſo entſteht daraus allein fuͤr daſſelbe
noch keine Verbindlichkeit, ihn fortzuſetzen, oder gar ihn
mit keinem anderen Volk zu treiben. Doch kann eine Na-
tion guͤltig einer anderen das ausſchließliche Recht mit ihr
Handel zu treiben ertheilen d) und dadurch ſeiner Handels-
freyheit Grenzen ſetzen. Wo aber dies nicht geſchehn iſt,
da hat, wenn zwey Voͤlker mit einander Handel treiben
wollen, ein drittes kein Recht ſich dem zu widerſetzen; und
darinn beſteht eben die natuͤrliche Handelsfreyheit der Voͤlker.
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Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/martens_voelkerrecht_1796/193>, abgerufen am 21.11.2024.
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