Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite
Zweytes Buch. Drittes Hauptstück.
§. 61.
Verhältniß zwischen Herkommen und Vertragsrecht.

Uebrigens ist unläugbar, und durch Geschichte und
Erfahrung hinreichend dargethan, daß bloße Völkerrechts-
Gewohnheiten mit der Zeit und den Umständen allerdings
eine Abänderung leiden a). Nur diejenigen Gewohnhei-
ten (wenn man anders sie so nennen will), welche bloß das
natürliche Völkerrecht bestädtigen, sollten in allen den Fällen
nicht verändert werden, in welchen dieses unveränderlich ist.

Uebrigens kann das, was anfangs bloß Herkommens
war, in der Folge durch ausdrückliche oder stillschweigende
Verträge in vollkommene Verbindlichkeit verwandelt wer-
den, so wie auf der andern Seite gedenkbar ist, daß aus-
drückliche Verträge in der Folge durch Herkommen erklärt,
abgeschaft oder verändert werden.

a) So war es z. B. ehemahls Sitte daß vor Anfang des Kriegs die
Verträge förmlich aufgesagt, und der Krieg dem Feinde förmlich
angekündiget werden mußte. Beides ist jetzt nicht mehr üblich.
So war es ehemahls üblich Gesandte frey zu halten; jetzt ist dieß,
und zwar zum Theil durch Verträge, abgeschafft, s. z. E. den
Friedensschluß zwischen Rußland und Schweden 1721. art. 20.
§. 62.
Analogie.

Endlich ist auch die Analogie eine ergiebige Quelle
der Entscheidungen in Angelegenheiten der Völker. Auch
im Völkerrecht kann nemlich von dem was für gewisse
Fälle durch Verträge oder Herkommen festgesetzt ist, auf
andere diesen ähnliche und noch unentschiedene Fälle eine
Anwendung gemacht werden. Daß die Richtigkeit und
Kraft dieses analogischen Schlußes von der Aehnlichkeit der
Fälle welche mit einander verglichen werden abhänge, er-
giebt die Natur der Sache.




Viertes
Zweytes Buch. Drittes Hauptſtuͤck.
§. 61.
Verhaͤltniß zwiſchen Herkommen und Vertragsrecht.

Uebrigens iſt unlaͤugbar, und durch Geſchichte und
Erfahrung hinreichend dargethan, daß bloße Voͤlkerrechts-
Gewohnheiten mit der Zeit und den Umſtaͤnden allerdings
eine Abaͤnderung leiden a). Nur diejenigen Gewohnhei-
ten (wenn man anders ſie ſo nennen will), welche bloß das
natuͤrliche Voͤlkerrecht beſtaͤdtigen, ſollten in allen den Faͤllen
nicht veraͤndert werden, in welchen dieſes unveraͤnderlich iſt.

Uebrigens kann das, was anfangs bloß Herkommens
war, in der Folge durch ausdruͤckliche oder ſtillſchweigende
Vertraͤge in vollkommene Verbindlichkeit verwandelt wer-
den, ſo wie auf der andern Seite gedenkbar iſt, daß aus-
druͤckliche Vertraͤge in der Folge durch Herkommen erklaͤrt,
abgeſchaft oder veraͤndert werden.

a) So war es z. B. ehemahls Sitte daß vor Anfang des Kriegs die
Vertraͤge foͤrmlich aufgeſagt, und der Krieg dem Feinde foͤrmlich
angekuͤndiget werden mußte. Beides iſt jetzt nicht mehr uͤblich.
So war es ehemahls uͤblich Geſandte frey zu halten; jetzt iſt dieß,
und zwar zum Theil durch Vertraͤge, abgeſchafft, ſ. z. E. den
Friedensſchluß zwiſchen Rußland und Schweden 1721. art. 20.
§. 62.
Analogie.

Endlich iſt auch die Analogie eine ergiebige Quelle
der Entſcheidungen in Angelegenheiten der Voͤlker. Auch
im Voͤlkerrecht kann nemlich von dem was fuͤr gewiſſe
Faͤlle durch Vertraͤge oder Herkommen feſtgeſetzt iſt, auf
andere dieſen aͤhnliche und noch unentſchiedene Faͤlle eine
Anwendung gemacht werden. Daß die Richtigkeit und
Kraft dieſes analogiſchen Schlußes von der Aehnlichkeit der
Faͤlle welche mit einander verglichen werden abhaͤnge, er-
giebt die Natur der Sache.




Viertes
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0102" n="74"/>
          <fw place="top" type="header">Zweytes Buch. Drittes Haupt&#x017F;tu&#x0364;ck.</fw><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 61.<lb/><hi rendition="#fr">Verha&#x0364;ltniß zwi&#x017F;chen Herkommen und Vertragsrecht.</hi></head><lb/>
            <p>Uebrigens i&#x017F;t unla&#x0364;ugbar, und durch Ge&#x017F;chichte und<lb/>
Erfahrung hinreichend dargethan, daß bloße Vo&#x0364;lkerrechts-<lb/>
Gewohnheiten mit der Zeit und den Um&#x017F;ta&#x0364;nden allerdings<lb/>
eine Aba&#x0364;nderung leiden <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">a</hi></hi>). Nur diejenigen Gewohnhei-<lb/>
ten (wenn man anders &#x017F;ie &#x017F;o nennen will), welche bloß das<lb/>
natu&#x0364;rliche Vo&#x0364;lkerrecht be&#x017F;ta&#x0364;dtigen, &#x017F;ollten in allen den Fa&#x0364;llen<lb/>
nicht vera&#x0364;ndert werden, in welchen die&#x017F;es unvera&#x0364;nderlich i&#x017F;t.</p><lb/>
            <p>Uebrigens kann das, was anfangs bloß Herkommens<lb/>
war, in der Folge durch ausdru&#x0364;ckliche oder &#x017F;till&#x017F;chweigende<lb/>
Vertra&#x0364;ge in vollkommene Verbindlichkeit verwandelt wer-<lb/>
den, &#x017F;o wie auf der andern Seite gedenkbar i&#x017F;t, daß aus-<lb/>
dru&#x0364;ckliche Vertra&#x0364;ge in der Folge durch Herkommen erkla&#x0364;rt,<lb/>
abge&#x017F;chaft oder vera&#x0364;ndert werden.</p><lb/>
            <note place="end" n="a)">So war es z. B. ehemahls Sitte daß vor Anfang des Kriegs die<lb/>
Vertra&#x0364;ge fo&#x0364;rmlich aufge&#x017F;agt, und der Krieg dem Feinde fo&#x0364;rmlich<lb/>
angeku&#x0364;ndiget werden mußte. Beides i&#x017F;t jetzt nicht mehr u&#x0364;blich.<lb/>
So war es ehemahls u&#x0364;blich Ge&#x017F;andte frey zu halten; jetzt i&#x017F;t dieß,<lb/>
und zwar zum Theil durch Vertra&#x0364;ge, abge&#x017F;chafft, &#x017F;. z. E. den<lb/>
Friedens&#x017F;chluß zwi&#x017F;chen Rußland und Schweden 1721. <hi rendition="#aq">art.</hi> 20.</note>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 62.<lb/><hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">Analogie</hi>.</hi></head><lb/>
            <p>Endlich i&#x017F;t auch die Analogie eine ergiebige Quelle<lb/>
der Ent&#x017F;cheidungen in Angelegenheiten der Vo&#x0364;lker. Auch<lb/>
im Vo&#x0364;lkerrecht kann nemlich von dem was fu&#x0364;r gewi&#x017F;&#x017F;e<lb/>
Fa&#x0364;lle durch Vertra&#x0364;ge oder Herkommen fe&#x017F;tge&#x017F;etzt i&#x017F;t, auf<lb/>
andere die&#x017F;en a&#x0364;hnliche und noch unent&#x017F;chiedene Fa&#x0364;lle eine<lb/>
Anwendung gemacht werden. Daß die Richtigkeit und<lb/>
Kraft die&#x017F;es analogi&#x017F;chen Schlußes von der Aehnlichkeit der<lb/>
Fa&#x0364;lle welche mit einander verglichen werden abha&#x0364;nge, er-<lb/>
giebt die Natur der Sache.</p>
          </div>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#fr">Viertes</hi> </fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[74/0102] Zweytes Buch. Drittes Hauptſtuͤck. §. 61. Verhaͤltniß zwiſchen Herkommen und Vertragsrecht. Uebrigens iſt unlaͤugbar, und durch Geſchichte und Erfahrung hinreichend dargethan, daß bloße Voͤlkerrechts- Gewohnheiten mit der Zeit und den Umſtaͤnden allerdings eine Abaͤnderung leiden a). Nur diejenigen Gewohnhei- ten (wenn man anders ſie ſo nennen will), welche bloß das natuͤrliche Voͤlkerrecht beſtaͤdtigen, ſollten in allen den Faͤllen nicht veraͤndert werden, in welchen dieſes unveraͤnderlich iſt. Uebrigens kann das, was anfangs bloß Herkommens war, in der Folge durch ausdruͤckliche oder ſtillſchweigende Vertraͤge in vollkommene Verbindlichkeit verwandelt wer- den, ſo wie auf der andern Seite gedenkbar iſt, daß aus- druͤckliche Vertraͤge in der Folge durch Herkommen erklaͤrt, abgeſchaft oder veraͤndert werden. a⁾ So war es z. B. ehemahls Sitte daß vor Anfang des Kriegs die Vertraͤge foͤrmlich aufgeſagt, und der Krieg dem Feinde foͤrmlich angekuͤndiget werden mußte. Beides iſt jetzt nicht mehr uͤblich. So war es ehemahls uͤblich Geſandte frey zu halten; jetzt iſt dieß, und zwar zum Theil durch Vertraͤge, abgeſchafft, ſ. z. E. den Friedensſchluß zwiſchen Rußland und Schweden 1721. art. 20. §. 62. Analogie. Endlich iſt auch die Analogie eine ergiebige Quelle der Entſcheidungen in Angelegenheiten der Voͤlker. Auch im Voͤlkerrecht kann nemlich von dem was fuͤr gewiſſe Faͤlle durch Vertraͤge oder Herkommen feſtgeſetzt iſt, auf andere dieſen aͤhnliche und noch unentſchiedene Faͤlle eine Anwendung gemacht werden. Daß die Richtigkeit und Kraft dieſes analogiſchen Schlußes von der Aehnlichkeit der Faͤlle welche mit einander verglichen werden abhaͤnge, er- giebt die Natur der Sache. Viertes

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/martens_voelkerrecht_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/martens_voelkerrecht_1796/102
Zitationshilfe: Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/martens_voelkerrecht_1796/102>, abgerufen am 21.12.2024.