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Lüders, Else: Das Interesse des Staates am Frauenstimmrecht. Berlin, 1908.

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ist das große Gebiet der Jugendfürsorge, vom Mutter- und
Säuglingsschutz an bis hinauf zur Frage der obligatorischen Fort-
bildungsschule durch alle Phasen der Erziehungsprobleme hin-
durch: die Jugendfürsorge bedeutet zugleich grundlegende soziale
Reform, um unsere Kinder vor gesundheitlichen und sittlichen
Gefahren zu behüten.

Und dann vor allem die Sittlichkeitsfrage eng
verbunden mit der Alkoholfrage: Hier liegen die schwersten Ver-
fehlungen des Mannes gegenüber der Frau, gegenüber dem
Volksganzen, und seine Sünden sind heimgesucht bis ins dritte
und vierte Glied.

Nun wird eins oft eingewendet: Aber wer hindert euch
denn daran, euch auf all diesen Gebieten zu betätigen? Wir
erkennen die wertvolle Arbeit der Frauen auf diesen Gebieten
voll an, als " berechtigte Bestrebungen", aber das Stimm-
recht
gehört zu den extremen, unberechtigten Forderungen.
Aber jeder, der auf irgend einem dieser Gebiete arbeitet, der
weiß, daß all sein Wirken Stückwerk bleibt, solange er kein Recht
hat, direkt oder indirekt an der Gesetzgebung mitzuarbeiten.

Weil die Frauen auf den großen Gebieten der Sozialpolitik,
der Volkswohlfahrt, der Sittlichkeitsfrage zur Mitarbeit berufen
sind, ja aus ihrer ganzen Charakteranlage heraus hierfür gerade-
zu prädestiniert erscheinen, darum wird ihre verantwortliche, d. h.
gesetzgeberische Arbeit im Staate zu einer geschichtlichen und
kulturellen Notwendigkeit. Denn auch der Charakter der
staatlichen Verwaltungen, die Auffassung von den Aufgaben und
Zwecken des Staates sind in einer dauernden Entwickelung be-
griffen, und diese Entwickelung kommt der Forderung des Frauen-
stimmrechts geradezu entgegen. Einst war der Zweck der Städte
vor allem ein kriegerischer - die Bürger wollten sich schützen
vor den Raubrittern, und eine Stadt lag mit der anderen in
Fehde. Allmählich haben die Städte diesen kriegerischen Charakter
verloren und eine moderne Stadtverwaltung gleicht einer er-
weiterten Haushaltsführung - d. h. sie hat vor allem wirt-
schaftliche Aufgaben zu erfüllen, das Erziehungs- und Gesund-
heitswesen zu regeln, kurz die Wohlfahrt der Bürger auf alle
Weise zu fördern. Eine ähnliche Entwickelung machen aber auch

ist das große Gebiet der Jugendfürsorge, vom Mutter- und
Säuglingsschutz an bis hinauf zur Frage der obligatorischen Fort-
bildungsschule durch alle Phasen der Erziehungsprobleme hin-
durch: die Jugendfürsorge bedeutet zugleich grundlegende soziale
Reform, um unsere Kinder vor gesundheitlichen und sittlichen
Gefahren zu behüten.

Und dann vor allem die Sittlichkeitsfrage eng
verbunden mit der Alkoholfrage: Hier liegen die schwersten Ver-
fehlungen des Mannes gegenüber der Frau, gegenüber dem
Volksganzen, und seine Sünden sind heimgesucht bis ins dritte
und vierte Glied.

Nun wird eins oft eingewendet: Aber wer hindert euch
denn daran, euch auf all diesen Gebieten zu betätigen? Wir
erkennen die wertvolle Arbeit der Frauen auf diesen Gebieten
voll an, als „ berechtigte Bestrebungen“, aber das Stimm-
recht
gehört zu den extremen, unberechtigten Forderungen.
Aber jeder, der auf irgend einem dieser Gebiete arbeitet, der
weiß, daß all sein Wirken Stückwerk bleibt, solange er kein Recht
hat, direkt oder indirekt an der Gesetzgebung mitzuarbeiten.

Weil die Frauen auf den großen Gebieten der Sozialpolitik,
der Volkswohlfahrt, der Sittlichkeitsfrage zur Mitarbeit berufen
sind, ja aus ihrer ganzen Charakteranlage heraus hierfür gerade-
zu prädestiniert erscheinen, darum wird ihre verantwortliche, d. h.
gesetzgeberische Arbeit im Staate zu einer geschichtlichen und
kulturellen Notwendigkeit. Denn auch der Charakter der
staatlichen Verwaltungen, die Auffassung von den Aufgaben und
Zwecken des Staates sind in einer dauernden Entwickelung be-
griffen, und diese Entwickelung kommt der Forderung des Frauen-
stimmrechts geradezu entgegen. Einst war der Zweck der Städte
vor allem ein kriegerischer – die Bürger wollten sich schützen
vor den Raubrittern, und eine Stadt lag mit der anderen in
Fehde. Allmählich haben die Städte diesen kriegerischen Charakter
verloren und eine moderne Stadtverwaltung gleicht einer er-
weiterten Haushaltsführung – d. h. sie hat vor allem wirt-
schaftliche Aufgaben zu erfüllen, das Erziehungs- und Gesund-
heitswesen zu regeln, kurz die Wohlfahrt der Bürger auf alle
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Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-08-18T15:22:18Z)

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Zitationshilfe: Lüders, Else: Das Interesse des Staates am Frauenstimmrecht. Berlin, 1908, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lueders_interesse_1908/12>, abgerufen am 26.04.2024.