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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852.

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Eiweissartige Stoffe.

Die Versuche von Liebig und Bopp über die Zersetzungen unter dem Einfluss
von Säuren, schmelzendem Kali und Fäulniss, und diejenigen von Guckelberger
über den Einfluss oxydirender Substanzen machen es wahrscheinlich, dass in den
Eiweissstoffen Atomgruppen enthalten seien, die in die Classe der Säuren C2n H(2n-1)
O3; HO und in die Leucingruppe gehören. Die durch diese Arbeit um ein gutes
Theil geförderte Aufgabe eine scharfe Vorstellung von den atomistischen Verhältnissen
der Eiweissstoffe zu erlangen, wird aber wie begreiflich erst gelösst sein, wenn man
das Aequivalentgewicht der Eiweisse, alle primären Zersetzungsprodukte, das gegen-
seitige Mengenverhältniss und die Lagerung der Atome dieser letzteren selbst kennt.

Die Eiweissstoffe, welche man vorzugsweise die Träger des Le-
bens nennt, rechtfertigen diesen Namen. Denn

1. In ihrer Zusammensetzung aus einer sehr grossen Zahl von fünf
oder sechs Atomarten (C, H, N, O, S, Ph,) liegen die Mittel zum Entstehen
sehr vielfacher Zersetzungsprozesse und Zersetzungsprodukte. -- Die
Prozesse, durch welche die Eiweissstoffe im thierischen Leben zer-
setzt werden, sind noch sehr wenig bekannt; wir vermuthen, dass neben
andern Wegen der Umwandlung auch derjenige der sogenannten Selbst-
zersetzung und derjenige, welcher durch Alkalien eingeleitet wird, in
Anwendung gebracht ist. Diese Vermuthung gründet sich darauf, dass
die Bedingungen zu diesen beiden Umsetzungsarten im thierischen
Körper gegeben sind; diese Bedingungen müssen aber in manchen
Stücken von denen abweichen, unter welchen wir künstlich die soge-
nannte Selbstzersetzung sowohl als die Zersetzung durch Alkalien her-
vorrufen, weil es (bis jetzt wenigstens) nicht gelingt, dieselben Um-
setzungsprodukte (Leucin, Tyrosin etc.) im Thierkörper zu finden, die
man ausserhalb beobachtet. -- Die Bestandtheile des thierischen Kör-
pers, welche wir theils mit Sicherheit, theils mit Wahrscheinlichkeit als
Zersetzungsprodukte der mit der Nahrung genossenen Eiweiss-
stoffe ansehen, sind: Isomere Modifikationen der ursprünglich auf genom-
menen Eiweissstoffe, die Hornsubstanz, das elastische Gewebe, Mucin,
Pepsin, Chondrigen Collagen, Tauro- und Glyco-Cholsäure, Lienin,
Kreatin, Kreatinin, Harnstoff, Hypoxanthin, Harnige und Harnsäure,
Hippursäure, CO2, H O. Offenbar enthält aber diese Reihe nur einen
Theil der in Wirklichkeit im lebenden Säugethier vorkommenden. --
Diese Umsetzungen sind nun nicht allein dadurch von Wichtigkeit, dass
die mannigfaltigen neugebildeten Stoffe durch ihre physikalischen und
chemischen Eigenthümlichkeiten in den Lebensprozess eingreifen, und
dadurch, dass durch den Umsetzungsprozess latente Kräfte in freie
übergeführt werden, sondern vorzüglich auch durch den Umstand,
dass die Zersetzungen der Eiweissstoffe sich auf andere zersetzungs-
fähige Körper übertragen, eine Uebertragung, die unter dem Namen
Katalyse, Gährung, Erregung berühmt geworden ist. Diese Pro-
zesse verlangen zu ihrem Bestehen eine bestimmte Temperatur, die
Gegenwart des Wassers und unter Umständen die des Sauerstoffs.
Die Umsetzungen, welche die Eiweisstoffe durch Gährung im mensch-

Eiweissartige Stoffe.

Die Versuche von Liebig und Bopp über die Zersetzungen unter dem Einfluss
von Säuren, schmelzendem Kali und Fäulniss, und diejenigen von Guckelberger
über den Einfluss oxydirender Substanzen machen es wahrscheinlich, dass in den
Eiweissstoffen Atomgruppen enthalten seien, die in die Classe der Säuren C2n H(2n-1)
O3; HO und in die Leucingruppe gehören. Die durch diese Arbeit um ein gutes
Theil geförderte Aufgabe eine scharfe Vorstellung von den atomistischen Verhältnissen
der Eiweissstoffe zu erlangen, wird aber wie begreiflich erst gelösst sein, wenn man
das Aequivalentgewicht der Eiweisse, alle primären Zersetzungsprodukte, das gegen-
seitige Mengenverhältniss und die Lagerung der Atome dieser letzteren selbst kennt.

Die Eiweissstoffe, welche man vorzugsweise die Träger des Le-
bens nennt, rechtfertigen diesen Namen. Denn

1. In ihrer Zusammensetzung aus einer sehr grossen Zahl von fünf
oder sechs Atomarten (C, H, N, O, S, Ph,) liegen die Mittel zum Entstehen
sehr vielfacher Zersetzungsprozesse und Zersetzungsprodukte. — Die
Prozesse, durch welche die Eiweissstoffe im thierischen Leben zer-
setzt werden, sind noch sehr wenig bekannt; wir vermuthen, dass neben
andern Wegen der Umwandlung auch derjenige der sogenannten Selbst-
zersetzung und derjenige, welcher durch Alkalien eingeleitet wird, in
Anwendung gebracht ist. Diese Vermuthung gründet sich darauf, dass
die Bedingungen zu diesen beiden Umsetzungsarten im thierischen
Körper gegeben sind; diese Bedingungen müssen aber in manchen
Stücken von denen abweichen, unter welchen wir künstlich die soge-
nannte Selbstzersetzung sowohl als die Zersetzung durch Alkalien her-
vorrufen, weil es (bis jetzt wenigstens) nicht gelingt, dieselben Um-
setzungsprodukte (Leucin, Tyrosin etc.) im Thierkörper zu finden, die
man ausserhalb beobachtet. — Die Bestandtheile des thierischen Kör-
pers, welche wir theils mit Sicherheit, theils mit Wahrscheinlichkeit als
Zersetzungsprodukte der mit der Nahrung genossenen Eiweiss-
stoffe ansehen, sind: Isomere Modifikationen der ursprünglich auf genom-
menen Eiweissstoffe, die Hornsubstanz, das elastische Gewebe, Mucin,
Pepsin, Chondrigen Collagen, Tauro- und Glyco-Cholsäure, Lienin,
Kreatin, Kreatinin, Harnstoff, Hypoxanthin, Harnige und Harnsäure,
Hippursäure, CO2, H O. Offenbar enthält aber diese Reihe nur einen
Theil der in Wirklichkeit im lebenden Säugethier vorkommenden. —
Diese Umsetzungen sind nun nicht allein dadurch von Wichtigkeit, dass
die mannigfaltigen neugebildeten Stoffe durch ihre physikalischen und
chemischen Eigenthümlichkeiten in den Lebensprozess eingreifen, und
dadurch, dass durch den Umsetzungsprozess latente Kräfte in freie
übergeführt werden, sondern vorzüglich auch durch den Umstand,
dass die Zersetzungen der Eiweissstoffe sich auf andere zersetzungs-
fähige Körper übertragen, eine Uebertragung, die unter dem Namen
Katalyse, Gährung, Erregung berühmt geworden ist. Diese Pro-
zesse verlangen zu ihrem Bestehen eine bestimmte Temperatur, die
Gegenwart des Wassers und unter Umständen die des Sauerstoffs.
Die Umsetzungen, welche die Eiweisstoffe durch Gährung im mensch-

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[41/0055] Eiweissartige Stoffe. Die Versuche von Liebig und Bopp über die Zersetzungen unter dem Einfluss von Säuren, schmelzendem Kali und Fäulniss, und diejenigen von Guckelberger über den Einfluss oxydirender Substanzen machen es wahrscheinlich, dass in den Eiweissstoffen Atomgruppen enthalten seien, die in die Classe der Säuren C2n H(2n-1) O3; HO und in die Leucingruppe gehören. Die durch diese Arbeit um ein gutes Theil geförderte Aufgabe eine scharfe Vorstellung von den atomistischen Verhältnissen der Eiweissstoffe zu erlangen, wird aber wie begreiflich erst gelösst sein, wenn man das Aequivalentgewicht der Eiweisse, alle primären Zersetzungsprodukte, das gegen- seitige Mengenverhältniss und die Lagerung der Atome dieser letzteren selbst kennt. Die Eiweissstoffe, welche man vorzugsweise die Träger des Le- bens nennt, rechtfertigen diesen Namen. Denn 1. In ihrer Zusammensetzung aus einer sehr grossen Zahl von fünf oder sechs Atomarten (C, H, N, O, S, Ph,) liegen die Mittel zum Entstehen sehr vielfacher Zersetzungsprozesse und Zersetzungsprodukte. — Die Prozesse, durch welche die Eiweissstoffe im thierischen Leben zer- setzt werden, sind noch sehr wenig bekannt; wir vermuthen, dass neben andern Wegen der Umwandlung auch derjenige der sogenannten Selbst- zersetzung und derjenige, welcher durch Alkalien eingeleitet wird, in Anwendung gebracht ist. Diese Vermuthung gründet sich darauf, dass die Bedingungen zu diesen beiden Umsetzungsarten im thierischen Körper gegeben sind; diese Bedingungen müssen aber in manchen Stücken von denen abweichen, unter welchen wir künstlich die soge- nannte Selbstzersetzung sowohl als die Zersetzung durch Alkalien her- vorrufen, weil es (bis jetzt wenigstens) nicht gelingt, dieselben Um- setzungsprodukte (Leucin, Tyrosin etc.) im Thierkörper zu finden, die man ausserhalb beobachtet. — Die Bestandtheile des thierischen Kör- pers, welche wir theils mit Sicherheit, theils mit Wahrscheinlichkeit als Zersetzungsprodukte der mit der Nahrung genossenen Eiweiss- stoffe ansehen, sind: Isomere Modifikationen der ursprünglich auf genom- menen Eiweissstoffe, die Hornsubstanz, das elastische Gewebe, Mucin, Pepsin, Chondrigen Collagen, Tauro- und Glyco-Cholsäure, Lienin, Kreatin, Kreatinin, Harnstoff, Hypoxanthin, Harnige und Harnsäure, Hippursäure, CO2, H O. Offenbar enthält aber diese Reihe nur einen Theil der in Wirklichkeit im lebenden Säugethier vorkommenden. — Diese Umsetzungen sind nun nicht allein dadurch von Wichtigkeit, dass die mannigfaltigen neugebildeten Stoffe durch ihre physikalischen und chemischen Eigenthümlichkeiten in den Lebensprozess eingreifen, und dadurch, dass durch den Umsetzungsprozess latente Kräfte in freie übergeführt werden, sondern vorzüglich auch durch den Umstand, dass die Zersetzungen der Eiweissstoffe sich auf andere zersetzungs- fähige Körper übertragen, eine Uebertragung, die unter dem Namen Katalyse, Gährung, Erregung berühmt geworden ist. Diese Pro- zesse verlangen zu ihrem Bestehen eine bestimmte Temperatur, die Gegenwart des Wassers und unter Umständen die des Sauerstoffs. Die Umsetzungen, welche die Eiweisstoffe durch Gährung im mensch-

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/55>, abgerufen am 26.04.2024.