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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852.

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Bedingungen der Andauer des Nachbildes.
namentlich die Form des gesehenen Gegenstandes mit grosser Treue
festhält.

Unser Sehfeld ist in der That fast ununterbrochen mit Nachbildern ausgefüllt,
welche von uns nur übersehen werden, so lange wir nicht durch genaue Selbst-
beobachtung die Fähigkeit erlangt haben, diese meist zarten Bilder neben den ge-
wöhnlich stärkern objektiven Lichteindrücken aufzufassen. Zum ersten Studium des
Nachbildes ist dasjenige einer nicht zu hellen Kerzenflamme empfehlenswerth. Sieht
man Abends in eine solche nicht zu helle Kerzenflamme 30 bis 60 Sekunden stier und
unverrücklich, schliesst dann die Augen und deckt sie noch mit den Händen, so wird
man das genaueste Abbild der Flamme vor sich schweben sehen. Da man das Ker-
zenlicht innerhalb gewisser Grenzen durch Entfernen desselben vom Auge schwächen
und steigern kann, so eignet es sich vortrefflich, um sich die grössere Zahl der im
folgenden erläuterten Erscheinungen vorzuführen. -- Alle Versuche über Nachbilder
und noch mehr über Abklingen der Farben müssen mit der äussersten Sorgfalt ange-
stellt werden, weil sie Augenschwäche, ja gänzlichen Verlust der Sehkraft herbei-
führen können. Fechner, Plateau und Brücke, welchen wir vorzugsweise un-
sere Kenntnisse über die Nachbilder verdanken, haben ernste Folgen ihres Strebens
empfinden müssen.

Die Erscheinungen dieses Nachbildes sind nun verwickelter Art.

a. Obwohl jeder Lichteindruck ein Nachbild hinterlässt, wie das
Beispiel des electrischen Funkens darthut, so sind doch gewisse Be-
dingungen nöthig, wenn ein Strahl auch nach seiner Entfernung aus
dem Auge, während einer merklichen Zeit deutlich empfunden werden
soll. In dieser Beziehung lehrt die tägliche Erfahrung, dass wenn
auch ein Licht von jeder beliebigen Stärke ein Nachbild hervorruft,
doch ein intensives nur viel kürzere Zeit auf das Auge gewirkt zu
haben braucht, als ein weniger intensives, um die Nachwirkung deut-
lich zu erzeugen, und dass verschieden gefärbte Körper bei gleicher
Beleuchtungsstärke zu demselben Zwecke ungleicher Zeiten bedürfen.
Stellt man die Farben nach ihrer Fähigkeit ein Nachbild zu erzeugen
in eine Reihe, so folgen sie nach der Ordnung: weiss, gelb, roth,
blau; Plateau.

b. Die Zeit, während welcher ein deutliches Nachbild im Sehfeld
verharrt, ist abhängig a) von der Intensität des primären Lichtein-
drucks, in der Art, dass das Nachbild eines intensiven Lichteindrucks
länger verharrt als das eines schwachen. b) Je länger objektives
Licht die Retina traf, um so dauernder erweist sich die Nachwirkung.
g) Alles andere gleichgesetzt, verbleiben die Nachbilder verschiede-
ner Farben, bis zu ihrem vollständigen Verschwinden, eine ungefähr
gleiche Zeit, dagegen verliert das Nachbild des Weissen rascher an
seiner Lebhaftigkeit als das des Gelben, Rothen, Blauen; Plateau.

Um die Zeiten der Nachbilder zu messen, wendete Plateau eine runde Scheibe
von bekanntem Durchmesser an, die mit verschiedener aber messbarer Geschwin-
digkeit gedreht werden konnte. Diese Scheibe überzog er mit einem lichtlosen
Grund (schwarzen Sammet) und befestigte auf diesem einen Kreissektor aus ge-
färbtem Papier. Dreht man nun diese Scheibe, so wird bei einer gewissen Geschwin-
digkeit derselben, dem Auge auch die schwarze Abtheilung mit der Farbe des Sektors
überzogen erscheinen; da man die Weglänge des schwarzen und gefärbten Theils

Bedingungen der Andauer des Nachbildes.
namentlich die Form des gesehenen Gegenstandes mit grosser Treue
festhält.

Unser Sehfeld ist in der That fast ununterbrochen mit Nachbildern ausgefüllt,
welche von uns nur übersehen werden, so lange wir nicht durch genaue Selbst-
beobachtung die Fähigkeit erlangt haben, diese meist zarten Bilder neben den ge-
wöhnlich stärkern objektiven Lichteindrücken aufzufassen. Zum ersten Studium des
Nachbildes ist dasjenige einer nicht zu hellen Kerzenflamme empfehlenswerth. Sieht
man Abends in eine solche nicht zu helle Kerzenflamme 30 bis 60 Sekunden stier und
unverrücklich, schliesst dann die Augen und deckt sie noch mit den Händen, so wird
man das genaueste Abbild der Flamme vor sich schweben sehen. Da man das Ker-
zenlicht innerhalb gewisser Grenzen durch Entfernen desselben vom Auge schwächen
und steigern kann, so eignet es sich vortrefflich, um sich die grössere Zahl der im
folgenden erläuterten Erscheinungen vorzuführen. — Alle Versuche über Nachbilder
und noch mehr über Abklingen der Farben müssen mit der äussersten Sorgfalt ange-
stellt werden, weil sie Augenschwäche, ja gänzlichen Verlust der Sehkraft herbei-
führen können. Fechner, Plateau und Brücke, welchen wir vorzugsweise un-
sere Kenntnisse über die Nachbilder verdanken, haben ernste Folgen ihres Strebens
empfinden müssen.

Die Erscheinungen dieses Nachbildes sind nun verwickelter Art.

a. Obwohl jeder Lichteindruck ein Nachbild hinterlässt, wie das
Beispiel des electrischen Funkens darthut, so sind doch gewisse Be-
dingungen nöthig, wenn ein Strahl auch nach seiner Entfernung aus
dem Auge, während einer merklichen Zeit deutlich empfunden werden
soll. In dieser Beziehung lehrt die tägliche Erfahrung, dass wenn
auch ein Licht von jeder beliebigen Stärke ein Nachbild hervorruft,
doch ein intensives nur viel kürzere Zeit auf das Auge gewirkt zu
haben braucht, als ein weniger intensives, um die Nachwirkung deut-
lich zu erzeugen, und dass verschieden gefärbte Körper bei gleicher
Beleuchtungsstärke zu demselben Zwecke ungleicher Zeiten bedürfen.
Stellt man die Farben nach ihrer Fähigkeit ein Nachbild zu erzeugen
in eine Reihe, so folgen sie nach der Ordnung: weiss, gelb, roth,
blau; Plateau.

b. Die Zeit, während welcher ein deutliches Nachbild im Sehfeld
verharrt, ist abhängig α) von der Intensität des primären Lichtein-
drucks, in der Art, dass das Nachbild eines intensiven Lichteindrucks
länger verharrt als das eines schwachen. β) Je länger objektives
Licht die Retina traf, um so dauernder erweist sich die Nachwirkung.
γ) Alles andere gleichgesetzt, verbleiben die Nachbilder verschiede-
ner Farben, bis zu ihrem vollständigen Verschwinden, eine ungefähr
gleiche Zeit, dagegen verliert das Nachbild des Weissen rascher an
seiner Lebhaftigkeit als das des Gelben, Rothen, Blauen; Plateau.

Um die Zeiten der Nachbilder zu messen, wendete Plateau eine runde Scheibe
von bekanntem Durchmesser an, die mit verschiedener aber messbarer Geschwin-
digkeit gedreht werden konnte. Diese Scheibe überzog er mit einem lichtlosen
Grund (schwarzen Sammet) und befestigte auf diesem einen Kreissektor aus ge-
färbtem Papier. Dreht man nun diese Scheibe, so wird bei einer gewissen Geschwin-
digkeit derselben, dem Auge auch die schwarze Abtheilung mit der Farbe des Sektors
überzogen erscheinen; da man die Weglänge des schwarzen und gefärbten Theils

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[231/0245] Bedingungen der Andauer des Nachbildes. namentlich die Form des gesehenen Gegenstandes mit grosser Treue festhält. Unser Sehfeld ist in der That fast ununterbrochen mit Nachbildern ausgefüllt, welche von uns nur übersehen werden, so lange wir nicht durch genaue Selbst- beobachtung die Fähigkeit erlangt haben, diese meist zarten Bilder neben den ge- wöhnlich stärkern objektiven Lichteindrücken aufzufassen. Zum ersten Studium des Nachbildes ist dasjenige einer nicht zu hellen Kerzenflamme empfehlenswerth. Sieht man Abends in eine solche nicht zu helle Kerzenflamme 30 bis 60 Sekunden stier und unverrücklich, schliesst dann die Augen und deckt sie noch mit den Händen, so wird man das genaueste Abbild der Flamme vor sich schweben sehen. Da man das Ker- zenlicht innerhalb gewisser Grenzen durch Entfernen desselben vom Auge schwächen und steigern kann, so eignet es sich vortrefflich, um sich die grössere Zahl der im folgenden erläuterten Erscheinungen vorzuführen. — Alle Versuche über Nachbilder und noch mehr über Abklingen der Farben müssen mit der äussersten Sorgfalt ange- stellt werden, weil sie Augenschwäche, ja gänzlichen Verlust der Sehkraft herbei- führen können. Fechner, Plateau und Brücke, welchen wir vorzugsweise un- sere Kenntnisse über die Nachbilder verdanken, haben ernste Folgen ihres Strebens empfinden müssen. Die Erscheinungen dieses Nachbildes sind nun verwickelter Art. a. Obwohl jeder Lichteindruck ein Nachbild hinterlässt, wie das Beispiel des electrischen Funkens darthut, so sind doch gewisse Be- dingungen nöthig, wenn ein Strahl auch nach seiner Entfernung aus dem Auge, während einer merklichen Zeit deutlich empfunden werden soll. In dieser Beziehung lehrt die tägliche Erfahrung, dass wenn auch ein Licht von jeder beliebigen Stärke ein Nachbild hervorruft, doch ein intensives nur viel kürzere Zeit auf das Auge gewirkt zu haben braucht, als ein weniger intensives, um die Nachwirkung deut- lich zu erzeugen, und dass verschieden gefärbte Körper bei gleicher Beleuchtungsstärke zu demselben Zwecke ungleicher Zeiten bedürfen. Stellt man die Farben nach ihrer Fähigkeit ein Nachbild zu erzeugen in eine Reihe, so folgen sie nach der Ordnung: weiss, gelb, roth, blau; Plateau. b. Die Zeit, während welcher ein deutliches Nachbild im Sehfeld verharrt, ist abhängig α) von der Intensität des primären Lichtein- drucks, in der Art, dass das Nachbild eines intensiven Lichteindrucks länger verharrt als das eines schwachen. β) Je länger objektives Licht die Retina traf, um so dauernder erweist sich die Nachwirkung. γ) Alles andere gleichgesetzt, verbleiben die Nachbilder verschiede- ner Farben, bis zu ihrem vollständigen Verschwinden, eine ungefähr gleiche Zeit, dagegen verliert das Nachbild des Weissen rascher an seiner Lebhaftigkeit als das des Gelben, Rothen, Blauen; Plateau. Um die Zeiten der Nachbilder zu messen, wendete Plateau eine runde Scheibe von bekanntem Durchmesser an, die mit verschiedener aber messbarer Geschwin- digkeit gedreht werden konnte. Diese Scheibe überzog er mit einem lichtlosen Grund (schwarzen Sammet) und befestigte auf diesem einen Kreissektor aus ge- färbtem Papier. Dreht man nun diese Scheibe, so wird bei einer gewissen Geschwin- digkeit derselben, dem Auge auch die schwarze Abtheilung mit der Farbe des Sektors überzogen erscheinen; da man die Weglänge des schwarzen und gefärbten Theils

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/245>, abgerufen am 19.03.2024.