eine solche Wirkung als Nachempfindung zu deuten, möchte schwer seine Rechtfertigung in der Analogie finden; das Phänomen erläutert sich dagegen einfach, wenn man annimmt, dass die Schmerzen durch Erregungsmittel bedingt werden, die aus der chemischen Destruktion der Muskeln hervorgehen, und die auf die in den Muskeln vorhandenen sensiblen Nerven wirken. Solche Destruktionen sind nun aber be- kanntlich immer die Folgen anhaltender Bewegung.
Gegen diese Reihe von Gründen lässt sich nur geltend machen, dass auch die Muskeln auf Angriffe, als Zerschneiden, Brennen etc., die sonst in sensiblen Nerven sehr lebhafte Schmerzen erwecken, nie oder selten mit Schmerzensäusserungen antworten. Dieser Ein- wand ist aber nicht einmal bindend, weil auch viele andere nachweis- lich sensible Flächen (Magenfläche, Speiseröhre u. s. w.) erst schmer- zen, wenn die wenigen in ihnen enthaltenen sensiblen Nervenröhren in ganz besondern Erregbarkeitszuständen sich finden.
Die Verbindungen der Muskeln mit den besondern Erregungsquellen, und namentlich mit den Organen des Willens, der automatischen Erregung und der reflektorischen Uebertragung würden nun zu behandeln sein. Rücksichtlich der Stellung der Muskelnerven zum Willen verweisen wir auf Seelenwirkung; den kärglichen Betrachtungen über Reflex und Automatie, die wir schon gaben, ist nichts weiter zuzufügen.
B. Das Skelet mit seinen Muskeln.
Die folgende Betrachtung fasst das Skelet mit seinen Muskeln einzig von dem mechanischen Gesichtspunkt auf. In diesem Sinne stellt es ein Bewegungswerkzeug dar, das sich aus trägen, empfan- gene Bewegung übertragenden (Knochen, Knorpelgebilden, Bänder, Sehnen) und aus lebendigen, freie Kräfte erzeugenden Massen (Mus- keln) zusammensetzt; oder nach einer andern Seite hin ausgedrückt, das Skelet ist eine mannigfache Zusammenordnung zahlreicher Hebel, welche von den zwischen liegenden Muskeln bewegt werden. --
Mit Hilfe der bekannten mechanischen Prinzipien würde das Skelet und seine Bewegungen vollkommen zu verstehen sein, man würde eben so leicht jede noch so complizirte Leistung desselben aus ihren einfachen Bedingungen erläutern können, als man auch alle seine Verrichtungen im Voraus zu bestimmen im Stande wäre, wenn die mechanischen Eigenschaften desselben aufgedeckt sein würden. Zu diesen wäre aber zu zählen, 1. die Festigkeit, die Elastizität und das spezifische Gewicht des Baumaterials sämmtlicher Träger und lebendiger Theile. 2. Die Form und das Gewicht der Hebel, die Lage der Stützpunkte und der Angriffspunkte der Kräfte an ihnen. 3. Die Verbindungen der Hebel unter einander, insbesondere die Art, die Festigkeit und die Beweglichkeit derselben. 4. Die Kraft und die Rich- tung, mit welcher die Muskeln gegen die einzelnen Angriffspunkte angehen, und in welcher Ausdehnung sie sich verkürzen.
Rumpf- und Glieder-Skelet.
eine solche Wirkung als Nachempfindung zu deuten, möchte schwer seine Rechtfertigung in der Analogie finden; das Phänomen erläutert sich dagegen einfach, wenn man annimmt, dass die Schmerzen durch Erregungsmittel bedingt werden, die aus der chemischen Destruktion der Muskeln hervorgehen, und die auf die in den Muskeln vorhandenen sensiblen Nerven wirken. Solche Destruktionen sind nun aber be- kanntlich immer die Folgen anhaltender Bewegung.
Gegen diese Reihe von Gründen lässt sich nur geltend machen, dass auch die Muskeln auf Angriffe, als Zerschneiden, Brennen etc., die sonst in sensiblen Nerven sehr lebhafte Schmerzen erwecken, nie oder selten mit Schmerzensäusserungen antworten. Dieser Ein- wand ist aber nicht einmal bindend, weil auch viele andere nachweis- lich sensible Flächen (Magenfläche, Speiseröhre u. s. w.) erst schmer- zen, wenn die wenigen in ihnen enthaltenen sensiblen Nervenröhren in ganz besondern Erregbarkeitszuständen sich finden.
Die Verbindungen der Muskeln mit den besondern Erregungsquellen, und namentlich mit den Organen des Willens, der automatischen Erregung und der reflektorischen Uebertragung würden nun zu behandeln sein. Rücksichtlich der Stellung der Muskelnerven zum Willen verweisen wir auf Seelenwirkung; den kärglichen Betrachtungen über Reflex und Automatie, die wir schon gaben, ist nichts weiter zuzufügen.
B. Das Skelet mit seinen Muskeln.
Die folgende Betrachtung fasst das Skelet mit seinen Muskeln einzig von dem mechanischen Gesichtspunkt auf. In diesem Sinne stellt es ein Bewegungswerkzeug dar, das sich aus trägen, empfan- gene Bewegung übertragenden (Knochen, Knorpelgebilden, Bänder, Sehnen) und aus lebendigen, freie Kräfte erzeugenden Massen (Mus- keln) zusammensetzt; oder nach einer andern Seite hin ausgedrückt, das Skelet ist eine mannigfache Zusammenordnung zahlreicher Hebel, welche von den zwischen liegenden Muskeln bewegt werden. —
Mit Hilfe der bekannten mechanischen Prinzipien würde das Skelet und seine Bewegungen vollkommen zu verstehen sein, man würde eben so leicht jede noch so complizirte Leistung desselben aus ihren einfachen Bedingungen erläutern können, als man auch alle seine Verrichtungen im Voraus zu bestimmen im Stande wäre, wenn die mechanischen Eigenschaften desselben aufgedeckt sein würden. Zu diesen wäre aber zu zählen, 1. die Festigkeit, die Elastizität und das spezifische Gewicht des Baumaterials sämmtlicher Träger und lebendiger Theile. 2. Die Form und das Gewicht der Hebel, die Lage der Stützpunkte und der Angriffspunkte der Kräfte an ihnen. 3. Die Verbindungen der Hebel unter einander, insbesondere die Art, die Festigkeit und die Beweglichkeit derselben. 4. Die Kraft und die Rich- tung, mit welcher die Muskeln gegen die einzelnen Angriffspunkte angehen, und in welcher Ausdehnung sie sich verkürzen.
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[362/0376]
Rumpf- und Glieder-Skelet.
eine solche Wirkung als Nachempfindung zu deuten, möchte schwer
seine Rechtfertigung in der Analogie finden; das Phänomen erläutert
sich dagegen einfach, wenn man annimmt, dass die Schmerzen durch
Erregungsmittel bedingt werden, die aus der chemischen Destruktion
der Muskeln hervorgehen, und die auf die in den Muskeln vorhandenen
sensiblen Nerven wirken. Solche Destruktionen sind nun aber be-
kanntlich immer die Folgen anhaltender Bewegung.
Gegen diese Reihe von Gründen lässt sich nur geltend machen,
dass auch die Muskeln auf Angriffe, als Zerschneiden, Brennen etc.,
die sonst in sensiblen Nerven sehr lebhafte Schmerzen erwecken,
nie oder selten mit Schmerzensäusserungen antworten. Dieser Ein-
wand ist aber nicht einmal bindend, weil auch viele andere nachweis-
lich sensible Flächen (Magenfläche, Speiseröhre u. s. w.) erst schmer-
zen, wenn die wenigen in ihnen enthaltenen sensiblen Nervenröhren
in ganz besondern Erregbarkeitszuständen sich finden.
Die Verbindungen der Muskeln mit den besondern Erregungsquellen,
und namentlich mit den Organen des Willens, der automatischen Erregung
und der reflektorischen Uebertragung würden nun zu behandeln sein.
Rücksichtlich der Stellung der Muskelnerven zum Willen verweisen
wir auf Seelenwirkung; den kärglichen Betrachtungen über Reflex
und Automatie, die wir schon gaben, ist nichts weiter zuzufügen.
B. Das Skelet mit seinen Muskeln.
Die folgende Betrachtung fasst das Skelet mit seinen Muskeln
einzig von dem mechanischen Gesichtspunkt auf. In diesem Sinne
stellt es ein Bewegungswerkzeug dar, das sich aus trägen, empfan-
gene Bewegung übertragenden (Knochen, Knorpelgebilden, Bänder,
Sehnen) und aus lebendigen, freie Kräfte erzeugenden Massen (Mus-
keln) zusammensetzt; oder nach einer andern Seite hin ausgedrückt,
das Skelet ist eine mannigfache Zusammenordnung zahlreicher Hebel,
welche von den zwischen liegenden Muskeln bewegt werden. —
Mit Hilfe der bekannten mechanischen Prinzipien würde das
Skelet und seine Bewegungen vollkommen zu verstehen sein, man
würde eben so leicht jede noch so complizirte Leistung desselben aus
ihren einfachen Bedingungen erläutern können, als man auch alle
seine Verrichtungen im Voraus zu bestimmen im Stande wäre, wenn
die mechanischen Eigenschaften desselben aufgedeckt sein würden.
Zu diesen wäre aber zu zählen, 1. die Festigkeit, die Elastizität und
das spezifische Gewicht des Baumaterials sämmtlicher Träger und
lebendiger Theile. 2. Die Form und das Gewicht der Hebel, die Lage
der Stützpunkte und der Angriffspunkte der Kräfte an ihnen. 3. Die
Verbindungen der Hebel unter einander, insbesondere die Art, die
Festigkeit und die Beweglichkeit derselben. 4. Die Kraft und die Rich-
tung, mit welcher die Muskeln gegen die einzelnen Angriffspunkte
angehen, und in welcher Ausdehnung sie sich verkürzen.
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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/376>, abgerufen am 22.02.2025.
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