Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lorm, Hieronymus [d. i. Heinrich Landesmann]: Ein adeliges Fräulein. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–49. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

ausgesucht harten Schicksal aus sich gemacht hat. Wir haben es hier nur mit dem Novellisten zu thun und werden es leicht erklärlich finden, daß sich in diesem unter so ungewöhnlichen Verhältnissen ein Ueberschuß der geistigen Intention über die sinnliche Kraft, ein Uebergewicht des Denkers über den Dichter ausbilden mußte, da dem schwer Heimgesuchten das Leben mehr durch Reflexion und innere Anschauung nahe trat, als durch den frischen, unmittelbaren Blick in die bewegte Welt. Seine Novellen sind fast immer in psychologischer Hinsicht bedeutender als in künstlerischer; weit geringere Talente, wenn sie nur die Naivetät ihrer Phantasie walten lassen, bringen es oft zu größerer Anschaulichkeit und Unmittelbarkeit der Illusion, als ein geistreicher Denker, dem alle Symbolik des einzelnen Falles, alle sittlichen und geistigen Beziehungen jedes Ereignisses beständig gegenwärtig sind. Mehrfach aber ist es Lorm geglückt, Probleme zu finden, wo seine feuilletonistisch schweifende, grüblerische, oft allzu spitzfindige Darstellungsweise dem Thema gemäßer ist, oder, wie in der von uns mitgetheilten Erzählung, einen echt novellistischen Griff zu thun, einen Collisionsfall zu finden, der die Menschennatur von einer ungewöhnlichen und doch bedeutsamen Seite offenbart und den Leser zu nachdenklichem Mitgefühl anregt.

ausgesucht harten Schicksal aus sich gemacht hat. Wir haben es hier nur mit dem Novellisten zu thun und werden es leicht erklärlich finden, daß sich in diesem unter so ungewöhnlichen Verhältnissen ein Ueberschuß der geistigen Intention über die sinnliche Kraft, ein Uebergewicht des Denkers über den Dichter ausbilden mußte, da dem schwer Heimgesuchten das Leben mehr durch Reflexion und innere Anschauung nahe trat, als durch den frischen, unmittelbaren Blick in die bewegte Welt. Seine Novellen sind fast immer in psychologischer Hinsicht bedeutender als in künstlerischer; weit geringere Talente, wenn sie nur die Naivetät ihrer Phantasie walten lassen, bringen es oft zu größerer Anschaulichkeit und Unmittelbarkeit der Illusion, als ein geistreicher Denker, dem alle Symbolik des einzelnen Falles, alle sittlichen und geistigen Beziehungen jedes Ereignisses beständig gegenwärtig sind. Mehrfach aber ist es Lorm geglückt, Probleme zu finden, wo seine feuilletonistisch schweifende, grüblerische, oft allzu spitzfindige Darstellungsweise dem Thema gemäßer ist, oder, wie in der von uns mitgetheilten Erzählung, einen echt novellistischen Griff zu thun, einen Collisionsfall zu finden, der die Menschennatur von einer ungewöhnlichen und doch bedeutsamen Seite offenbart und den Leser zu nachdenklichem Mitgefühl anregt.

<TEI>
  <text>
    <front>
      <div type="preface">
        <p><pb facs="#f0006"/>
ausgesucht harten     Schicksal aus sich gemacht hat. Wir haben es hier nur mit dem Novellisten zu thun und werden es     leicht erklärlich finden, daß sich in diesem unter so ungewöhnlichen Verhältnissen ein     Ueberschuß der geistigen Intention über die sinnliche Kraft, ein Uebergewicht des Denkers über     den Dichter ausbilden mußte, da dem schwer Heimgesuchten das Leben mehr durch Reflexion und     innere Anschauung nahe trat, als durch den frischen, unmittelbaren Blick in die bewegte Welt.     Seine Novellen sind fast immer in psychologischer Hinsicht bedeutender als in künstlerischer;     weit geringere Talente, wenn sie nur die Naivetät ihrer Phantasie walten lassen, bringen es oft     zu größerer Anschaulichkeit und Unmittelbarkeit der Illusion, als ein geistreicher Denker, dem     alle Symbolik des einzelnen Falles, alle sittlichen und geistigen Beziehungen jedes Ereignisses     beständig gegenwärtig sind. Mehrfach aber ist es Lorm geglückt, Probleme zu finden, wo seine     feuilletonistisch schweifende, grüblerische, oft allzu spitzfindige Darstellungsweise dem Thema     gemäßer ist, oder, wie in der von uns mitgetheilten Erzählung, einen echt novellistischen Griff     zu thun, einen Collisionsfall zu finden, der die Menschennatur von einer ungewöhnlichen und doch     bedeutsamen Seite offenbart und den Leser zu nachdenklichem Mitgefühl anregt.</p><lb/>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[0006] ausgesucht harten Schicksal aus sich gemacht hat. Wir haben es hier nur mit dem Novellisten zu thun und werden es leicht erklärlich finden, daß sich in diesem unter so ungewöhnlichen Verhältnissen ein Ueberschuß der geistigen Intention über die sinnliche Kraft, ein Uebergewicht des Denkers über den Dichter ausbilden mußte, da dem schwer Heimgesuchten das Leben mehr durch Reflexion und innere Anschauung nahe trat, als durch den frischen, unmittelbaren Blick in die bewegte Welt. Seine Novellen sind fast immer in psychologischer Hinsicht bedeutender als in künstlerischer; weit geringere Talente, wenn sie nur die Naivetät ihrer Phantasie walten lassen, bringen es oft zu größerer Anschaulichkeit und Unmittelbarkeit der Illusion, als ein geistreicher Denker, dem alle Symbolik des einzelnen Falles, alle sittlichen und geistigen Beziehungen jedes Ereignisses beständig gegenwärtig sind. Mehrfach aber ist es Lorm geglückt, Probleme zu finden, wo seine feuilletonistisch schweifende, grüblerische, oft allzu spitzfindige Darstellungsweise dem Thema gemäßer ist, oder, wie in der von uns mitgetheilten Erzählung, einen echt novellistischen Griff zu thun, einen Collisionsfall zu finden, der die Menschennatur von einer ungewöhnlichen und doch bedeutsamen Seite offenbart und den Leser zu nachdenklichem Mitgefühl anregt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:30:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:30:32Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lorm_fraeulein_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lorm_fraeulein_1910/6
Zitationshilfe: Lorm, Hieronymus [d. i. Heinrich Landesmann]: Ein adeliges Fräulein. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–49. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lorm_fraeulein_1910/6>, abgerufen am 26.04.2024.