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Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 3. Stuttgart, 1836.

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Störungen der Planeten überhaupt.
Modelle, ganz nahe vor unsern Augen hätten, und jede kleine
Abweichung der so wunderbar unter einander verschlungenen Be-
wegungen mit unsern stärksten Mikroscopen noch vergrößert sehen
könnten, so würde es wahrscheinlich keinem von uns einfallen, die
Gesetze aufzusuchen, nach welchen alle diese Erscheinungen vor sich
gehen. Dort oben aber, in jenen ungemessenen Räumen, zeigen
sich die Veränderungen, welche mit den Himmelskörpern vorgehen,
für uns nur in ihren großen, gleichsam in ihren rohen Zügen,
daher es uns noch möglich wird, die Hauptmomente derselben
rein aufzufassen, ohne uns von dem Detail dieser Erscheinungen
beirren oder übertäuben zu lassen. In dieser Beziehung also ist
das Problem, die wahre Bahn eines Planeten unseres Sonnen-
systems zu bestimmen, so schwer es auch an sich seyn mag, doch
immer noch unendlich leichter, als die Bahn eines der Millionen
Sonnenstäubchen zu berechnen, die uns in unserer nächsten Nähe
umgeben. Aus dieser Ursache sind wir auch in der Physik, so
weit sich diese Wissenschaft nur mit den Körpern der Erde, die
wir unmittelbar vor unsern Augen haben, beschäftiget, viel mehr
zurück, als in der Astronomie, die es nur mit sehr entfernten
Gegenständen zu thun hat. Gar vieles läßt sich nur gut erkennen,
wenn es aus einer gewissen Ferne gesehen wird, und das Detail
versteckt nur zu oft die großen Züge des Ganzen. Wenn man
mehreren Personen ein großes Frescogemälde vorlegte, und sie
dasselbe nur durch ein starkes Mikroscop besähen, so würde jeder
eine andere Idee davon erhalten, und der eine würde es für ein
Haus, der zweite für einen Baum, und ein anderer wohl gar für
ein Portrait ansehen. Die Bewohner des Mondes, die fünfzig
tausend Meilen von uns entfernt sind, und eben dadurch die
ganze Erde im Großen übersehen, kannten gewiß Amerika und
Neuholland lange vorher, ehe sie von uns, die wir doch die Erde
so nahe haben, entdeckt wurden, und daß die Erde eine Kugel
ist, die sich täglich um sich selbst dreht, mußten sie lange vorher,
ehe Copernicus es finden konnte, auf den ersten Blick geseh[e]n
haben.

Allein dieß ist nicht die einzige Ursache, durch welche uns die
Auflösung jenes großen Problems möglich geworden ist. Es gibt
vielmehr noch mehrere besondere Eigenthümlichkeiten unseres

Störungen der Planeten überhaupt.
Modelle, ganz nahe vor unſern Augen hätten, und jede kleine
Abweichung der ſo wunderbar unter einander verſchlungenen Be-
wegungen mit unſern ſtärkſten Mikroſcopen noch vergrößert ſehen
könnten, ſo würde es wahrſcheinlich keinem von uns einfallen, die
Geſetze aufzuſuchen, nach welchen alle dieſe Erſcheinungen vor ſich
gehen. Dort oben aber, in jenen ungemeſſenen Räumen, zeigen
ſich die Veränderungen, welche mit den Himmelskörpern vorgehen,
für uns nur in ihren großen, gleichſam in ihren rohen Zügen,
daher es uns noch möglich wird, die Hauptmomente derſelben
rein aufzufaſſen, ohne uns von dem Detail dieſer Erſcheinungen
beirren oder übertäuben zu laſſen. In dieſer Beziehung alſo iſt
das Problem, die wahre Bahn eines Planeten unſeres Sonnen-
ſyſtems zu beſtimmen, ſo ſchwer es auch an ſich ſeyn mag, doch
immer noch unendlich leichter, als die Bahn eines der Millionen
Sonnenſtäubchen zu berechnen, die uns in unſerer nächſten Nähe
umgeben. Aus dieſer Urſache ſind wir auch in der Phyſik, ſo
weit ſich dieſe Wiſſenſchaft nur mit den Körpern der Erde, die
wir unmittelbar vor unſern Augen haben, beſchäftiget, viel mehr
zurück, als in der Aſtronomie, die es nur mit ſehr entfernten
Gegenſtänden zu thun hat. Gar vieles läßt ſich nur gut erkennen,
wenn es aus einer gewiſſen Ferne geſehen wird, und das Detail
verſteckt nur zu oft die großen Züge des Ganzen. Wenn man
mehreren Perſonen ein großes Frescogemälde vorlegte, und ſie
daſſelbe nur durch ein ſtarkes Mikroſcop beſähen, ſo würde jeder
eine andere Idee davon erhalten, und der eine würde es für ein
Haus, der zweite für einen Baum, und ein anderer wohl gar für
ein Portrait anſehen. Die Bewohner des Mondes, die fünfzig
tauſend Meilen von uns entfernt ſind, und eben dadurch die
ganze Erde im Großen überſehen, kannten gewiß Amerika und
Neuholland lange vorher, ehe ſie von uns, die wir doch die Erde
ſo nahe haben, entdeckt wurden, und daß die Erde eine Kugel
iſt, die ſich täglich um ſich ſelbſt dreht, mußten ſie lange vorher,
ehe Copernicus es finden konnte, auf den erſten Blick geſeh[e]n
haben.

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[107/0119] Störungen der Planeten überhaupt. Modelle, ganz nahe vor unſern Augen hätten, und jede kleine Abweichung der ſo wunderbar unter einander verſchlungenen Be- wegungen mit unſern ſtärkſten Mikroſcopen noch vergrößert ſehen könnten, ſo würde es wahrſcheinlich keinem von uns einfallen, die Geſetze aufzuſuchen, nach welchen alle dieſe Erſcheinungen vor ſich gehen. Dort oben aber, in jenen ungemeſſenen Räumen, zeigen ſich die Veränderungen, welche mit den Himmelskörpern vorgehen, für uns nur in ihren großen, gleichſam in ihren rohen Zügen, daher es uns noch möglich wird, die Hauptmomente derſelben rein aufzufaſſen, ohne uns von dem Detail dieſer Erſcheinungen beirren oder übertäuben zu laſſen. In dieſer Beziehung alſo iſt das Problem, die wahre Bahn eines Planeten unſeres Sonnen- ſyſtems zu beſtimmen, ſo ſchwer es auch an ſich ſeyn mag, doch immer noch unendlich leichter, als die Bahn eines der Millionen Sonnenſtäubchen zu berechnen, die uns in unſerer nächſten Nähe umgeben. Aus dieſer Urſache ſind wir auch in der Phyſik, ſo weit ſich dieſe Wiſſenſchaft nur mit den Körpern der Erde, die wir unmittelbar vor unſern Augen haben, beſchäftiget, viel mehr zurück, als in der Aſtronomie, die es nur mit ſehr entfernten Gegenſtänden zu thun hat. Gar vieles läßt ſich nur gut erkennen, wenn es aus einer gewiſſen Ferne geſehen wird, und das Detail verſteckt nur zu oft die großen Züge des Ganzen. Wenn man mehreren Perſonen ein großes Frescogemälde vorlegte, und ſie daſſelbe nur durch ein ſtarkes Mikroſcop beſähen, ſo würde jeder eine andere Idee davon erhalten, und der eine würde es für ein Haus, der zweite für einen Baum, und ein anderer wohl gar für ein Portrait anſehen. Die Bewohner des Mondes, die fünfzig tauſend Meilen von uns entfernt ſind, und eben dadurch die ganze Erde im Großen überſehen, kannten gewiß Amerika und Neuholland lange vorher, ehe ſie von uns, die wir doch die Erde ſo nahe haben, entdeckt wurden, und daß die Erde eine Kugel iſt, die ſich täglich um ſich ſelbſt dreht, mußten ſie lange vorher, ehe Copernicus es finden konnte, auf den erſten Blick geſehen haben. Allein dieß iſt nicht die einzige Urſache, durch welche uns die Auflöſung jenes großen Problems möglich geworden iſt. Es gibt vielmehr noch mehrere beſondere Eigenthümlichkeiten unſeres

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Zitationshilfe: Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 3. Stuttgart, 1836, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem03_1836/119>, abgerufen am 26.04.2024.