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Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 2. Stuttgart, 1835.

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Der Mond.
plötzlich unterbrochen wird und jener große Himmelskörper sich
mitten am Tage zwischen sie und die Sonne stellt und alles um
sie her in die Finsterniß der Nacht einhüllt. Ohne Zweifel sind
diese Erscheinungen auch auf dem Monde, für den großen Haufen
wenigstens, ein Gegenstand der Furcht und des Entsetzens, wie
sie es so lange Zeit auf der Erde waren *). Auch sie werden

*) In Ostindien ist der Glaube noch heut zu Tage sehr verbreitet,
daß bei einer Mondsfinsterniß ein böser Geist seine rabenschwar-
zen Fittige über den Mond ausbreite, um ihn vom Himmel
herabzuziehen, daher die Indier den Flüssen zueilen und sich bis
an den Kopf ins Wasser stecken, um sich dadurch vor den An-
griffen des bösen Geistes zu schützen. Noch sinnreicher stellen
sich die Bewohner der Westküste von Afrika vor, daß die Fin-
sternisse von einer großen schwarzen Katze verursacht werden, die
ihre Pfoten auf die Sonne oder den Mond legt. Die Tala-
poinen oder Mönche in Siam geben vor, daß die europäischen
Astronomen nur deßhalb die Zeit, die Dauer und Größe der
Finsternisse so scharf vorhersagen können, weil sie den Appetit
eines großen Drachen genau kennen, der zur Zeit einer Finster-
niß die Sonne oder den Mond verschlingen will. Die sonst so
gebildeten Griechen glaubten lange Zeit, daß der Mond zur Zeit
der Finsternisse von boshaften Magiern bezaubert werde, die ihn
durch ihre Künste vom Himmel herab ziehen und dann mit sei-
nem Schaume die Kräuter vergiften und die Thiere tödten. Wir
mögen uns immerhin in Acht nehmen, über diese Völker zu laut
zu lachen, da unsere eigenen Väter vor noch nicht gar langer
Zeit es nicht viel besser machten. Manche meiner Leser haben
vielleicht einige von den vielen Schriften gelesen, die zur Zeit
der totalen Sonnenfinsterniß des 12. Mai 1706 in allen Theilen
unseres auch damals schon sehr schreibsüchtigen Deutschlands er-
schienen sind. Diese Finsterniß war in der That eine der größ-
ten, die seit langer Zeit in Europa erschienen waren. Der
Schatten des Mondes zog beinahe über diesen ganzen Welttheil
hin, und diejenigen Gegenden, welche die Finsterniß total sahen,
hatten mitten am Tage eine stockfinstere Nacht von beinahe fünf
Minuten. Während dieser Zeit konnte man weder lesen noch
arbeiten und kaum erkannte man sich neben einander. Die Nacht-
vögel kamen aus ihren Klüften und die Thiere des Feldes such-
ten ihre Nachtlager auf. Man konnte neben der verfinsterten
Sonne die Planeten Merkur, Venus, Jupiter und Saturn und
selbst alle größeren Fixsterne deutlich sehen. Dafür war aber
auch diese Finsterniß der Gegenstand des Gespräches, selbst in
den sogenannten aufgeklärten Zirkeln und die Gelehrten auf un-
seren Universitäten lieferten tiefsinnige Betrachtungen über die

Der Mond.
plötzlich unterbrochen wird und jener große Himmelskörper ſich
mitten am Tage zwiſchen ſie und die Sonne ſtellt und alles um
ſie her in die Finſterniß der Nacht einhüllt. Ohne Zweifel ſind
dieſe Erſcheinungen auch auf dem Monde, für den großen Haufen
wenigſtens, ein Gegenſtand der Furcht und des Entſetzens, wie
ſie es ſo lange Zeit auf der Erde waren *). Auch ſie werden

*) In Oſtindien iſt der Glaube noch heut zu Tage ſehr verbreitet,
daß bei einer Mondsfinſterniß ein böſer Geiſt ſeine rabenſchwar-
zen Fittige über den Mond ausbreite, um ihn vom Himmel
herabzuziehen, daher die Indier den Flüſſen zueilen und ſich bis
an den Kopf ins Waſſer ſtecken, um ſich dadurch vor den An-
griffen des böſen Geiſtes zu ſchützen. Noch ſinnreicher ſtellen
ſich die Bewohner der Weſtküſte von Afrika vor, daß die Fin-
ſterniſſe von einer großen ſchwarzen Katze verurſacht werden, die
ihre Pfoten auf die Sonne oder den Mond legt. Die Tala-
poinen oder Mönche in Siam geben vor, daß die europäiſchen
Aſtronomen nur deßhalb die Zeit, die Dauer und Größe der
Finſterniſſe ſo ſcharf vorherſagen können, weil ſie den Appetit
eines großen Drachen genau kennen, der zur Zeit einer Finſter-
niß die Sonne oder den Mond verſchlingen will. Die ſonſt ſo
gebildeten Griechen glaubten lange Zeit, daß der Mond zur Zeit
der Finſterniſſe von boshaften Magiern bezaubert werde, die ihn
durch ihre Künſte vom Himmel herab ziehen und dann mit ſei-
nem Schaume die Kräuter vergiften und die Thiere tödten. Wir
mögen uns immerhin in Acht nehmen, über dieſe Völker zu laut
zu lachen, da unſere eigenen Väter vor noch nicht gar langer
Zeit es nicht viel beſſer machten. Manche meiner Leſer haben
vielleicht einige von den vielen Schriften geleſen, die zur Zeit
der totalen Sonnenfinſterniß des 12. Mai 1706 in allen Theilen
unſeres auch damals ſchon ſehr ſchreibſüchtigen Deutſchlands er-
ſchienen ſind. Dieſe Finſterniß war in der That eine der größ-
ten, die ſeit langer Zeit in Europa erſchienen waren. Der
Schatten des Mondes zog beinahe über dieſen ganzen Welttheil
hin, und diejenigen Gegenden, welche die Finſterniß total ſahen,
hatten mitten am Tage eine ſtockfinſtere Nacht von beinahe fünf
Minuten. Während dieſer Zeit konnte man weder leſen noch
arbeiten und kaum erkannte man ſich neben einander. Die Nacht-
vögel kamen aus ihren Klüften und die Thiere des Feldes ſuch-
ten ihre Nachtlager auf. Man konnte neben der verfinſterten
Sonne die Planeten Merkur, Venus, Jupiter und Saturn und
ſelbſt alle größeren Fixſterne deutlich ſehen. Dafür war aber
auch dieſe Finſterniß der Gegenſtand des Geſpräches, ſelbſt in
den ſogenannten aufgeklärten Zirkeln und die Gelehrten auf un-
ſeren Univerſitäten lieferten tiefſinnige Betrachtungen über die
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[201/0211] Der Mond. plötzlich unterbrochen wird und jener große Himmelskörper ſich mitten am Tage zwiſchen ſie und die Sonne ſtellt und alles um ſie her in die Finſterniß der Nacht einhüllt. Ohne Zweifel ſind dieſe Erſcheinungen auch auf dem Monde, für den großen Haufen wenigſtens, ein Gegenſtand der Furcht und des Entſetzens, wie ſie es ſo lange Zeit auf der Erde waren *). Auch ſie werden *) In Oſtindien iſt der Glaube noch heut zu Tage ſehr verbreitet, daß bei einer Mondsfinſterniß ein böſer Geiſt ſeine rabenſchwar- zen Fittige über den Mond ausbreite, um ihn vom Himmel herabzuziehen, daher die Indier den Flüſſen zueilen und ſich bis an den Kopf ins Waſſer ſtecken, um ſich dadurch vor den An- griffen des böſen Geiſtes zu ſchützen. Noch ſinnreicher ſtellen ſich die Bewohner der Weſtküſte von Afrika vor, daß die Fin- ſterniſſe von einer großen ſchwarzen Katze verurſacht werden, die ihre Pfoten auf die Sonne oder den Mond legt. Die Tala- poinen oder Mönche in Siam geben vor, daß die europäiſchen Aſtronomen nur deßhalb die Zeit, die Dauer und Größe der Finſterniſſe ſo ſcharf vorherſagen können, weil ſie den Appetit eines großen Drachen genau kennen, der zur Zeit einer Finſter- niß die Sonne oder den Mond verſchlingen will. Die ſonſt ſo gebildeten Griechen glaubten lange Zeit, daß der Mond zur Zeit der Finſterniſſe von boshaften Magiern bezaubert werde, die ihn durch ihre Künſte vom Himmel herab ziehen und dann mit ſei- nem Schaume die Kräuter vergiften und die Thiere tödten. Wir mögen uns immerhin in Acht nehmen, über dieſe Völker zu laut zu lachen, da unſere eigenen Väter vor noch nicht gar langer Zeit es nicht viel beſſer machten. Manche meiner Leſer haben vielleicht einige von den vielen Schriften geleſen, die zur Zeit der totalen Sonnenfinſterniß des 12. Mai 1706 in allen Theilen unſeres auch damals ſchon ſehr ſchreibſüchtigen Deutſchlands er- ſchienen ſind. Dieſe Finſterniß war in der That eine der größ- ten, die ſeit langer Zeit in Europa erſchienen waren. Der Schatten des Mondes zog beinahe über dieſen ganzen Welttheil hin, und diejenigen Gegenden, welche die Finſterniß total ſahen, hatten mitten am Tage eine ſtockfinſtere Nacht von beinahe fünf Minuten. Während dieſer Zeit konnte man weder leſen noch arbeiten und kaum erkannte man ſich neben einander. Die Nacht- vögel kamen aus ihren Klüften und die Thiere des Feldes ſuch- ten ihre Nachtlager auf. Man konnte neben der verfinſterten Sonne die Planeten Merkur, Venus, Jupiter und Saturn und ſelbſt alle größeren Fixſterne deutlich ſehen. Dafür war aber auch dieſe Finſterniß der Gegenſtand des Geſpräches, ſelbſt in den ſogenannten aufgeklärten Zirkeln und die Gelehrten auf un- ſeren Univerſitäten lieferten tiefſinnige Betrachtungen über die

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Zitationshilfe: Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 2. Stuttgart, 1835, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem02_1835/211>, abgerufen am 27.04.2024.