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Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834.

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Gestalt der Erde.

Um dahin zu gelangen, mußten Jahrtausende von aufmerk-
samen Beobachtungen vorausgehen; mußte eine lange Reihe von
Täuschungen und Irrthümern bekämpft, mußte der Fleiß und der
Scharfsinn der trefflichsten Männer aller Zeiten und Nationen
vereinigt werden, um in den äußerst verwickelten Phänomenen,
welche uns der gestirnte Himmel darbietet, die bloße Erscheinung
von der ihr zu Grunde liegenden Wahrheit zu trennen, um in
diesen Erscheinungen die ihnen zu Grunde liegenden Thatsachen
zu erkennen, und um endlich von diesen Thatsachen sich bis zu
dem Gesetze, dem sie alle gehorchen, bis zu dem Alles umfassenden
Prinzip der allgemeinen Gravitation, zu erheben, aus welchem alle
jene Phänomene, wie aus einer gemeinschaftlichen Quelle, abge-
leitet werden können.

Dieß ist der Weg, welchen der menschliche Geist in dieser
Wissenschaft zurückgelegt hat, und welchen ich im gegenwärtigen
Werke zu zeichnen versuchen will.

Soll ein Unternehmen solcher Art nach dieser Einleitung,
noch einer Apologie des Verfassers, oder einer Aufmunterung des
Lehrers bedürfen? -- Die Astronomie ist der Stolz des
menschlichen Geistes, und ihr Gegenstand ist das
Weltall
, das Größte und Herrlichste, das uns umgibt. --
Wir wollen hören, wie der Mensch zur Erkenntniß dieses erha-
benen Gegenstandes gekommen ist, und mit unseren eigenen
Augen
wollen wir sehen, wie die Himmel die Ehre Dessen
erzählen, der sie gemacht hat. In manchen Minen soll es Men-
schen geben, die dort geboren und begraben werden, ohne je die
Sonne und die Gestirne gesehen zu haben. Diese Bedaurungswür-
digen aber, wie wenig sind sie von jenen Unglücklichen verschieden,
die wohl auf der Oberfläche der Erde leben, aber darum nichts
bemerken von allen den Herrlichkeiten, die sie umgeben, die stumm
und fühllos stehen in einer Welt voll Wundern, und deren Augen
jenem Lichte verschlossen bleiben, welches für andere Menschen,
und selbst für Wesen höherer Art, nichts anderes als die Quelle der
edelsten und erhabensten Genüsse seyn muß. Die Astronomie ist
es, welche uns diese Augen des Geistes öffnet, und uns die
Wunder einer Welt entschleiert, die beinahe nur von Blinden
bewohnt wird.


Geſtalt der Erde.

Um dahin zu gelangen, mußten Jahrtauſende von aufmerk-
ſamen Beobachtungen vorausgehen; mußte eine lange Reihe von
Täuſchungen und Irrthümern bekämpft, mußte der Fleiß und der
Scharfſinn der trefflichſten Männer aller Zeiten und Nationen
vereinigt werden, um in den äußerſt verwickelten Phänomenen,
welche uns der geſtirnte Himmel darbietet, die bloße Erſcheinung
von der ihr zu Grunde liegenden Wahrheit zu trennen, um in
dieſen Erſcheinungen die ihnen zu Grunde liegenden Thatſachen
zu erkennen, und um endlich von dieſen Thatſachen ſich bis zu
dem Geſetze, dem ſie alle gehorchen, bis zu dem Alles umfaſſenden
Prinzip der allgemeinen Gravitation, zu erheben, aus welchem alle
jene Phänomene, wie aus einer gemeinſchaftlichen Quelle, abge-
leitet werden können.

Dieß iſt der Weg, welchen der menſchliche Geiſt in dieſer
Wiſſenſchaft zurückgelegt hat, und welchen ich im gegenwärtigen
Werke zu zeichnen verſuchen will.

Soll ein Unternehmen ſolcher Art nach dieſer Einleitung,
noch einer Apologie des Verfaſſers, oder einer Aufmunterung des
Lehrers bedürfen? — Die Aſtronomie iſt der Stolz des
menſchlichen Geiſtes, und ihr Gegenſtand iſt das
Weltall
, das Größte und Herrlichſte, das uns umgibt. —
Wir wollen hören, wie der Menſch zur Erkenntniß dieſes erha-
benen Gegenſtandes gekommen iſt, und mit unſeren eigenen
Augen
wollen wir ſehen, wie die Himmel die Ehre Deſſen
erzählen, der ſie gemacht hat. In manchen Minen ſoll es Men-
ſchen geben, die dort geboren und begraben werden, ohne je die
Sonne und die Geſtirne geſehen zu haben. Dieſe Bedaurungswür-
digen aber, wie wenig ſind ſie von jenen Unglücklichen verſchieden,
die wohl auf der Oberfläche der Erde leben, aber darum nichts
bemerken von allen den Herrlichkeiten, die ſie umgeben, die ſtumm
und fühllos ſtehen in einer Welt voll Wundern, und deren Augen
jenem Lichte verſchloſſen bleiben, welches für andere Menſchen,
und ſelbſt für Weſen höherer Art, nichts anderes als die Quelle der
edelſten und erhabenſten Genüſſe ſeyn muß. Die Aſtronomie iſt
es, welche uns dieſe Augen des Geiſtes öffnet, und uns die
Wunder einer Welt entſchleiert, die beinahe nur von Blinden
bewohnt wird.


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[44/0056] Geſtalt der Erde. Um dahin zu gelangen, mußten Jahrtauſende von aufmerk- ſamen Beobachtungen vorausgehen; mußte eine lange Reihe von Täuſchungen und Irrthümern bekämpft, mußte der Fleiß und der Scharfſinn der trefflichſten Männer aller Zeiten und Nationen vereinigt werden, um in den äußerſt verwickelten Phänomenen, welche uns der geſtirnte Himmel darbietet, die bloße Erſcheinung von der ihr zu Grunde liegenden Wahrheit zu trennen, um in dieſen Erſcheinungen die ihnen zu Grunde liegenden Thatſachen zu erkennen, und um endlich von dieſen Thatſachen ſich bis zu dem Geſetze, dem ſie alle gehorchen, bis zu dem Alles umfaſſenden Prinzip der allgemeinen Gravitation, zu erheben, aus welchem alle jene Phänomene, wie aus einer gemeinſchaftlichen Quelle, abge- leitet werden können. Dieß iſt der Weg, welchen der menſchliche Geiſt in dieſer Wiſſenſchaft zurückgelegt hat, und welchen ich im gegenwärtigen Werke zu zeichnen verſuchen will. Soll ein Unternehmen ſolcher Art nach dieſer Einleitung, noch einer Apologie des Verfaſſers, oder einer Aufmunterung des Lehrers bedürfen? — Die Aſtronomie iſt der Stolz des menſchlichen Geiſtes, und ihr Gegenſtand iſt das Weltall, das Größte und Herrlichſte, das uns umgibt. — Wir wollen hören, wie der Menſch zur Erkenntniß dieſes erha- benen Gegenſtandes gekommen iſt, und mit unſeren eigenen Augen wollen wir ſehen, wie die Himmel die Ehre Deſſen erzählen, der ſie gemacht hat. In manchen Minen ſoll es Men- ſchen geben, die dort geboren und begraben werden, ohne je die Sonne und die Geſtirne geſehen zu haben. Dieſe Bedaurungswür- digen aber, wie wenig ſind ſie von jenen Unglücklichen verſchieden, die wohl auf der Oberfläche der Erde leben, aber darum nichts bemerken von allen den Herrlichkeiten, die ſie umgeben, die ſtumm und fühllos ſtehen in einer Welt voll Wundern, und deren Augen jenem Lichte verſchloſſen bleiben, welches für andere Menſchen, und ſelbſt für Weſen höherer Art, nichts anderes als die Quelle der edelſten und erhabenſten Genüſſe ſeyn muß. Die Aſtronomie iſt es, welche uns dieſe Augen des Geiſtes öffnet, und uns die Wunder einer Welt entſchleiert, die beinahe nur von Blinden bewohnt wird.

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Zitationshilfe: Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem01_1834/56>, abgerufen am 26.04.2024.