Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Refraction, Präcession und Nutation.
Ebene der Ecliptik selbst nicht immer dieselbe Lage am Himmel
bei, und wir haben bereits oben gesehen, daß sie dem Aequator
jährlich um nahe 0,48 Secunden näher tritt. Aber diese eigene
Bewegung der Ecliptik ist erstens viel geringer, als jene des Aequa-
tors, sie entspringt auch zweitens aus einer ganz anderen Quelle
und sie ist endlich selbst veränderlich, so daß wir sie hier ohne merk-
lichen Fehler ganz außer unserer Betrachtung lassen können. Neh-
men wir daher an, daß die Schiefe der Ecliptik immer dieselbe
und die Lage derselben am Himmel unverändert bleibt, so werden
wir die Präcession dadurch vorstellen können, daß wir den Aequa-
tor VQ (Fig. 2) mit sich selbst parallel jährlich um 50",21 auf
der festen Ecliptik VL rückwärts gehen lassen, wodurch also auch
der Frühlingspunkt V in der Ecliptik jährlich um dieselbe Größe
von V in der Richtung VM rückwärts gehen und daher die Länge
aller Sterne in jedem Jahre um dieselbe Größe wachsen wird.

Wenn aber die Schiefe der Ecliptik oder der Winkel LVQ
constant ist, so ist auch die Entfernung NE des Pols N des Ae-
quators von dem Pole E der Ecliptik constant, da diese Entfernung
gleich jenem Winkel ist (Einl. §. 7). Da ferner der größte Kreis,
der durch die beiden Pole L und N dieser zwei Ebenen geht, im-
mer senkrecht auf beiden Ebenen ist (Einl. §. 4) und da jener größte
Kreis diese beiden Ebenen immer in der Entfernung von 90 Gra-
den von dem Durchschnitte V dieser Ebenen trifft (Einl. §. 7), so
wird, wenn der Frühlingspunkt V in der festen Ecliptik LV um
einen bestimmten Bogen gegen M fortgeht, auch der Pol N des
Aequators um den festen Pol E der Ecliptik in der Richtung von
N gegen S' einen Kreisbogen von derselben Größe beschreiben.
Wir können daher jene Veränderung der Länge der Sterne auch
durch eine Bewegung des Pols N des Aequators darstellen, der
um den festen Pol E der Ecliptik, als um einen Mittelpunkt ei-
nen Kreis beschreibt, dessen Halbmesser gleich EN oder gleich der
Schiefe der Ecliptik LVQ ist.

§. 191. (Scheinbare Verrückung der Sterne durch die Prä-
cession.) Durch die Wirkung der Präcession geht der Frühlings-
punkt, also auch der Herbstpunkt, in jedem Jahrhundert um
1,3947 Grade rückwärts, wodurch daher die Länge aller Sterne

23 *

Refraction, Präceſſion und Nutation.
Ebene der Ecliptik ſelbſt nicht immer dieſelbe Lage am Himmel
bei, und wir haben bereits oben geſehen, daß ſie dem Aequator
jährlich um nahe 0,48 Secunden näher tritt. Aber dieſe eigene
Bewegung der Ecliptik iſt erſtens viel geringer, als jene des Aequa-
tors, ſie entſpringt auch zweitens aus einer ganz anderen Quelle
und ſie iſt endlich ſelbſt veränderlich, ſo daß wir ſie hier ohne merk-
lichen Fehler ganz außer unſerer Betrachtung laſſen können. Neh-
men wir daher an, daß die Schiefe der Ecliptik immer dieſelbe
und die Lage derſelben am Himmel unverändert bleibt, ſo werden
wir die Präceſſion dadurch vorſtellen können, daß wir den Aequa-
tor VQ (Fig. 2) mit ſich ſelbſt parallel jährlich um 50″,21 auf
der feſten Ecliptik VL rückwärts gehen laſſen, wodurch alſo auch
der Frühlingspunkt V in der Ecliptik jährlich um dieſelbe Größe
von V in der Richtung VM rückwärts gehen und daher die Länge
aller Sterne in jedem Jahre um dieſelbe Größe wachſen wird.

Wenn aber die Schiefe der Ecliptik oder der Winkel LVQ
conſtant iſt, ſo iſt auch die Entfernung NE des Pols N des Ae-
quators von dem Pole E der Ecliptik conſtant, da dieſe Entfernung
gleich jenem Winkel iſt (Einl. §. 7). Da ferner der größte Kreis,
der durch die beiden Pole L und N dieſer zwei Ebenen geht, im-
mer ſenkrecht auf beiden Ebenen iſt (Einl. §. 4) und da jener größte
Kreis dieſe beiden Ebenen immer in der Entfernung von 90 Gra-
den von dem Durchſchnitte V dieſer Ebenen trifft (Einl. §. 7), ſo
wird, wenn der Frühlingspunkt V in der feſten Ecliptik LV um
einen beſtimmten Bogen gegen M fortgeht, auch der Pol N des
Aequators um den feſten Pol E der Ecliptik in der Richtung von
N gegen S' einen Kreisbogen von derſelben Größe beſchreiben.
Wir können daher jene Veränderung der Länge der Sterne auch
durch eine Bewegung des Pols N des Aequators darſtellen, der
um den feſten Pol E der Ecliptik, als um einen Mittelpunkt ei-
nen Kreis beſchreibt, deſſen Halbmeſſer gleich EN oder gleich der
Schiefe der Ecliptik LVQ iſt.

§. 191. (Scheinbare Verrückung der Sterne durch die Prä-
ceſſion.) Durch die Wirkung der Präceſſion geht der Frühlings-
punkt, alſo auch der Herbſtpunkt, in jedem Jahrhundert um
1,3947 Grade rückwärts, wodurch daher die Länge aller Sterne

23 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <div n="3">
          <p><pb facs="#f0367" n="355"/><fw place="top" type="header">Refraction, Präce&#x017F;&#x017F;ion und Nutation.</fw><lb/>
Ebene der Ecliptik &#x017F;elb&#x017F;t nicht immer die&#x017F;elbe Lage am Himmel<lb/>
bei, und wir haben bereits oben ge&#x017F;ehen, daß &#x017F;ie dem Aequator<lb/>
jährlich um nahe 0,<hi rendition="#sub">48</hi> Secunden näher tritt. Aber die&#x017F;e eigene<lb/>
Bewegung der Ecliptik i&#x017F;t er&#x017F;tens viel geringer, als jene des Aequa-<lb/>
tors, &#x017F;ie ent&#x017F;pringt auch zweitens aus einer ganz anderen Quelle<lb/>
und &#x017F;ie i&#x017F;t endlich &#x017F;elb&#x017F;t veränderlich, &#x017F;o daß wir &#x017F;ie hier ohne merk-<lb/>
lichen Fehler ganz außer un&#x017F;erer Betrachtung la&#x017F;&#x017F;en können. Neh-<lb/>
men wir daher an, daß die Schiefe der Ecliptik immer die&#x017F;elbe<lb/>
und die Lage der&#x017F;elben am Himmel unverändert bleibt, &#x017F;o werden<lb/>
wir die Präce&#x017F;&#x017F;ion dadurch vor&#x017F;tellen können, daß wir den Aequa-<lb/>
tor <hi rendition="#aq">VQ</hi> (Fig. 2) mit &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t parallel jährlich um 50&#x2033;,<hi rendition="#sub">21</hi> auf<lb/>
der fe&#x017F;ten Ecliptik <hi rendition="#aq">VL</hi> rückwärts gehen la&#x017F;&#x017F;en, wodurch al&#x017F;o auch<lb/>
der Frühlingspunkt <hi rendition="#aq">V</hi> in der Ecliptik jährlich um die&#x017F;elbe Größe<lb/>
von <hi rendition="#aq">V</hi> in der Richtung <hi rendition="#aq">VM</hi> rückwärts gehen und daher die Länge<lb/>
aller Sterne in jedem Jahre um die&#x017F;elbe Größe wach&#x017F;en wird.</p><lb/>
          <p>Wenn aber die Schiefe der Ecliptik oder der Winkel <hi rendition="#aq">LVQ</hi><lb/>
con&#x017F;tant i&#x017F;t, &#x017F;o i&#x017F;t auch die Entfernung <hi rendition="#aq">NE</hi> des Pols <hi rendition="#aq">N</hi> des Ae-<lb/>
quators von dem Pole <hi rendition="#aq">E</hi> der Ecliptik con&#x017F;tant, da die&#x017F;e Entfernung<lb/>
gleich jenem Winkel i&#x017F;t (Einl. §. 7). Da ferner der größte Kreis,<lb/>
der durch die beiden Pole <hi rendition="#aq">L</hi> und <hi rendition="#aq">N</hi> die&#x017F;er zwei Ebenen geht, im-<lb/>
mer &#x017F;enkrecht auf beiden Ebenen i&#x017F;t (Einl. §. 4) und da jener größte<lb/>
Kreis die&#x017F;e beiden Ebenen immer in der Entfernung von 90 Gra-<lb/>
den von dem Durch&#x017F;chnitte <hi rendition="#aq">V</hi> die&#x017F;er Ebenen trifft (Einl. §. 7), &#x017F;o<lb/>
wird, wenn der Frühlingspunkt <hi rendition="#aq">V</hi> in der fe&#x017F;ten Ecliptik <hi rendition="#aq">LV</hi> um<lb/>
einen be&#x017F;timmten Bogen gegen <hi rendition="#aq">M</hi> fortgeht, auch der Pol <hi rendition="#aq">N</hi> des<lb/>
Aequators um den fe&#x017F;ten Pol <hi rendition="#aq">E</hi> der Ecliptik in der Richtung von<lb/><hi rendition="#aq">N</hi> gegen <hi rendition="#aq">S'</hi> einen Kreisbogen von der&#x017F;elben Größe be&#x017F;chreiben.<lb/>
Wir können daher jene Veränderung der Länge der Sterne auch<lb/>
durch eine Bewegung des Pols <hi rendition="#aq">N</hi> des Aequators dar&#x017F;tellen, der<lb/>
um den fe&#x017F;ten Pol <hi rendition="#aq">E</hi> der Ecliptik, als um einen Mittelpunkt ei-<lb/>
nen Kreis be&#x017F;chreibt, de&#x017F;&#x017F;en Halbme&#x017F;&#x017F;er gleich <hi rendition="#aq">EN</hi> oder gleich der<lb/>
Schiefe der Ecliptik <hi rendition="#aq">LVQ</hi> i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>§. 191. (Scheinbare Verrückung der Sterne durch die Prä-<lb/>
ce&#x017F;&#x017F;ion.) Durch die Wirkung der Präce&#x017F;&#x017F;ion geht der Frühlings-<lb/>
punkt, al&#x017F;o auch der Herb&#x017F;tpunkt, in jedem Jahrhundert um<lb/>
1,<hi rendition="#sub">3947</hi> Grade rückwärts, wodurch daher die Länge aller Sterne<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">23 *</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[355/0367] Refraction, Präceſſion und Nutation. Ebene der Ecliptik ſelbſt nicht immer dieſelbe Lage am Himmel bei, und wir haben bereits oben geſehen, daß ſie dem Aequator jährlich um nahe 0,48 Secunden näher tritt. Aber dieſe eigene Bewegung der Ecliptik iſt erſtens viel geringer, als jene des Aequa- tors, ſie entſpringt auch zweitens aus einer ganz anderen Quelle und ſie iſt endlich ſelbſt veränderlich, ſo daß wir ſie hier ohne merk- lichen Fehler ganz außer unſerer Betrachtung laſſen können. Neh- men wir daher an, daß die Schiefe der Ecliptik immer dieſelbe und die Lage derſelben am Himmel unverändert bleibt, ſo werden wir die Präceſſion dadurch vorſtellen können, daß wir den Aequa- tor VQ (Fig. 2) mit ſich ſelbſt parallel jährlich um 50″,21 auf der feſten Ecliptik VL rückwärts gehen laſſen, wodurch alſo auch der Frühlingspunkt V in der Ecliptik jährlich um dieſelbe Größe von V in der Richtung VM rückwärts gehen und daher die Länge aller Sterne in jedem Jahre um dieſelbe Größe wachſen wird. Wenn aber die Schiefe der Ecliptik oder der Winkel LVQ conſtant iſt, ſo iſt auch die Entfernung NE des Pols N des Ae- quators von dem Pole E der Ecliptik conſtant, da dieſe Entfernung gleich jenem Winkel iſt (Einl. §. 7). Da ferner der größte Kreis, der durch die beiden Pole L und N dieſer zwei Ebenen geht, im- mer ſenkrecht auf beiden Ebenen iſt (Einl. §. 4) und da jener größte Kreis dieſe beiden Ebenen immer in der Entfernung von 90 Gra- den von dem Durchſchnitte V dieſer Ebenen trifft (Einl. §. 7), ſo wird, wenn der Frühlingspunkt V in der feſten Ecliptik LV um einen beſtimmten Bogen gegen M fortgeht, auch der Pol N des Aequators um den feſten Pol E der Ecliptik in der Richtung von N gegen S' einen Kreisbogen von derſelben Größe beſchreiben. Wir können daher jene Veränderung der Länge der Sterne auch durch eine Bewegung des Pols N des Aequators darſtellen, der um den feſten Pol E der Ecliptik, als um einen Mittelpunkt ei- nen Kreis beſchreibt, deſſen Halbmeſſer gleich EN oder gleich der Schiefe der Ecliptik LVQ iſt. §. 191. (Scheinbare Verrückung der Sterne durch die Prä- ceſſion.) Durch die Wirkung der Präceſſion geht der Frühlings- punkt, alſo auch der Herbſtpunkt, in jedem Jahrhundert um 1,3947 Grade rückwärts, wodurch daher die Länge aller Sterne 23 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem01_1834/367
Zitationshilfe: Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem01_1834/367>, abgerufen am 26.04.2024.