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Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898.

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II. Buch. Der völkerrechtl. Verkehr der Staaten im allgemeinen.

Als Verletzung des Völkerrechts erscheint jeder Versuch des
Gesandten, sich in die inneren Verhältnisse des Empfangsstaates ein-
zumengen. Und rechtswidriger Missbrauch der Vertrauensstellung
ist die Verwendung geheimer Kundschafter.

Um seiner völkerrechtlichen Aufgabe Genüge leisten zu können,
ist der Gesandte befreit von der Staatsgewalt des Empfangsstaates:
darin besteht seine sogenannte Exterritorialität
(oben § 8 IV).

Heyking, L'exterritorialite. 1889.

Vercamer, Des franchises des agents diplomatiques et specialement de
l'exterritorialite. 1891.

Pietri, Etude critique sur la fiction d'exterritorialite. 1895.

Odier, Des privileges et immunites des agents diplomatiques en pays de
chretiente. 1890.

Verhandlungen des Instituts für Völkerrecht. 1895.

Beling, Die strafrechtliche Bedeutung der Exterritorialität. Beiträge
zum Völkerrecht und zum Strafrecht. 1896. Dazu Harburger, Kri-
tische Vierteljahrsschrift. 3. Folge. Bd. IV S. 122.

Die dem Gesandten selbst (dem "Chef der Mission") gewährte
Exterritorialität erstreckt sich aber weiter auch:

a) Auf die mit ihm wohnenden Mitglieder seiner Familie.
b) Auf die Mitglieder der Gesandtschaft mit Einschluss der militä-
rischen und technischen Attaches, sowie auf die Familien dieser
Personen.
c) Auf das Geschäftspersonal (gens d'uniforme) wie Sekretäre, Kanz-
listen, Prediger, Ärzte.
d) Auf die Dienerschaft (gens de livree), soweit diese Personen nicht
etwa Angehörige des Empfangsstaates sind
(bestritten).

Das Deutsche Gerichtsverfassungsgesetz giebt die herrschende
Ansicht wieder. § 18 Abs. 1 sagt: "Die inländische Gerichtsbar-
keit erstreckt sich nicht auf die Chefs und Mitglieder der bei dem
Deutschen Reiche beglaubigten Missionen ....." § 19: "Auf die
Familienglieder, das Geschäftspersonal der im § 18 erwähnten Per-
sonen und auf solche Bedienstete derselben, welche nicht Deutsche
sind
, finden die vorstehenden Bestimmungen Anwendung."

Die Befreiung von der Staatsgewalt des Empfangsstaates, die
schon von den Vorgängern des Grotius als Rechtssatz des Völker-
rechts aufgestellt worden ist, seit Grotius aber trotz aller Wider-

II. Buch. Der völkerrechtl. Verkehr der Staaten im allgemeinen.

Als Verletzung des Völkerrechts erscheint jeder Versuch des
Gesandten, sich in die inneren Verhältnisse des Empfangsstaates ein-
zumengen. Und rechtswidriger Miſsbrauch der Vertrauensstellung
ist die Verwendung geheimer Kundschafter.

Um seiner völkerrechtlichen Aufgabe Genüge leisten zu können,
ist der Gesandte befreit von der Staatsgewalt des Empfangsstaates:
darin besteht seine sogenannte Exterritorialität
(oben § 8 IV).

Heyking, L’exterritorialité. 1889.

Vercamer, Des franchises des agents diplomatiques et spécialement de
l’exterritorialité. 1891.

Pietri, Etude critique sur la fiction d’exterritorialité. 1895.

Odier, Des privilèges et immunités des agents diplomatiques en pays de
chrétienté. 1890.

Verhandlungen des Instituts für Völkerrecht. 1895.

Beling, Die strafrechtliche Bedeutung der Exterritorialität. Beiträge
zum Völkerrecht und zum Strafrecht. 1896. Dazu Harburger, Kri-
tische Vierteljahrsschrift. 3. Folge. Bd. IV S. 122.

Die dem Gesandten selbst (dem „Chef der Mission“) gewährte
Exterritorialität erstreckt sich aber weiter auch:

a) Auf die mit ihm wohnenden Mitglieder seiner Familie.
b) Auf die Mitglieder der Gesandtschaft mit Einschluſs der militä-
rischen und technischen Attachés, sowie auf die Familien dieser
Personen.
c) Auf das Geschäftspersonal (gens d’uniforme) wie Sekretäre, Kanz-
listen, Prediger, Ärzte.
d) Auf die Dienerschaft (gens de livrée), soweit diese Personen nicht
etwa Angehörige des Empfangsstaates sind
(bestritten).

Das Deutsche Gerichtsverfassungsgesetz giebt die herrschende
Ansicht wieder. § 18 Abs. 1 sagt: „Die inländische Gerichtsbar-
keit erstreckt sich nicht auf die Chefs und Mitglieder der bei dem
Deutschen Reiche beglaubigten Missionen .....“ § 19: „Auf die
Familienglieder, das Geschäftspersonal der im § 18 erwähnten Per-
sonen und auf solche Bedienstete derselben, welche nicht Deutsche
sind
, finden die vorstehenden Bestimmungen Anwendung.“

Die Befreiung von der Staatsgewalt des Empfangsstaates, die
schon von den Vorgängern des Grotius als Rechtssatz des Völker-
rechts aufgestellt worden ist, seit Grotius aber trotz aller Wider-

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[76/0098] II. Buch. Der völkerrechtl. Verkehr der Staaten im allgemeinen. Als Verletzung des Völkerrechts erscheint jeder Versuch des Gesandten, sich in die inneren Verhältnisse des Empfangsstaates ein- zumengen. Und rechtswidriger Miſsbrauch der Vertrauensstellung ist die Verwendung geheimer Kundschafter. Um seiner völkerrechtlichen Aufgabe Genüge leisten zu können, ist der Gesandte befreit von der Staatsgewalt des Empfangsstaates: darin besteht seine sogenannte Exterritorialität (oben § 8 IV). Heyking, L’exterritorialité. 1889. Vercamer, Des franchises des agents diplomatiques et spécialement de l’exterritorialité. 1891. Pietri, Etude critique sur la fiction d’exterritorialité. 1895. Odier, Des privilèges et immunités des agents diplomatiques en pays de chrétienté. 1890. Verhandlungen des Instituts für Völkerrecht. 1895. Beling, Die strafrechtliche Bedeutung der Exterritorialität. Beiträge zum Völkerrecht und zum Strafrecht. 1896. Dazu Harburger, Kri- tische Vierteljahrsschrift. 3. Folge. Bd. IV S. 122. Die dem Gesandten selbst (dem „Chef der Mission“) gewährte Exterritorialität erstreckt sich aber weiter auch: a) Auf die mit ihm wohnenden Mitglieder seiner Familie. b) Auf die Mitglieder der Gesandtschaft mit Einschluſs der militä- rischen und technischen Attachés, sowie auf die Familien dieser Personen. c) Auf das Geschäftspersonal (gens d’uniforme) wie Sekretäre, Kanz- listen, Prediger, Ärzte. d) Auf die Dienerschaft (gens de livrée), soweit diese Personen nicht etwa Angehörige des Empfangsstaates sind (bestritten). Das Deutsche Gerichtsverfassungsgesetz giebt die herrschende Ansicht wieder. § 18 Abs. 1 sagt: „Die inländische Gerichtsbar- keit erstreckt sich nicht auf die Chefs und Mitglieder der bei dem Deutschen Reiche beglaubigten Missionen .....“ § 19: „Auf die Familienglieder, das Geschäftspersonal der im § 18 erwähnten Per- sonen und auf solche Bedienstete derselben, welche nicht Deutsche sind, finden die vorstehenden Bestimmungen Anwendung.“ Die Befreiung von der Staatsgewalt des Empfangsstaates, die schon von den Vorgängern des Grotius als Rechtssatz des Völker- rechts aufgestellt worden ist, seit Grotius aber trotz aller Wider-

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_voelkerrecht_1898/98>, abgerufen am 26.04.2024.