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Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

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Viertes Buch. I. Gegen Bestand u. Sicherheit des Staates.
Gewährung solchen Schutzes wird die heimische Gesetzgebung
nicht nur durch ihr Interesse an Aufrechthaltung freundnach-
barlicher Beziehungen bestimmt, sondern in erster Linie durch
die immer stärker werdende Interessengemeinschaft sämmtlicher
Kulturstaaten, welche jede Erschütterung des einen Gemein-
wesens auf alle übrigen zu reflektieren droht.

3. Andererseits kommt dem Hochverrate gegenüber das
inländische Strafrecht zur Anwendung, auch wenn die straf-
bare Handlung im Auslande, sei es von einem Inländer,
sei es von einem Ausländer begangen wurde (StGB. §. 4
Ziff. 1, vgl. oben §. 13 III).

II. Die Reichsgesetzgebung bezeichnet in kasuistischer Weise,
mit Ausschluß aller übrigen etwa gleichwertigen, jene Hand-
lungen, in welchen sie einen Angriff auf Bestand und
Sicherheit des Staates erblickt. Darnach ist Hochverrat im
Sinne des positiven Rechtes:

1. Mord und Mordversuch an dem Kaiser, an dem
eigenen Landesherrn oder während des Aufenthaltes in einem
Bundesstaate an dem Landesherrn dieses Staates verübt.
Strafe: der Tod (StGB. §. 80).

2. Das Unternehmen, einen Bundesfürsten (abgesehen
von dem Falle unter 1) zu töten, gefangen zu nehmen, in
Feindes Gewalt zu liefern oder zur Regierung unfähig zu
machen (StGB. §. 81 Ziff. 1).

3. Das Unternehmen, die Verfassung des deutschen
Reichs oder eines Bundesstaates oder die in demselben be-
stehende Thronfolge gewaltsam zu ändern (StGB. §. 81
Ziff. 2).

4. Das Unternehmen, das Bundesgebiet einem fremden
Staate oder das Gebiet eines Bundesstaates einem
anderen Bundesstaate ganz oder teilweise gewaltsam einzu-

Viertes Buch. I. Gegen Beſtand u. Sicherheit des Staates.
Gewährung ſolchen Schutzes wird die heimiſche Geſetzgebung
nicht nur durch ihr Intereſſe an Aufrechthaltung freundnach-
barlicher Beziehungen beſtimmt, ſondern in erſter Linie durch
die immer ſtärker werdende Intereſſengemeinſchaft ſämmtlicher
Kulturſtaaten, welche jede Erſchütterung des einen Gemein-
weſens auf alle übrigen zu reflektieren droht.

3. Andererſeits kommt dem Hochverrate gegenüber das
inländiſche Strafrecht zur Anwendung, auch wenn die ſtraf-
bare Handlung im Auslande, ſei es von einem Inländer,
ſei es von einem Ausländer begangen wurde (StGB. §. 4
Ziff. 1, vgl. oben §. 13 III).

II. Die Reichsgeſetzgebung bezeichnet in kaſuiſtiſcher Weiſe,
mit Ausſchluß aller übrigen etwa gleichwertigen, jene Hand-
lungen, in welchen ſie einen Angriff auf Beſtand und
Sicherheit des Staates erblickt. Darnach iſt Hochverrat im
Sinne des poſitiven Rechtes:

1. Mord und Mordverſuch an dem Kaiſer, an dem
eigenen Landesherrn oder während des Aufenthaltes in einem
Bundesſtaate an dem Landesherrn dieſes Staates verübt.
Strafe: der Tod (StGB. §. 80).

2. Das Unternehmen, einen Bundesfürſten (abgeſehen
von dem Falle unter 1) zu töten, gefangen zu nehmen, in
Feindes Gewalt zu liefern oder zur Regierung unfähig zu
machen (StGB. §. 81 Ziff. 1).

3. Das Unternehmen, die Verfaſſung des deutſchen
Reichs oder eines Bundesſtaates oder die in demſelben be-
ſtehende Thronfolge gewaltſam zu ändern (StGB. §. 81
Ziff. 2).

4. Das Unternehmen, das Bundesgebiet einem fremden
Staate oder das Gebiet eines Bundesſtaates einem
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[392/0418] Viertes Buch. I. Gegen Beſtand u. Sicherheit des Staates. Gewährung ſolchen Schutzes wird die heimiſche Geſetzgebung nicht nur durch ihr Intereſſe an Aufrechthaltung freundnach- barlicher Beziehungen beſtimmt, ſondern in erſter Linie durch die immer ſtärker werdende Intereſſengemeinſchaft ſämmtlicher Kulturſtaaten, welche jede Erſchütterung des einen Gemein- weſens auf alle übrigen zu reflektieren droht. 3. Andererſeits kommt dem Hochverrate gegenüber das inländiſche Strafrecht zur Anwendung, auch wenn die ſtraf- bare Handlung im Auslande, ſei es von einem Inländer, ſei es von einem Ausländer begangen wurde (StGB. §. 4 Ziff. 1, vgl. oben §. 13 III). II. Die Reichsgeſetzgebung bezeichnet in kaſuiſtiſcher Weiſe, mit Ausſchluß aller übrigen etwa gleichwertigen, jene Hand- lungen, in welchen ſie einen Angriff auf Beſtand und Sicherheit des Staates erblickt. Darnach iſt Hochverrat im Sinne des poſitiven Rechtes: 1. Mord und Mordverſuch an dem Kaiſer, an dem eigenen Landesherrn oder während des Aufenthaltes in einem Bundesſtaate an dem Landesherrn dieſes Staates verübt. Strafe: der Tod (StGB. §. 80). 2. Das Unternehmen, einen Bundesfürſten (abgeſehen von dem Falle unter 1) zu töten, gefangen zu nehmen, in Feindes Gewalt zu liefern oder zur Regierung unfähig zu machen (StGB. §. 81 Ziff. 1). 3. Das Unternehmen, die Verfaſſung des deutſchen Reichs oder eines Bundesſtaates oder die in demſelben be- ſtehende Thronfolge gewaltſam zu ändern (StGB. §. 81 Ziff. 2). 4. Das Unternehmen, das Bundesgebiet einem fremden Staate oder das Gebiet eines Bundesſtaates einem anderen Bundesſtaate ganz oder teilweiſe gewaltſam einzu-

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 392. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/418>, abgerufen am 26.04.2024.