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Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

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Die normalen Strafrahmen etc. §. 53.
(oben §. 1 I), liegt es, daß das Strafgesetz nicht nur den
Eintritt, sondern auch Art und Maß der Strafe bestimmt;
daß der zweite Teil der eigentlichen Strafgesetze mehr ent-
hält, als die nur dem primitivsten Rechtszustande ent-
sprechenden Worte: der soll gestraft werden (absolut unbe-
stimmte Strafgesetze).

Bei Feststellung der Art und des Maßes der Strafe
kann der Gesetzgeber entweder das richterliche Ermessen
ganz ausschließen oder demselben einen gewissen Spielraum
gestatten. Im 1. Falle entstehen die sog. absolut be-
stimmten
Strafgesetze, die in dem modernen Strafrechte
eine ganz untergeordnete Rolle spielen (vgl. StGB. §§. 80,
211) und ihre Existenz nur noch der Beibehaltung der
Todesstrafe verdanken. Meist schlägt der Gesetzgeber unserer
Tage den zweiten Weg ein: er stellt relativ bestimmte
Strafgesetze auf. Die Relativität kann liegen:

1. Darin, daß der Gesetzgeber dem Richter innerhalb
derselben Strafart einen gewissen Spielraum zwischen einem
Minimal- und einem Maximalbetrage läßt. In diesem Falle
ist nicht nur der Abstand zwischen Minimum und Maximum,
sondern auch die durch die Art der Berechnung (vgl. z. B.
oben §. 46 II 3) bestimmte Zahl der dazwischen liegenden
Strafgrößen zu beachten. So enthält "Zuchthaus bis zu
15 Jahren" 169; "Gefängnis bis zu 5 Jahren" 1826;
"Festungshaft bis zu 15 Jahren" 5478; "Haft bis zu
6 Wochen" 42 Strafgrößen.

2. Darin, daß der Gesetzgeber dem Richter die Wahl
läßt zwischen zwei oder sogar mehreren (wieder durch
Minimum und Maximum begrenzten) Strafarten. Vgl.
StGB. §. 185: "Geldstrafe bis zu 600 Mark oder Haft
oder Gefängnis bis zu einem Jahre". In diesem Falle

Die normalen Strafrahmen ꝛc. §. 53.
(oben §. 1 I), liegt es, daß das Strafgeſetz nicht nur den
Eintritt, ſondern auch Art und Maß der Strafe beſtimmt;
daß der zweite Teil der eigentlichen Strafgeſetze mehr ent-
hält, als die nur dem primitivſten Rechtszuſtande ent-
ſprechenden Worte: der ſoll geſtraft werden (abſolut unbe-
ſtimmte Strafgeſetze).

Bei Feſtſtellung der Art und des Maßes der Strafe
kann der Geſetzgeber entweder das richterliche Ermeſſen
ganz ausſchließen oder demſelben einen gewiſſen Spielraum
geſtatten. Im 1. Falle entſtehen die ſog. abſolut be-
ſtimmten
Strafgeſetze, die in dem modernen Strafrechte
eine ganz untergeordnete Rolle ſpielen (vgl. StGB. §§. 80,
211) und ihre Exiſtenz nur noch der Beibehaltung der
Todesſtrafe verdanken. Meiſt ſchlägt der Geſetzgeber unſerer
Tage den zweiten Weg ein: er ſtellt relativ beſtimmte
Strafgeſetze auf. Die Relativität kann liegen:

1. Darin, daß der Geſetzgeber dem Richter innerhalb
derſelben Strafart einen gewiſſen Spielraum zwiſchen einem
Minimal- und einem Maximalbetrage läßt. In dieſem Falle
iſt nicht nur der Abſtand zwiſchen Minimum und Maximum,
ſondern auch die durch die Art der Berechnung (vgl. z. B.
oben §. 46 II 3) beſtimmte Zahl der dazwiſchen liegenden
Strafgrößen zu beachten. So enthält „Zuchthaus bis zu
15 Jahren“ 169; „Gefängnis bis zu 5 Jahren“ 1826;
„Feſtungshaft bis zu 15 Jahren“ 5478; „Haft bis zu
6 Wochen“ 42 Strafgrößen.

2. Darin, daß der Geſetzgeber dem Richter die Wahl
läßt zwiſchen zwei oder ſogar mehreren (wieder durch
Minimum und Maximum begrenzten) Strafarten. Vgl.
StGB. §. 185: „Geldſtrafe bis zu 600 Mark oder Haft
oder Gefängnis bis zu einem Jahre“. In dieſem Falle

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[207/0233] Die normalen Strafrahmen ꝛc. §. 53. (oben §. 1 I), liegt es, daß das Strafgeſetz nicht nur den Eintritt, ſondern auch Art und Maß der Strafe beſtimmt; daß der zweite Teil der eigentlichen Strafgeſetze mehr ent- hält, als die nur dem primitivſten Rechtszuſtande ent- ſprechenden Worte: der ſoll geſtraft werden (abſolut unbe- ſtimmte Strafgeſetze). Bei Feſtſtellung der Art und des Maßes der Strafe kann der Geſetzgeber entweder das richterliche Ermeſſen ganz ausſchließen oder demſelben einen gewiſſen Spielraum geſtatten. Im 1. Falle entſtehen die ſog. abſolut be- ſtimmten Strafgeſetze, die in dem modernen Strafrechte eine ganz untergeordnete Rolle ſpielen (vgl. StGB. §§. 80, 211) und ihre Exiſtenz nur noch der Beibehaltung der Todesſtrafe verdanken. Meiſt ſchlägt der Geſetzgeber unſerer Tage den zweiten Weg ein: er ſtellt relativ beſtimmte Strafgeſetze auf. Die Relativität kann liegen: 1. Darin, daß der Geſetzgeber dem Richter innerhalb derſelben Strafart einen gewiſſen Spielraum zwiſchen einem Minimal- und einem Maximalbetrage läßt. In dieſem Falle iſt nicht nur der Abſtand zwiſchen Minimum und Maximum, ſondern auch die durch die Art der Berechnung (vgl. z. B. oben §. 46 II 3) beſtimmte Zahl der dazwiſchen liegenden Strafgrößen zu beachten. So enthält „Zuchthaus bis zu 15 Jahren“ 169; „Gefängnis bis zu 5 Jahren“ 1826; „Feſtungshaft bis zu 15 Jahren“ 5478; „Haft bis zu 6 Wochen“ 42 Strafgrößen. 2. Darin, daß der Geſetzgeber dem Richter die Wahl läßt zwiſchen zwei oder ſogar mehreren (wieder durch Minimum und Maximum begrenzten) Strafarten. Vgl. StGB. §. 185: „Geldſtrafe bis zu 600 Mark oder Haft oder Gefängnis bis zu einem Jahre“. In dieſem Falle

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/233>, abgerufen am 26.04.2024.