Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.Das Verbrechen. § 4. Zustand, der nach unserer Erfahrung in der Mehrzahlder Fälle zum Erfolge führt. Bei genügender In- duktion könnten wir die Größe der Gefahr sogar ziffermäßig (in Perzenten) bestimmen. Ist es sicher geworden, daß der Erfolg nicht eintreten werde -- der aus dem Fenster des 3. Stockes Gestürzte ist ohne schwere Verletzung unten ange- kommen -- so können wir, uns in einen früheren Zeitpunkt zurückversetzend, die in diesem vorhandene Gefahr beurteilen. Wir werden diesem Begriffe wiederholt begegnen. Hier ge- nügt die Bemerkung, daß es besondere Gefährdungs- gebote nicht giebt, daß sie in den Verletzungsgeboten mit enthalten sind (a. A. Binding). Das hindert den Gesetzgeber nicht (unten §. 4 I), nur die Verletzung, das wirkliche Ueber- tretensein der Norm, mit Strafe zu belegen. 3. Aber die imperative Kraft der Norm greift noch §. 4. Das Verbrechen. Formell betrachtet, ist Verbrechen jener Thatbestand, an Das Verbrechen. § 4. Zuſtand, der nach unſerer Erfahrung in der Mehrzahlder Fälle zum Erfolge führt. Bei genügender In- duktion könnten wir die Größe der Gefahr ſogar ziffermäßig (in Perzenten) beſtimmen. Iſt es ſicher geworden, daß der Erfolg nicht eintreten werde — der aus dem Fenſter des 3. Stockes Geſtürzte iſt ohne ſchwere Verletzung unten ange- kommen — ſo können wir, uns in einen früheren Zeitpunkt zurückverſetzend, die in dieſem vorhandene Gefahr beurteilen. Wir werden dieſem Begriffe wiederholt begegnen. Hier ge- nügt die Bemerkung, daß es beſondere Gefährdungs- gebote nicht giebt, daß ſie in den Verletzungsgeboten mit enthalten ſind (a. A. Binding). Das hindert den Geſetzgeber nicht (unten §. 4 I), nur die Verletzung, das wirkliche Ueber- tretenſein der Norm, mit Strafe zu belegen. 3. Aber die imperative Kraft der Norm greift noch §. 4. Das Verbrechen. Formell betrachtet, iſt Verbrechen jener Thatbeſtand, an <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0035" n="9"/><fw place="top" type="header">Das Verbrechen. § 4.</fw><lb/> Zuſtand, <hi rendition="#g">der nach unſerer Erfahrung in der Mehrzahl<lb/> der Fälle zum Erfolge führt</hi>. Bei genügender In-<lb/> duktion könnten wir die Größe der Gefahr ſogar ziffermäßig<lb/> (in Perzenten) beſtimmen. Iſt es ſicher geworden, daß der<lb/> Erfolg nicht eintreten werde — der aus dem Fenſter des<lb/> 3. Stockes Geſtürzte iſt ohne ſchwere Verletzung unten ange-<lb/> kommen — ſo können wir, uns in einen früheren Zeitpunkt<lb/> zurückverſetzend, die in dieſem vorhandene Gefahr beurteilen.<lb/> Wir werden dieſem Begriffe wiederholt begegnen. Hier ge-<lb/> nügt die Bemerkung, <hi rendition="#g">daß es beſondere Gefährdungs-<lb/> gebote nicht giebt</hi>, daß ſie in den Verletzungsgeboten mit<lb/> enthalten ſind (a. A. <hi rendition="#g">Binding</hi>). Das hindert den Geſetzgeber<lb/> nicht (unten §. 4 <hi rendition="#aq">I</hi>), <hi rendition="#g">nur</hi> die Verletzung, das wirkliche Ueber-<lb/> tretenſein der Norm, mit <hi rendition="#g">Strafe</hi> zu belegen.</p><lb/> <p>3. Aber die imperative Kraft der Norm greift noch<lb/> weiter. Normwidrig, eine Uebertretung der Norm, iſt jede<lb/> auf Verletzung der Norm gerichtete Handlung ohne Rück-<lb/> ſicht auf ihren Erfolg. Die <hi rendition="#g">verſuchte</hi> Normübertretung<lb/> iſt Normübertretung, mag ſie auch vom Geſetzgeber nicht<lb/> mit Strafe bedroht ſein. Die Normwidrigkeit des Verſuches<lb/> einer Normübertretung folgt aus der Exiſtenz dieſer Norm.<lb/> Mit a. W.: <hi rendition="#g">es giebt keine beſonderen, den Verſuch<lb/> verbietenden Normen</hi> und es bedarf keiner ſolchen (vgl.<lb/> unten §. 32).</p> </div><lb/> <div n="3"> <head>§. 4.<lb/><hi rendition="#b">Das Verbrechen.</hi></head><lb/> <p>Formell betrachtet, iſt Verbrechen jener Thatbeſtand, an<lb/> welchen das objektive Recht den Eintritt der Strafe als<lb/> Rechtsfolge knüpft. Wir haben hier zunächſt das Weſen<lb/> dieſer Thatbeſtände und dann den Grund feſtzuſtellen, aus<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [9/0035]
Das Verbrechen. § 4.
Zuſtand, der nach unſerer Erfahrung in der Mehrzahl
der Fälle zum Erfolge führt. Bei genügender In-
duktion könnten wir die Größe der Gefahr ſogar ziffermäßig
(in Perzenten) beſtimmen. Iſt es ſicher geworden, daß der
Erfolg nicht eintreten werde — der aus dem Fenſter des
3. Stockes Geſtürzte iſt ohne ſchwere Verletzung unten ange-
kommen — ſo können wir, uns in einen früheren Zeitpunkt
zurückverſetzend, die in dieſem vorhandene Gefahr beurteilen.
Wir werden dieſem Begriffe wiederholt begegnen. Hier ge-
nügt die Bemerkung, daß es beſondere Gefährdungs-
gebote nicht giebt, daß ſie in den Verletzungsgeboten mit
enthalten ſind (a. A. Binding). Das hindert den Geſetzgeber
nicht (unten §. 4 I), nur die Verletzung, das wirkliche Ueber-
tretenſein der Norm, mit Strafe zu belegen.
3. Aber die imperative Kraft der Norm greift noch
weiter. Normwidrig, eine Uebertretung der Norm, iſt jede
auf Verletzung der Norm gerichtete Handlung ohne Rück-
ſicht auf ihren Erfolg. Die verſuchte Normübertretung
iſt Normübertretung, mag ſie auch vom Geſetzgeber nicht
mit Strafe bedroht ſein. Die Normwidrigkeit des Verſuches
einer Normübertretung folgt aus der Exiſtenz dieſer Norm.
Mit a. W.: es giebt keine beſonderen, den Verſuch
verbietenden Normen und es bedarf keiner ſolchen (vgl.
unten §. 32).
§. 4.
Das Verbrechen.
Formell betrachtet, iſt Verbrechen jener Thatbeſtand, an
welchen das objektive Recht den Eintritt der Strafe als
Rechtsfolge knüpft. Wir haben hier zunächſt das Weſen
dieſer Thatbeſtände und dann den Grund feſtzuſtellen, aus
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