Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

Bild:
<< vorherige Seite
Zweites Buch.
Die Strafe.
I.
§. 42. Der Begriff der Strafe.

I. Strafe ist Rechtsgüterschutz durch Rechtsgüter-
verletzung, vom Staate, als dem Träger und
Schirmer der öffentlichen Rechtsordnung
(als In-
haber der öffentlichen Zwangsgewalt), gegen den Ueber-
treter eines staatlichen Imperatives aus Anlaß
dieser Uebertretung durch seine gerichtlichen Or-
gane verhängt
.

Das ist der formale Begriff der Strafe. Alle einzelnen
Merkmale müssen gegeben sein, um ihn zu erfüllen. Eine
Rechtsfigur, der eines dieser Merkmale fehlt, kann mit der
Strafe verwandt, sie kann aber nie Strafe sein.

II. Die Strafe ist Rechtsgüterverletzung ("Einbuße
an Rechtsgütern" sagt Binding); sie ist ein malum passionis.
Dadurch unterscheidet sie sich wesentlich von dem Schadens-
ersatz, mag sie auch mit ihm unter den gemeinsamen höheren
Begriff der Reaktion gegen das Unrecht gebracht werden
können. Denn Schadensersatz ist Beseitigung der Rechtsgüter-
verletzung; er heilt die Wunde, während die Strafe eine

Zweites Buch.
Die Strafe.
I.
§. 42. Der Begriff der Strafe.

I. Strafe iſt Rechtsgüterſchutz durch Rechtsgüter-
verletzung, vom Staate, als dem Träger und
Schirmer der öffentlichen Rechtsordnung
(als In-
haber der öffentlichen Zwangsgewalt), gegen den Ueber-
treter eines ſtaatlichen Imperatives aus Anlaß
dieſer Uebertretung durch ſeine gerichtlichen Or-
gane verhängt
.

Das iſt der formale Begriff der Strafe. Alle einzelnen
Merkmale müſſen gegeben ſein, um ihn zu erfüllen. Eine
Rechtsfigur, der eines dieſer Merkmale fehlt, kann mit der
Strafe verwandt, ſie kann aber nie Strafe ſein.

II. Die Strafe iſt Rechtsgüterverletzung („Einbuße
an Rechtsgütern“ ſagt Binding); ſie iſt ein malum passionis.
Dadurch unterſcheidet ſie ſich weſentlich von dem Schadens-
erſatz, mag ſie auch mit ihm unter den gemeinſamen höheren
Begriff der Reaktion gegen das Unrecht gebracht werden
können. Denn Schadenserſatz iſt Beſeitigung der Rechtsgüter-
verletzung; er heilt die Wunde, während die Strafe eine

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0197" n="[171]"/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Zweites Buch.<lb/><hi rendition="#g">Die Strafe</hi>.</hi> </head><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#aq">I.</hi> </head><lb/>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#b">§. 42. Der Begriff der Strafe.</hi> </head><lb/>
              <p><hi rendition="#aq">I.</hi> Strafe i&#x017F;t <hi rendition="#g">Rechtsgüter&#x017F;chutz durch Rechtsgüter-<lb/>
verletzung, vom Staate, als dem Träger und<lb/>
Schirmer der öffentlichen Rechtsordnung</hi> (als In-<lb/>
haber der öffentlichen Zwangsgewalt), <hi rendition="#g">gegen den Ueber-<lb/>
treter eines &#x017F;taatlichen Imperatives aus Anlaß<lb/>
die&#x017F;er Uebertretung durch &#x017F;eine gerichtlichen Or-<lb/>
gane verhängt</hi>.</p><lb/>
              <p>Das i&#x017F;t der formale Begriff der Strafe. Alle einzelnen<lb/>
Merkmale mü&#x017F;&#x017F;en gegeben &#x017F;ein, um ihn zu erfüllen. Eine<lb/>
Rechtsfigur, der eines die&#x017F;er Merkmale fehlt, kann mit der<lb/>
Strafe verwandt, &#x017F;ie kann aber nie Strafe &#x017F;ein.</p><lb/>
              <p><hi rendition="#aq">II.</hi> Die Strafe i&#x017F;t <hi rendition="#g">Rechtsgüterverletzung</hi> (&#x201E;Einbuße<lb/>
an Rechtsgütern&#x201C; &#x017F;agt <hi rendition="#g">Binding</hi>); &#x017F;ie i&#x017F;t ein <hi rendition="#aq">malum passionis.</hi><lb/>
Dadurch unter&#x017F;cheidet &#x017F;ie &#x017F;ich we&#x017F;entlich von dem Schadens-<lb/>
er&#x017F;atz, mag &#x017F;ie auch mit ihm unter den gemein&#x017F;amen höheren<lb/>
Begriff der Reaktion gegen das Unrecht gebracht werden<lb/>
können. Denn Schadenser&#x017F;atz i&#x017F;t Be&#x017F;eitigung der Rechtsgüter-<lb/>
verletzung; er heilt die Wunde, während die Strafe eine<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[171]/0197] Zweites Buch. Die Strafe. I. §. 42. Der Begriff der Strafe. I. Strafe iſt Rechtsgüterſchutz durch Rechtsgüter- verletzung, vom Staate, als dem Träger und Schirmer der öffentlichen Rechtsordnung (als In- haber der öffentlichen Zwangsgewalt), gegen den Ueber- treter eines ſtaatlichen Imperatives aus Anlaß dieſer Uebertretung durch ſeine gerichtlichen Or- gane verhängt. Das iſt der formale Begriff der Strafe. Alle einzelnen Merkmale müſſen gegeben ſein, um ihn zu erfüllen. Eine Rechtsfigur, der eines dieſer Merkmale fehlt, kann mit der Strafe verwandt, ſie kann aber nie Strafe ſein. II. Die Strafe iſt Rechtsgüterverletzung („Einbuße an Rechtsgütern“ ſagt Binding); ſie iſt ein malum passionis. Dadurch unterſcheidet ſie ſich weſentlich von dem Schadens- erſatz, mag ſie auch mit ihm unter den gemeinſamen höheren Begriff der Reaktion gegen das Unrecht gebracht werden können. Denn Schadenserſatz iſt Beſeitigung der Rechtsgüter- verletzung; er heilt die Wunde, während die Strafe eine

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/197
Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. [171]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/197>, abgerufen am 21.11.2024.