V. Das Verbrechen als das mit Strafe bedrohte Delikt.
§. 30. Die Bedingungen der Strafbarkeit im Allgemeinen.
I. Nicht jede schuldhafte normwidrige Handlung, nicht jedes Delikt ist Verbrechen (vgl. oben §. 17 IV). In vielen, wenn auch lange nicht in allen Fällen, müssen außer dem Vorliegen der Normübertretung noch andere Voraussetzungen gegeben sein, damit die Strafbarkeit des Thuns eintritt. Eine Reihe von Fällen, die sich leicht verdreifachen läßt, wurde bereits in der Einleitung §. 4 I erwähnt, andere werden wir im besonderen Teile zur Genüge kennen lernen. Man spricht hier positiv von Bedingungen der Straf- barkeit, oder wenn man negativ das Fehlen dieser Be- dingungen bezeichnen will, von Strafausschließungs- gründen. So kann man das Fehlen des Antrages bei den Antragsdelikten, die nicht erfolgte Auflösung der Ehe bei den Verbrechen der §§. 170, 172, 238 StGB., den Mangel der verbürgten Gegenseitigkeit in den Fällen der §§. 102 und 103 StGB. usw. als Strafausschließungs- gründe bezeichnen. Doch ist dabei zu beachten: einmal, daß dieser Ausdruck nicht immer in der in dem vorliegenden Lehrbuche festgehaltenen engeren Bedeutung gebraucht wird; und ferner, daß eine Verwechselung dieser objektiven die That ergreifenden Strafausschließungsgründe mit den unter III 3 zu besprechenden subjektiven Strafausschließungen nahe liegt. Daher verdient der Ausdruck: "Bedingungen der Strafbarkeit" den Vorzug.
Erſtes Buch. V. Das Verbr. als ſtrafbares Delikt.
V. Das Verbrechen als das mit Strafe bedrohte Delikt.
§. 30. Die Bedingungen der Strafbarkeit im Allgemeinen.
I. Nicht jede ſchuldhafte normwidrige Handlung, nicht jedes Delikt iſt Verbrechen (vgl. oben §. 17 IV). In vielen, wenn auch lange nicht in allen Fällen, müſſen außer dem Vorliegen der Normübertretung noch andere Vorausſetzungen gegeben ſein, damit die Strafbarkeit des Thuns eintritt. Eine Reihe von Fällen, die ſich leicht verdreifachen läßt, wurde bereits in der Einleitung §. 4 I erwähnt, andere werden wir im beſonderen Teile zur Genüge kennen lernen. Man ſpricht hier poſitiv von Bedingungen der Straf- barkeit, oder wenn man negativ das Fehlen dieſer Be- dingungen bezeichnen will, von Strafausſchließungs- gründen. So kann man das Fehlen des Antrages bei den Antragsdelikten, die nicht erfolgte Auflöſung der Ehe bei den Verbrechen der §§. 170, 172, 238 StGB., den Mangel der verbürgten Gegenſeitigkeit in den Fällen der §§. 102 und 103 StGB. uſw. als Strafausſchließungs- gründe bezeichnen. Doch iſt dabei zu beachten: einmal, daß dieſer Ausdruck nicht immer in der in dem vorliegenden Lehrbuche feſtgehaltenen engeren Bedeutung gebraucht wird; und ferner, daß eine Verwechſelung dieſer objektiven die That ergreifenden Strafausſchließungsgründe mit den unter III 3 zu beſprechenden ſubjektiven Strafausſchließungen nahe liegt. Daher verdient der Ausdruck: „Bedingungen der Strafbarkeit“ den Vorzug.
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Erſtes Buch. V. Das Verbr. als ſtrafbares Delikt.
V. Das Verbrechen als das mit Strafe
bedrohte Delikt.
§. 30.
Die Bedingungen der Strafbarkeit im Allgemeinen.
I. Nicht jede ſchuldhafte normwidrige Handlung, nicht
jedes Delikt iſt Verbrechen (vgl. oben §. 17 IV). In vielen,
wenn auch lange nicht in allen Fällen, müſſen außer dem
Vorliegen der Normübertretung noch andere Vorausſetzungen
gegeben ſein, damit die Strafbarkeit des Thuns eintritt.
Eine Reihe von Fällen, die ſich leicht verdreifachen läßt,
wurde bereits in der Einleitung §. 4 I erwähnt, andere
werden wir im beſonderen Teile zur Genüge kennen lernen.
Man ſpricht hier poſitiv von Bedingungen der Straf-
barkeit, oder wenn man negativ das Fehlen dieſer Be-
dingungen bezeichnen will, von Strafausſchließungs-
gründen. So kann man das Fehlen des Antrages bei
den Antragsdelikten, die nicht erfolgte Auflöſung der Ehe
bei den Verbrechen der §§. 170, 172, 238 StGB., den
Mangel der verbürgten Gegenſeitigkeit in den Fällen der
§§. 102 und 103 StGB. uſw. als Strafausſchließungs-
gründe bezeichnen. Doch iſt dabei zu beachten: einmal, daß
dieſer Ausdruck nicht immer in der in dem vorliegenden
Lehrbuche feſtgehaltenen engeren Bedeutung gebraucht wird;
und ferner, daß eine Verwechſelung dieſer objektiven die
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III 3 zu beſprechenden ſubjektiven Strafausſchließungen nahe
liegt. Daher verdient der Ausdruck: „Bedingungen der
Strafbarkeit“ den Vorzug.
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Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/148>, abgerufen am 21.11.2024.
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