Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Fälle der Zurechnungsunfähigkeit. §. 26.
empfehlenswert wäre. Sie ist rechtlich möglich: Denn
einmal sind die Voraussetzungen für die Handlungsfähigkeit
der Kollektivpersönlichkeit auf dem Gebiete des Strafrechtes
prinzipiell keine anderen als auf jenem des Civilrechtes13
oder (was regelmäßig übersehen wird) auf dem des öffent-
lichen Rechtes (wer Verträge schließen kann, der kann auch
betrügerische oder wucherische Verträge schließen, oder die
geschlossenen Lieferungsverträge -- StGB. §. 329! -- nicht
halten),14 und andrerseits ist die Kollektivpersönlichkeit auch
Trägerin von Rechtsgütern (Vermögensrechte, Existenz), die
strafweise geschmälert oder vernichtet werden können. Und
sie ist empfehlenswert, da es den Grundsätzen des Straf-
rechtes widerspricht, das Organ fremden Willens mit der
vollen und ausschließlichen Verantwortlichkeit zu belegen.

§. 26.
Die Fälle der Zurechnungsunfähigkeit.

Die Zurechnungsfähigkeit, als der normale Geisteszustand
des geistig reifen und geistig gesunden menschlichen Indivi-
duums, ist nicht vorhanden:

I. bei fehlender geistiger Reife.

Diese kann wieder eine doppelte Ursache haben:

13 [Spaltenumbruch] Freilich ist die Handlungs-
fähigkeit der juristischen Per-
sonen auch auf civilrechtlichem
Gebiete bestritten. Man vgl.
z. B. Windscheid §. 59.
14 [Spaltenumbruch] Man vgl. die interessante
Fassung in §. 35 des Genossen-[Spaltenumbruch] schaftsgesetzes v. 4. Juni. 1868:
"Wenn eine Genossenschaft sich
gesetzwidriger Handlungen oder
Unterlassungen schuldig macht,
durch welche das Gemeinwohl
gefährdet wird .... so kann
sie aufgelöst werden."

Die Fälle der Zurechnungsunfähigkeit. §. 26.
empfehlenswert wäre. Sie iſt rechtlich möglich: Denn
einmal ſind die Vorausſetzungen für die Handlungsfähigkeit
der Kollektivperſönlichkeit auf dem Gebiete des Strafrechtes
prinzipiell keine anderen als auf jenem des Civilrechtes13
oder (was regelmäßig überſehen wird) auf dem des öffent-
lichen Rechtes (wer Verträge ſchließen kann, der kann auch
betrügeriſche oder wucheriſche Verträge ſchließen, oder die
geſchloſſenen Lieferungsverträge — StGB. §. 329! — nicht
halten),14 und andrerſeits iſt die Kollektivperſönlichkeit auch
Trägerin von Rechtsgütern (Vermögensrechte, Exiſtenz), die
ſtrafweiſe geſchmälert oder vernichtet werden können. Und
ſie iſt empfehlenswert, da es den Grundſätzen des Straf-
rechtes widerſpricht, das Organ fremden Willens mit der
vollen und ausſchließlichen Verantwortlichkeit zu belegen.

§. 26.
Die Fälle der Zurechnungsunfähigkeit.

Die Zurechnungsfähigkeit, als der normale Geiſteszuſtand
des geiſtig reifen und geiſtig geſunden menſchlichen Indivi-
duums, iſt nicht vorhanden:

I. bei fehlender geiſtiger Reife.

Dieſe kann wieder eine doppelte Urſache haben:

13 [Spaltenumbruch] Freilich iſt die Handlungs-
fähigkeit der juriſtiſchen Per-
ſonen auch auf civilrechtlichem
Gebiete beſtritten. Man vgl.
z. B. Windſcheid §. 59.
14 [Spaltenumbruch] Man vgl. die intereſſante
Faſſung in §. 35 des Genoſſen-[Spaltenumbruch] ſchaftsgeſetzes v. 4. Juni. 1868:
„Wenn eine Genoſſenſchaft ſich
geſetzwidriger Handlungen oder
Unterlaſſungen ſchuldig macht,
durch welche das Gemeinwohl
gefährdet wird .... ſo kann
ſie aufgelöſt werden.“
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0127" n="101"/><fw place="top" type="header">Die Fälle der Zurechnungsunfähigkeit. §. 26.</fw><lb/>
empfehlenswert wäre. Sie i&#x017F;t <hi rendition="#g">rechtlich möglich</hi>: Denn<lb/>
einmal &#x017F;ind die Voraus&#x017F;etzungen für die Handlungsfähigkeit<lb/>
der Kollektivper&#x017F;önlichkeit auf dem Gebiete des Strafrechtes<lb/>
prinzipiell keine anderen als auf jenem des Civilrechtes<note place="foot" n="13"><cb/>
Freilich i&#x017F;t die Handlungs-<lb/>
fähigkeit der juri&#x017F;ti&#x017F;chen Per-<lb/>
&#x017F;onen auch auf civilrechtlichem<lb/>
Gebiete be&#x017F;tritten. Man vgl.<lb/>
z. B. <hi rendition="#g">Wind&#x017F;cheid</hi> §. 59.</note><lb/>
oder (was regelmäßig über&#x017F;ehen wird) auf dem des öffent-<lb/>
lichen Rechtes (wer Verträge &#x017F;chließen kann, der kann auch<lb/>
betrügeri&#x017F;che oder wucheri&#x017F;che Verträge &#x017F;chließen, oder die<lb/>
ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enen Lieferungsverträge &#x2014; StGB. §. 329! &#x2014; nicht<lb/>
halten),<note place="foot" n="14"><cb/>
Man vgl. die intere&#x017F;&#x017F;ante<lb/>
Fa&#x017F;&#x017F;ung in §. 35 des Geno&#x017F;&#x017F;en-<cb/>
&#x017F;chaftsge&#x017F;etzes v. 4. Juni. 1868:<lb/>
&#x201E;Wenn eine Geno&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft &#x017F;ich<lb/>
ge&#x017F;etzwidriger Handlungen oder<lb/>
Unterla&#x017F;&#x017F;ungen &#x017F;chuldig macht,<lb/>
durch welche das Gemeinwohl<lb/>
gefährdet wird .... &#x017F;o kann<lb/>
&#x017F;ie aufgelö&#x017F;t werden.&#x201C;</note> und andrer&#x017F;eits i&#x017F;t die Kollektivper&#x017F;önlichkeit auch<lb/>
Trägerin von Rechtsgütern (Vermögensrechte, Exi&#x017F;tenz), die<lb/>
&#x017F;trafwei&#x017F;e ge&#x017F;chmälert oder vernichtet werden können. Und<lb/>
&#x017F;ie i&#x017F;t <hi rendition="#g">empfehlenswert</hi>, da es den Grund&#x017F;ätzen des Straf-<lb/>
rechtes wider&#x017F;pricht, das Organ fremden Willens mit der<lb/>
vollen und aus&#x017F;chließlichen Verantwortlichkeit zu belegen.</p>
              </div><lb/>
              <div n="5">
                <head>§. 26.<lb/><hi rendition="#b">Die Fälle der Zurechnungsunfähigkeit.</hi></head><lb/>
                <p>Die Zurechnungsfähigkeit, als der normale Gei&#x017F;teszu&#x017F;tand<lb/>
des gei&#x017F;tig reifen und gei&#x017F;tig ge&#x017F;unden men&#x017F;chlichen Indivi-<lb/>
duums, i&#x017F;t nicht vorhanden:</p><lb/>
                <p><hi rendition="#aq">I.</hi><hi rendition="#g">bei fehlender gei&#x017F;tiger Reife</hi>.</p><lb/>
                <p>Die&#x017F;e kann wieder eine doppelte Ur&#x017F;ache haben:</p><lb/>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[101/0127] Die Fälle der Zurechnungsunfähigkeit. §. 26. empfehlenswert wäre. Sie iſt rechtlich möglich: Denn einmal ſind die Vorausſetzungen für die Handlungsfähigkeit der Kollektivperſönlichkeit auf dem Gebiete des Strafrechtes prinzipiell keine anderen als auf jenem des Civilrechtes 13 oder (was regelmäßig überſehen wird) auf dem des öffent- lichen Rechtes (wer Verträge ſchließen kann, der kann auch betrügeriſche oder wucheriſche Verträge ſchließen, oder die geſchloſſenen Lieferungsverträge — StGB. §. 329! — nicht halten), 14 und andrerſeits iſt die Kollektivperſönlichkeit auch Trägerin von Rechtsgütern (Vermögensrechte, Exiſtenz), die ſtrafweiſe geſchmälert oder vernichtet werden können. Und ſie iſt empfehlenswert, da es den Grundſätzen des Straf- rechtes widerſpricht, das Organ fremden Willens mit der vollen und ausſchließlichen Verantwortlichkeit zu belegen. §. 26. Die Fälle der Zurechnungsunfähigkeit. Die Zurechnungsfähigkeit, als der normale Geiſteszuſtand des geiſtig reifen und geiſtig geſunden menſchlichen Indivi- duums, iſt nicht vorhanden: I. bei fehlender geiſtiger Reife. Dieſe kann wieder eine doppelte Urſache haben: 13 Freilich iſt die Handlungs- fähigkeit der juriſtiſchen Per- ſonen auch auf civilrechtlichem Gebiete beſtritten. Man vgl. z. B. Windſcheid §. 59. 14 Man vgl. die intereſſante Faſſung in §. 35 des Genoſſen- ſchaftsgeſetzes v. 4. Juni. 1868: „Wenn eine Genoſſenſchaft ſich geſetzwidriger Handlungen oder Unterlaſſungen ſchuldig macht, durch welche das Gemeinwohl gefährdet wird .... ſo kann ſie aufgelöſt werden.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/127
Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/127>, abgerufen am 22.12.2024.