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Lischnewska, Maria: Die deutsche Frauenstimmrechtsbewegung zwischen Krieg und Frieden. Berlin, 1915.

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sie nahezu einstimmig wiedergewählt worden waren. Jhr Aus-
scheiden hatte nicht den geringsten Zusammenhang mit den Kämpfen
um § 3. Es handelte sich um persönliche Verwirrungen. Der Ein-
fluß beider Gründerinnen auf den Verband blieb natürlich bestehen.
Frau Marie Stritt wurde zur 1. Vorsitzenden gewählt.

Jn der Sache selbst, um die man stritt, war nichts verändert.
Die "Milderung", daß man nun nicht mehr für die Männer,
sondern nur noch für die Frauen das allgemeine gleiche Wahlrecht
erkämpfen wollte, wurde in Preußen gar nicht beachtet. Kampf
und Zerstörung gingen weiter. Zwei außerordentliche General-
versammlungen (Berlin), eine Beiratssitzung (Weimar) änderten
und besserten nichts. Nach Weimar - Oktober 1912 - gaben zwei
überzeugte Demokratinnen, Frau Cauer und Frau Breitscheid, den
Kampf als hoffnungslos auf. Beide waren immer bereite Arbeits-
kräfte gewesen. Ergreifend war die Versammlung in Berlin im
November 1912, in der Frau Cauer Abschied von dem Preußischen
Landesverein für Frauenstimmrecht nahm. Sie hatte ihn geschaffen,
zur Blüte gebracht und den Kampf um seinen streng demokratischen
Charakter geführt. Sie schilderte ihre Arbeit, ihre Leiden und
sagte: "Es ist mir ein Jdeal zerstört worden. Auf dem Boden des
§ 3 ist eine Organisation nicht zu schaffen."

Der Tieferblickende mußte sich sagen: Hier geschieht nur, was
Bahnbrechern so oft geschah, wenn sie alt wurden. Die neue Zeit
ist da, die deutschen Frauen sind Politiker geworden. Daß sie es
sind, ist zu einem wesentlichen Teile das Verdlenst dieser Frau. Nun
versteht sie die neue Zeit nicht, weil sie ein anderes Angesicht trägt,
als sie einst erhoffte.

Man hatte in Weimar 1912 beschlossen, "Burgfrieden" zu
halten bis zur ordentlichen Generalversammlung Oktober 1913.
Vorher aber - 1912 - waren zwei Flugblätter erschienen, die
noch einmal den weniger Orientierten die Größe der zu erwarten-
den Entscheidung vor Augen stellten. Wir bringen darum beide.
Nr. 1 spricht die Ansichten der Reformpartei aus. Nr. 2 wurde
vom Vorstande des Deutschen Verbandes - Vorsitzende Frau
Stritt - versandt, da der neue Vorstand in seiner überwiegenden
Majorität den alten Standpunkt vertrat.

sie nahezu einstimmig wiedergewählt worden waren. Jhr Aus-
scheiden hatte nicht den geringsten Zusammenhang mit den Kämpfen
um § 3. Es handelte sich um persönliche Verwirrungen. Der Ein-
fluß beider Gründerinnen auf den Verband blieb natürlich bestehen.
Frau Marie Stritt wurde zur 1. Vorsitzenden gewählt.

Jn der Sache selbst, um die man stritt, war nichts verändert.
Die „Milderung‟, daß man nun nicht mehr für die Männer,
sondern nur noch für die Frauen das allgemeine gleiche Wahlrecht
erkämpfen wollte, wurde in Preußen gar nicht beachtet. Kampf
und Zerstörung gingen weiter. Zwei außerordentliche General-
versammlungen (Berlin), eine Beiratssitzung (Weimar) änderten
und besserten nichts. Nach Weimar – Oktober 1912 – gaben zwei
überzeugte Demokratinnen, Frau Cauer und Frau Breitscheid, den
Kampf als hoffnungslos auf. Beide waren immer bereite Arbeits-
kräfte gewesen. Ergreifend war die Versammlung in Berlin im
November 1912, in der Frau Cauer Abschied von dem Preußischen
Landesverein für Frauenstimmrecht nahm. Sie hatte ihn geschaffen,
zur Blüte gebracht und den Kampf um seinen streng demokratischen
Charakter geführt. Sie schilderte ihre Arbeit, ihre Leiden und
sagte: „Es ist mir ein Jdeal zerstört worden. Auf dem Boden des
§ 3 ist eine Organisation nicht zu schaffen.‟

Der Tieferblickende mußte sich sagen: Hier geschieht nur, was
Bahnbrechern so oft geschah, wenn sie alt wurden. Die neue Zeit
ist da, die deutschen Frauen sind Politiker geworden. Daß sie es
sind, ist zu einem wesentlichen Teile das Verdlenst dieser Frau. Nun
versteht sie die neue Zeit nicht, weil sie ein anderes Angesicht trägt,
als sie einst erhoffte.

Man hatte in Weimar 1912 beschlossen, „Burgfrieden‟ zu
halten bis zur ordentlichen Generalversammlung Oktober 1913.
Vorher aber – 1912 – waren zwei Flugblätter erschienen, die
noch einmal den weniger Orientierten die Größe der zu erwarten-
den Entscheidung vor Augen stellten. Wir bringen darum beide.
Nr. 1 spricht die Ansichten der Reformpartei aus. Nr. 2 wurde
vom Vorstande des Deutschen Verbandes – Vorsitzende Frau
Stritt – versandt, da der neue Vorstand in seiner überwiegenden
Majorität den alten Standpunkt vertrat.

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[28/0028] sie nahezu einstimmig wiedergewählt worden waren. Jhr Aus- scheiden hatte nicht den geringsten Zusammenhang mit den Kämpfen um § 3. Es handelte sich um persönliche Verwirrungen. Der Ein- fluß beider Gründerinnen auf den Verband blieb natürlich bestehen. Frau Marie Stritt wurde zur 1. Vorsitzenden gewählt. Jn der Sache selbst, um die man stritt, war nichts verändert. Die „Milderung‟, daß man nun nicht mehr für die Männer, sondern nur noch für die Frauen das allgemeine gleiche Wahlrecht erkämpfen wollte, wurde in Preußen gar nicht beachtet. Kampf und Zerstörung gingen weiter. Zwei außerordentliche General- versammlungen (Berlin), eine Beiratssitzung (Weimar) änderten und besserten nichts. Nach Weimar – Oktober 1912 – gaben zwei überzeugte Demokratinnen, Frau Cauer und Frau Breitscheid, den Kampf als hoffnungslos auf. Beide waren immer bereite Arbeits- kräfte gewesen. Ergreifend war die Versammlung in Berlin im November 1912, in der Frau Cauer Abschied von dem Preußischen Landesverein für Frauenstimmrecht nahm. Sie hatte ihn geschaffen, zur Blüte gebracht und den Kampf um seinen streng demokratischen Charakter geführt. Sie schilderte ihre Arbeit, ihre Leiden und sagte: „Es ist mir ein Jdeal zerstört worden. Auf dem Boden des § 3 ist eine Organisation nicht zu schaffen.‟ Der Tieferblickende mußte sich sagen: Hier geschieht nur, was Bahnbrechern so oft geschah, wenn sie alt wurden. Die neue Zeit ist da, die deutschen Frauen sind Politiker geworden. Daß sie es sind, ist zu einem wesentlichen Teile das Verdlenst dieser Frau. Nun versteht sie die neue Zeit nicht, weil sie ein anderes Angesicht trägt, als sie einst erhoffte. Man hatte in Weimar 1912 beschlossen, „Burgfrieden‟ zu halten bis zur ordentlichen Generalversammlung Oktober 1913. Vorher aber – 1912 – waren zwei Flugblätter erschienen, die noch einmal den weniger Orientierten die Größe der zu erwarten- den Entscheidung vor Augen stellten. Wir bringen darum beide. Nr. 1 spricht die Ansichten der Reformpartei aus. Nr. 2 wurde vom Vorstande des Deutschen Verbandes – Vorsitzende Frau Stritt – versandt, da der neue Vorstand in seiner überwiegenden Majorität den alten Standpunkt vertrat.

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2015-05-11T12:53:44Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-05-11T12:53:44Z)

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Zitationshilfe: Lischnewska, Maria: Die deutsche Frauenstimmrechtsbewegung zwischen Krieg und Frieden. Berlin, 1915, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lischnewska_frauenstimmrechtsbewegung_1915/28>, abgerufen am 27.04.2024.