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Lischnewska, Maria: Die deutsche Frauenstimmrechtsbewegung zwischen Krieg und Frieden. Berlin, 1915.

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den Liberalismus ins Auge fassen, so kann es sich
für uns nicht darum handeln, die Frage des Schutzzolles
oder Freihandels, das alte manchesterliche Prinzip des
laisser faire, laisser passer, zu erörtern, das die Baumwollen-
Barone schuf und den Arbeiterstand ins tiefste Elend stieß, auch nicht
darum, ob dieser oder jener Teil des Liberalismus für oder gegen
Monopole, für oder gegen Kolonialpolitik, für oder gegen Militär-
macht ist. Das sind Erscheinungen, die kommen und gehen. Wert hat
für unsere Prüfung nur der dauernde, unzerstörbare Wesens-
inhalt des Liberalismus. Das ist der Kampf für die Freiheit
des Geistes, für freie deutsche Bildung und
Kultur
. Je mehr der moderne Kulturstaat zu vielen äußerlichen
Beschränkungen des Jndividuums gezwungen wird, um so mehr
wird der Liberalismus im politischen Kampfe auf dieses sein
Zentrum aller Realpolitik zum Trotz zurückgedrängt werden. Hier,
als Hüter des Erbes eines Luther, Lessing, Schiller und Goethe,
hat er seine großen Aufgaben. Aus diesem Erbteil kann er andere
Parteien speisen, und so kann er die Tiefe und Universalität
deutscher Bildung retten in das neue Deutschland hinein, für nach-
folgende Generationen.

Was will nun die Frau? Sie will auch für sich die Frei-
heit des Geistes
, die Möglichkeit, ihre inneren Kräfte auf
allen nationalen Bildungswegen in Rechten und Pflichten frei zu
entfalten.

Diese Forderung deckt sich durchaus mit dem Grundprinzip
des Liberalismus. Er kann also der Frau jederzeit die Hand reichen
in ihrem Streben nach Staatsbürgerrecht. Er müßte das sogar,
weil es seinem innersten Wesen entspricht, dem helfend sich zuzu-
neigen, was aus den Tiefen zum Lichte ringt. Somit kann der
Liberalismus sehr wohl die Frau befreien, er würde sich durch eine
solche Politik nur selbst bejahen.

Kommen wir zum Zentrum . Es ist die Partei, die jahr-
zehntelang ihren Schwerpunkt außerhalb der nationalen Grenzen
gehabt hat. Die Herrschaft der Kirche auf allen Gebieten des staat-
lichen Lebens ist ihr letztes Ziel. Blind und unwahr aber wäre
jeder, der nicht anerkennen würde, daß auch diese Partei sich immer
mehr auf den Boden des Vaterlandes gestellt hat, daß sie auf dem
Gebiete der nationalen Verteidigung, der Sozialpolitik, der Wirt-
schaftspolitik, des Steuerwesens, der Handwerkergesetzgebung, ja
selbst der Kolonialpolitik eine sehr bedeutungsvolle Mitarbeit getan
hat. Sehen wir aber von dem allen hier ab und fassen nur die aus

den Liberalismus ins Auge fassen, so kann es sich
für uns nicht darum handeln, die Frage des Schutzzolles
oder Freihandels, das alte manchesterliche Prinzip des
laisser faire, laisser passer, zu erörtern, das die Baumwollen-
Barone schuf und den Arbeiterstand ins tiefste Elend stieß, auch nicht
darum, ob dieser oder jener Teil des Liberalismus für oder gegen
Monopole, für oder gegen Kolonialpolitik, für oder gegen Militär-
macht ist. Das sind Erscheinungen, die kommen und gehen. Wert hat
für unsere Prüfung nur der dauernde, unzerstörbare Wesens-
inhalt des Liberalismus. Das ist der Kampf für die Freiheit
des Geistes, für freie deutsche Bildung und
Kultur
. Je mehr der moderne Kulturstaat zu vielen äußerlichen
Beschränkungen des Jndividuums gezwungen wird, um so mehr
wird der Liberalismus im politischen Kampfe auf dieses sein
Zentrum aller Realpolitik zum Trotz zurückgedrängt werden. Hier,
als Hüter des Erbes eines Luther, Lessing, Schiller und Goethe,
hat er seine großen Aufgaben. Aus diesem Erbteil kann er andere
Parteien speisen, und so kann er die Tiefe und Universalität
deutscher Bildung retten in das neue Deutschland hinein, für nach-
folgende Generationen.

Was will nun die Frau? Sie will auch für sich die Frei-
heit des Geistes
, die Möglichkeit, ihre inneren Kräfte auf
allen nationalen Bildungswegen in Rechten und Pflichten frei zu
entfalten.

Diese Forderung deckt sich durchaus mit dem Grundprinzip
des Liberalismus. Er kann also der Frau jederzeit die Hand reichen
in ihrem Streben nach Staatsbürgerrecht. Er müßte das sogar,
weil es seinem innersten Wesen entspricht, dem helfend sich zuzu-
neigen, was aus den Tiefen zum Lichte ringt. Somit kann der
Liberalismus sehr wohl die Frau befreien, er würde sich durch eine
solche Politik nur selbst bejahen.

Kommen wir zum Zentrum . Es ist die Partei, die jahr-
zehntelang ihren Schwerpunkt außerhalb der nationalen Grenzen
gehabt hat. Die Herrschaft der Kirche auf allen Gebieten des staat-
lichen Lebens ist ihr letztes Ziel. Blind und unwahr aber wäre
jeder, der nicht anerkennen würde, daß auch diese Partei sich immer
mehr auf den Boden des Vaterlandes gestellt hat, daß sie auf dem
Gebiete der nationalen Verteidigung, der Sozialpolitik, der Wirt-
schaftspolitik, des Steuerwesens, der Handwerkergesetzgebung, ja
selbst der Kolonialpolitik eine sehr bedeutungsvolle Mitarbeit getan
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[18/0018] den Liberalismus ins Auge fassen, so kann es sich für uns nicht darum handeln, die Frage des Schutzzolles oder Freihandels, das alte manchesterliche Prinzip des laisser faire, laisser passer, zu erörtern, das die Baumwollen- Barone schuf und den Arbeiterstand ins tiefste Elend stieß, auch nicht darum, ob dieser oder jener Teil des Liberalismus für oder gegen Monopole, für oder gegen Kolonialpolitik, für oder gegen Militär- macht ist. Das sind Erscheinungen, die kommen und gehen. Wert hat für unsere Prüfung nur der dauernde, unzerstörbare Wesens- inhalt des Liberalismus. Das ist der Kampf für die Freiheit des Geistes, für freie deutsche Bildung und Kultur. Je mehr der moderne Kulturstaat zu vielen äußerlichen Beschränkungen des Jndividuums gezwungen wird, um so mehr wird der Liberalismus im politischen Kampfe auf dieses sein Zentrum aller Realpolitik zum Trotz zurückgedrängt werden. Hier, als Hüter des Erbes eines Luther, Lessing, Schiller und Goethe, hat er seine großen Aufgaben. Aus diesem Erbteil kann er andere Parteien speisen, und so kann er die Tiefe und Universalität deutscher Bildung retten in das neue Deutschland hinein, für nach- folgende Generationen. Was will nun die Frau? Sie will auch für sich die Frei- heit des Geistes, die Möglichkeit, ihre inneren Kräfte auf allen nationalen Bildungswegen in Rechten und Pflichten frei zu entfalten. Diese Forderung deckt sich durchaus mit dem Grundprinzip des Liberalismus. Er kann also der Frau jederzeit die Hand reichen in ihrem Streben nach Staatsbürgerrecht. Er müßte das sogar, weil es seinem innersten Wesen entspricht, dem helfend sich zuzu- neigen, was aus den Tiefen zum Lichte ringt. Somit kann der Liberalismus sehr wohl die Frau befreien, er würde sich durch eine solche Politik nur selbst bejahen. Kommen wir zum Zentrum . Es ist die Partei, die jahr- zehntelang ihren Schwerpunkt außerhalb der nationalen Grenzen gehabt hat. Die Herrschaft der Kirche auf allen Gebieten des staat- lichen Lebens ist ihr letztes Ziel. Blind und unwahr aber wäre jeder, der nicht anerkennen würde, daß auch diese Partei sich immer mehr auf den Boden des Vaterlandes gestellt hat, daß sie auf dem Gebiete der nationalen Verteidigung, der Sozialpolitik, der Wirt- schaftspolitik, des Steuerwesens, der Handwerkergesetzgebung, ja selbst der Kolonialpolitik eine sehr bedeutungsvolle Mitarbeit getan hat. Sehen wir aber von dem allen hier ab und fassen nur die aus  

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2015-05-11T12:53:44Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-05-11T12:53:44Z)

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Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Lischnewska, Maria: Die deutsche Frauenstimmrechtsbewegung zwischen Krieg und Frieden. Berlin, 1915, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lischnewska_frauenstimmrechtsbewegung_1915/18>, abgerufen am 26.04.2024.