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Lischnewska, Maria: Die deutsche Frauenstimmrechtsbewegung zwischen Krieg und Frieden. Berlin, 1915.

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Freilich die Unmöglichkeit jeder politischen Organisation war
ein schweres Hemmnis. Nicht, daß in den Frauen jener Tage das
Verlangen, sich irgendeiner politischen Partei als Mitglied anzu-
schließen, lebendig gewesen wäre. Die Parteiverhältnisse waren
recht unerquicklich, und das Entgegenkommen der bürgerlichen Poli-
tiker versagte bei den einfachsten realpolitischen Fragen der Frauen-
entwicklung. Wohl aber war die Stimmrechtsbewegung selbst nichts
andres als das Streben nach eigenem politischen Leben, und
ein solches war gesichert und kraftvoll doch nur möglich in einer
politischen Organisation. Das Ausland mit seinen schon bestehenden
großen Stimmrechtsvereinen wirkte natürlich mächtig ein. Nun
hatte das Studium der 26 verschiedenen Vereinsgesetze ergeben,
daß im Hamburger Gesetz vom 19. 5. 1893 die Frau über-
haupt nicht genannt war
. Hierauf fußend, gründeten
Dr. Augspurg und Lyda Gustava Heymann am 1. Januar 1902,
unterstützt von wenigen radikalen Frauen, den "Deutschen Verein
für Frauenstimmrecht", Sitz Hamburg. Den ersten Vorstand
bildeten: Dr. Augspurg, L. G. Heymann,Frau Cauer,
A. v. Welczeck , Dr. Charlotte Engell-Reimers, Dr. Schirmacher.

Es kann heute mit Recht bezweifelt werden, ob es praktisch
war, nur radikale Frauen in den Vorstand zu nehmen. Es waren
doch schon Frauen gemäßigter Richtung da, die man hätte heran-
ziehen können. Dann wäre die Grundlage der nunmehr organi-
sierten Bewegung eine breitere geworden. Das unterblieb, selbst-
verständlich um der jungen Organisation erhöhte Stoßkraft zu
geben.

Auf jeden Fall aber war diese Organisation mitten in den
Wirrsalen der alten Vereinsgesetze eine befreiende Tat. Viele
haben sich sofort freudig zu der ersten politischen Organisation der
deutschen Frauen bekannt. Sie konnten das um so leichter, als jede
parteipolitische Stellungnahme in den Satzungen vermieden war.
Denn diese ersten Satzungen setzen als Zweck der Organisation
"1. Frauen, welche im Besitz politischer oder anderer Wahlrechte
sind, zu deren Ausübung zu veranlassen; 2. für die übrigen deutschen
Frauen, die politische Gleichberechtigung auf allen Gebieten zu er-
kämpfen".

Als im Juni 1904 die Jnternationale Vereini-
gung für Frauenstimmrecht"
in Berlin durch die große
amerikanische Vorkämpferin Susan Anthony gegründet wurde,
schloß sich der deutsche Nationalbund an. Er trat damit in die heute
schon 26 Nationalverbände umfassende, immer wachsende Schar

Freilich die Unmöglichkeit jeder politischen Organisation war
ein schweres Hemmnis. Nicht, daß in den Frauen jener Tage das
Verlangen, sich irgendeiner politischen Partei als Mitglied anzu-
schließen, lebendig gewesen wäre. Die Parteiverhältnisse waren
recht unerquicklich, und das Entgegenkommen der bürgerlichen Poli-
tiker versagte bei den einfachsten realpolitischen Fragen der Frauen-
entwicklung. Wohl aber war die Stimmrechtsbewegung selbst nichts
andres als das Streben nach eigenem politischen Leben, und
ein solches war gesichert und kraftvoll doch nur möglich in einer
politischen Organisation. Das Ausland mit seinen schon bestehenden
großen Stimmrechtsvereinen wirkte natürlich mächtig ein. Nun
hatte das Studium der 26 verschiedenen Vereinsgesetze ergeben,
daß im Hamburger Gesetz vom 19. 5. 1893 die Frau über-
haupt nicht genannt war
. Hierauf fußend, gründeten
Dr. Augspurg und Lyda Gustava Heymann am 1. Januar 1902,
unterstützt von wenigen radikalen Frauen, den „Deutschen Verein
für Frauenstimmrecht‟, Sitz Hamburg. Den ersten Vorstand
bildeten: Dr. Augspurg, L. G. Heymann,Frau Cauer,
A. v. Welczeck , Dr. Charlotte Engell-Reimers, Dr. Schirmacher.

Es kann heute mit Recht bezweifelt werden, ob es praktisch
war, nur radikale Frauen in den Vorstand zu nehmen. Es waren
doch schon Frauen gemäßigter Richtung da, die man hätte heran-
ziehen können. Dann wäre die Grundlage der nunmehr organi-
sierten Bewegung eine breitere geworden. Das unterblieb, selbst-
verständlich um der jungen Organisation erhöhte Stoßkraft zu
geben.

Auf jeden Fall aber war diese Organisation mitten in den
Wirrsalen der alten Vereinsgesetze eine befreiende Tat. Viele
haben sich sofort freudig zu der ersten politischen Organisation der
deutschen Frauen bekannt. Sie konnten das um so leichter, als jede
parteipolitische Stellungnahme in den Satzungen vermieden war.
Denn diese ersten Satzungen setzen als Zweck der Organisation
„1. Frauen, welche im Besitz politischer oder anderer Wahlrechte
sind, zu deren Ausübung zu veranlassen; 2. für die übrigen deutschen
Frauen, die politische Gleichberechtigung auf allen Gebieten zu er-
kämpfen‟.

Als im Juni 1904 die Jnternationale Vereini-
gung für Frauenstimmrecht‟
in Berlin durch die große
amerikanische Vorkämpferin Susan Anthony gegründet wurde,
schloß sich der deutsche Nationalbund an. Er trat damit in die heute
schon 26 Nationalverbände umfassende, immer wachsende Schar

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[11/0011] Freilich die Unmöglichkeit jeder politischen Organisation war ein schweres Hemmnis. Nicht, daß in den Frauen jener Tage das Verlangen, sich irgendeiner politischen Partei als Mitglied anzu- schließen, lebendig gewesen wäre. Die Parteiverhältnisse waren recht unerquicklich, und das Entgegenkommen der bürgerlichen Poli- tiker versagte bei den einfachsten realpolitischen Fragen der Frauen- entwicklung. Wohl aber war die Stimmrechtsbewegung selbst nichts andres als das Streben nach eigenem politischen Leben, und ein solches war gesichert und kraftvoll doch nur möglich in einer politischen Organisation. Das Ausland mit seinen schon bestehenden großen Stimmrechtsvereinen wirkte natürlich mächtig ein. Nun hatte das Studium der 26 verschiedenen Vereinsgesetze ergeben, daß im Hamburger Gesetz vom 19. 5. 1893 die Frau über- haupt nicht genannt war. Hierauf fußend, gründeten Dr. Augspurg und Lyda Gustava Heymann am 1. Januar 1902, unterstützt von wenigen radikalen Frauen, den „Deutschen Verein für Frauenstimmrecht‟, Sitz Hamburg. Den ersten Vorstand bildeten: Dr. Augspurg, L. G. Heymann,Frau Cauer, A. v. Welczeck , Dr. Charlotte Engell-Reimers, Dr. Schirmacher. Es kann heute mit Recht bezweifelt werden, ob es praktisch war, nur radikale Frauen in den Vorstand zu nehmen. Es waren doch schon Frauen gemäßigter Richtung da, die man hätte heran- ziehen können. Dann wäre die Grundlage der nunmehr organi- sierten Bewegung eine breitere geworden. Das unterblieb, selbst- verständlich um der jungen Organisation erhöhte Stoßkraft zu geben. Auf jeden Fall aber war diese Organisation mitten in den Wirrsalen der alten Vereinsgesetze eine befreiende Tat. Viele haben sich sofort freudig zu der ersten politischen Organisation der deutschen Frauen bekannt. Sie konnten das um so leichter, als jede parteipolitische Stellungnahme in den Satzungen vermieden war. Denn diese ersten Satzungen setzen als Zweck der Organisation „1. Frauen, welche im Besitz politischer oder anderer Wahlrechte sind, zu deren Ausübung zu veranlassen; 2. für die übrigen deutschen Frauen, die politische Gleichberechtigung auf allen Gebieten zu er- kämpfen‟. Als im Juni 1904 die Jnternationale Vereini- gung für Frauenstimmrecht‟ in Berlin durch die große amerikanische Vorkämpferin Susan Anthony gegründet wurde, schloß sich der deutsche Nationalbund an. Er trat damit in die heute schon 26 Nationalverbände umfassende, immer wachsende Schar  

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2015-05-11T12:53:44Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-05-11T12:53:44Z)

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Zitationshilfe: Lischnewska, Maria: Die deutsche Frauenstimmrechtsbewegung zwischen Krieg und Frieden. Berlin, 1915, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lischnewska_frauenstimmrechtsbewegung_1915/11>, abgerufen am 26.04.2024.