Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Liliencron, Detlev von: Adjutantenritte und andere Gedichte. Leipzig, [1883].

Bild:
<< vorherige Seite
Italienische Dacht.


I.
Weit fort, im südlichen Italien war es. --
Du schautest vom Altane in den Garten
Auf weiterhellte, festbelebte Wege.
Dann hob dein Auge sich, und deine Seele
Verlor sich in das Schweigen ferner Landschaft:
Im Meer des Mondenlichtes liegen still
Die weißen Schlösser, Schiffen gleich, vor Anker.
Es dunkeln, Inseln, die Cypressenhaine,
Wo Liebesworte und Guitarrenklang
Im gleichen Fall der Brunnen sich vermischen.
Wie lange willst du träumen, deutsche Frau,
Von glutdurchtränkter Nacht des Romeo?
Weckt dir Erinnerung nicht liebe Bilder
Aus unbarmherzig strenger Winternacht,
Die mit gesenktem Augenlid umdämmert
Die Hünengräber deines rauhen Strandes?
II.
Im Nebelnorden, an der Ostseeküste,
Abseits der Städte und der großen Straßen,
Schläft einsam und vergessen, halb verweht
Im Schnee von harten Stürmen oft gezaust,
Ein kleines Gut. Zwei ungeschlachte Riesen,
Uralte Tannen, strecken ihre Arme
Wie Speere vor zum Schutz des Herrenhauses.
Unhörbar, drinnen auf dem Smyrnateppich,
Geht eine junge Dame auf und nieder.
Bisweilen bleibt sie stehn, schraubt an der Lampe,
Schiebt auf dem Bechstein an das Notenpult
Die schweren Bronzecandelaber näher,
Italieniſche Dacht.


I.
Weit fort, im ſüdlichen Italien war es. —
Du ſchauteſt vom Altane in den Garten
Auf weiterhellte, feſtbelebte Wege.
Dann hob dein Auge ſich, und deine Seele
Verlor ſich in das Schweigen ferner Landſchaft:
Im Meer des Mondenlichtes liegen ſtill
Die weißen Schlöſſer, Schiffen gleich, vor Anker.
Es dunkeln, Inſeln, die Cypreſſenhaine,
Wo Liebesworte und Guitarrenklang
Im gleichen Fall der Brunnen ſich vermiſchen.
Wie lange willſt du träumen, deutſche Frau,
Von glutdurchtränkter Nacht des Romeo?
Weckt dir Erinnerung nicht liebe Bilder
Aus unbarmherzig ſtrenger Winternacht,
Die mit geſenktem Augenlid umdämmert
Die Hünengräber deines rauhen Strandes?
II.
Im Nebelnorden, an der Oſtſeeküſte,
Abſeits der Städte und der großen Straßen,
Schläft einſam und vergeſſen, halb verweht
Im Schnee von harten Stürmen oft gezauſt,
Ein kleines Gut. Zwei ungeſchlachte Rieſen,
Uralte Tannen, ſtrecken ihre Arme
Wie Speere vor zum Schutz des Herrenhauſes.
Unhörbar, drinnen auf dem Smyrnateppich,
Geht eine junge Dame auf und nieder.
Bisweilen bleibt ſie ſtehn, ſchraubt an der Lampe,
Schiebt auf dem Bechſtein an das Notenpult
Die ſchweren Bronzecandelaber näher,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0092" n="84"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Italieni&#x017F;che Dacht.</hi> </head><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#aq">I.</hi> </head><lb/>
          <lg type="poem">
            <l><hi rendition="#in">W</hi>eit fort, im &#x017F;üdlichen Italien war es. &#x2014;</l><lb/>
            <l>Du &#x017F;chaute&#x017F;t vom Altane in den Garten</l><lb/>
            <l>Auf weiterhellte, fe&#x017F;tbelebte Wege.</l><lb/>
            <l>Dann hob dein Auge &#x017F;ich, und deine Seele</l><lb/>
            <l>Verlor &#x017F;ich in das Schweigen ferner Land&#x017F;chaft:</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">Im Meer des Mondenlichtes liegen &#x017F;till</hi> </l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">Die weißen Schlö&#x017F;&#x017F;er, Schiffen gleich, vor Anker.</hi> </l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">Es dunkeln, In&#x017F;eln, die Cypre&#x017F;&#x017F;enhaine,</hi> </l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">Wo Liebesworte und Guitarrenklang</hi> </l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">Im gleichen Fall der Brunnen &#x017F;ich vermi&#x017F;chen.</hi> </l><lb/>
            <l>Wie lange will&#x017F;t du träumen, deut&#x017F;che Frau,</l><lb/>
            <l>Von glutdurchtränkter Nacht des Romeo?</l><lb/>
            <l>Weckt dir Erinnerung nicht liebe Bilder</l><lb/>
            <l>Aus unbarmherzig &#x017F;trenger Winternacht,</l><lb/>
            <l>Die mit ge&#x017F;enktem Augenlid umdämmert</l><lb/>
            <l>Die Hünengräber deines rauhen Strandes?</l>
          </lg>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#aq">II.</hi> </head><lb/>
          <lg type="poem">
            <l>Im Nebelnorden, an der O&#x017F;t&#x017F;eekü&#x017F;te,</l><lb/>
            <l>Ab&#x017F;eits der Städte und der großen Straßen,</l><lb/>
            <l>Schläft ein&#x017F;am und verge&#x017F;&#x017F;en, halb verweht</l><lb/>
            <l>Im Schnee von harten Stürmen oft gezau&#x017F;t,</l><lb/>
            <l>Ein kleines Gut. Zwei unge&#x017F;chlachte Rie&#x017F;en,</l><lb/>
            <l>Uralte Tannen, &#x017F;trecken ihre Arme</l><lb/>
            <l>Wie Speere vor zum Schutz des Herrenhau&#x017F;es.</l><lb/>
            <l>Unhörbar, drinnen auf dem Smyrnateppich,</l><lb/>
            <l>Geht eine junge Dame auf und nieder.</l><lb/>
            <l>Bisweilen bleibt &#x017F;ie &#x017F;tehn, &#x017F;chraubt an der Lampe,</l><lb/>
            <l>Schiebt auf dem Bech&#x017F;tein an das Notenpult</l><lb/>
            <l>Die &#x017F;chweren Bronzecandelaber näher,</l><lb/>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[84/0092] Italieniſche Dacht. I. Weit fort, im ſüdlichen Italien war es. — Du ſchauteſt vom Altane in den Garten Auf weiterhellte, feſtbelebte Wege. Dann hob dein Auge ſich, und deine Seele Verlor ſich in das Schweigen ferner Landſchaft: Im Meer des Mondenlichtes liegen ſtill Die weißen Schlöſſer, Schiffen gleich, vor Anker. Es dunkeln, Inſeln, die Cypreſſenhaine, Wo Liebesworte und Guitarrenklang Im gleichen Fall der Brunnen ſich vermiſchen. Wie lange willſt du träumen, deutſche Frau, Von glutdurchtränkter Nacht des Romeo? Weckt dir Erinnerung nicht liebe Bilder Aus unbarmherzig ſtrenger Winternacht, Die mit geſenktem Augenlid umdämmert Die Hünengräber deines rauhen Strandes? II. Im Nebelnorden, an der Oſtſeeküſte, Abſeits der Städte und der großen Straßen, Schläft einſam und vergeſſen, halb verweht Im Schnee von harten Stürmen oft gezauſt, Ein kleines Gut. Zwei ungeſchlachte Rieſen, Uralte Tannen, ſtrecken ihre Arme Wie Speere vor zum Schutz des Herrenhauſes. Unhörbar, drinnen auf dem Smyrnateppich, Geht eine junge Dame auf und nieder. Bisweilen bleibt ſie ſtehn, ſchraubt an der Lampe, Schiebt auf dem Bechſtein an das Notenpult Die ſchweren Bronzecandelaber näher,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liliencron_adjutantenritte_1883
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liliencron_adjutantenritte_1883/92
Zitationshilfe: Liliencron, Detlev von: Adjutantenritte und andere Gedichte. Leipzig, [1883], S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liliencron_adjutantenritte_1883/92>, abgerufen am 21.12.2024.