Liliencron, Detlev von: Adjutantenritte und andere Gedichte. Leipzig, [1883].Die Nixe drängt ans Ufer vor Am andern Tag in früher Stund' Erwacht' ich auf dem Wiesengrund. Die beiden Kühe rupften wieder -- Doch dort, sie suchen was im Fluß, Und tauchen ihre Stangen nieder -- War das des Traumes herber Schluß? Und sieh! Wen tragen dort die Hände, Sie trugen einen, der versank Und diese Nacht im Fluß ertrank. Das war des schweren Traumes Ende. Früh am Tage. In der Fensterluken schmalen Ritzen Klemmt der Morgen sich die Fingerspitzen. Kann von meinem Mädchen mich nicht trennen, Muß mit tausend Schmeichelnamen sie benennen. Drängt die liebe Kleine nach der Thüre, Halt' ich sie durch tausend Liebesschwüre. Muß ich leider endlich selber treiben, Fällt sie, wortlos, um den Hals mir, möchte bleiben. Liebster, so, nun laß mich, laß mich gehen, Doch im Gehen bleibt sie zögernd stehen, Noch ein letztes Horchen, letzte Winke, Und dann faßt und drückt sie leise, leis die Klinke. Die Nixe drängt ans Ufer vor Am andern Tag in früher Stund’ Erwacht’ ich auf dem Wieſengrund. Die beiden Kühe rupften wieder — Doch dort, ſie ſuchen was im Fluß, Und tauchen ihre Stangen nieder — War das des Traumes herber Schluß? Und ſieh! Wen tragen dort die Hände, Sie trugen einen, der verſank Und dieſe Nacht im Fluß ertrank. Das war des ſchweren Traumes Ende. Früh am Tage. In der Fenſterluken ſchmalen Ritzen Klemmt der Morgen ſich die Fingerſpitzen. Kann von meinem Mädchen mich nicht trennen, Muß mit tauſend Schmeichelnamen ſie benennen. Drängt die liebe Kleine nach der Thüre, Halt’ ich ſie durch tauſend Liebesſchwüre. Muß ich leider endlich ſelber treiben, Fällt ſie, wortlos, um den Hals mir, möchte bleiben. Liebſter, ſo, nun laß mich, laß mich gehen, Doch im Gehen bleibt ſie zögernd ſtehen, Noch ein letztes Horchen, letzte Winke, Und dann faßt und drückt ſie leiſe, leis die Klinke. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <lg n="12"> <pb n="62" facs="#f0070"/> <l>Die Nixe drängt ans Ufer vor</l><lb/> <l>Und ſpannte weit den ſchönen Arm —</l><lb/> <l>Da ſchoß auf mich ein Sternenſchwarm.</l> </lg><lb/> <lg n="13"> <l>Am andern Tag in früher Stund’</l><lb/> <l>Erwacht’ ich auf dem Wieſengrund.</l><lb/> <l>Die beiden Kühe rupften wieder —</l><lb/> <l>Doch dort, ſie ſuchen was im Fluß,</l><lb/> <l>Und tauchen ihre Stangen nieder —</l><lb/> <l>War das des Traumes herber Schluß?</l><lb/> <l>Und ſieh! Wen tragen dort die Hände,</l><lb/> <l>Sie trugen einen, der verſank</l><lb/> <l>Und dieſe Nacht im Fluß ertrank.</l><lb/> <l>Das war des ſchweren Traumes Ende.</l> </lg> </lg> </div><lb/> <milestone unit="section" rendition="#hr"/> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b">Früh am Tage.</hi> </head><lb/> <milestone unit="section" rendition="#hr"/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l><hi rendition="#in">I</hi>n der Fenſterluken ſchmalen Ritzen</l><lb/> <l>Klemmt der Morgen ſich die Fingerſpitzen.</l><lb/> <l>Kann von meinem Mädchen mich nicht trennen,</l><lb/> <l>Muß mit tauſend Schmeichelnamen ſie benennen.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Drängt die liebe Kleine nach der Thüre,</l><lb/> <l>Halt’ ich ſie durch tauſend Liebesſchwüre.</l><lb/> <l>Muß ich leider endlich ſelber treiben,</l><lb/> <l>Fällt ſie, wortlos, um den Hals mir, möchte bleiben.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Liebſter, ſo, nun laß mich, laß mich gehen,</l><lb/> <l>Doch im Gehen bleibt ſie zögernd ſtehen,</l><lb/> <l>Noch ein letztes Horchen, letzte Winke,</l><lb/> <l>Und dann faßt und drückt ſie leiſe, leis die Klinke.</l> </lg><lb/> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [62/0070]
Die Nixe drängt ans Ufer vor
Und ſpannte weit den ſchönen Arm —
Da ſchoß auf mich ein Sternenſchwarm.
Am andern Tag in früher Stund’
Erwacht’ ich auf dem Wieſengrund.
Die beiden Kühe rupften wieder —
Doch dort, ſie ſuchen was im Fluß,
Und tauchen ihre Stangen nieder —
War das des Traumes herber Schluß?
Und ſieh! Wen tragen dort die Hände,
Sie trugen einen, der verſank
Und dieſe Nacht im Fluß ertrank.
Das war des ſchweren Traumes Ende.
Früh am Tage.
In der Fenſterluken ſchmalen Ritzen
Klemmt der Morgen ſich die Fingerſpitzen.
Kann von meinem Mädchen mich nicht trennen,
Muß mit tauſend Schmeichelnamen ſie benennen.
Drängt die liebe Kleine nach der Thüre,
Halt’ ich ſie durch tauſend Liebesſchwüre.
Muß ich leider endlich ſelber treiben,
Fällt ſie, wortlos, um den Hals mir, möchte bleiben.
Liebſter, ſo, nun laß mich, laß mich gehen,
Doch im Gehen bleibt ſie zögernd ſtehen,
Noch ein letztes Horchen, letzte Winke,
Und dann faßt und drückt ſie leiſe, leis die Klinke.
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Zitationshilfe: | Liliencron, Detlev von: Adjutantenritte und andere Gedichte. Leipzig, [1883], S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liliencron_adjutantenritte_1883/70>, abgerufen am 04.03.2025. |