Liliencron, Detlev von: Adjutantenritte und andere Gedichte. Leipzig, [1883].Verbannt. Gleichviel weßhalb, ich bin's, ich bin verbannt Auf eine kleine, deichumrahmte Insel. Weit liegt mein walddurchrauschtes Vaterland. Hier schleicht und kriecht das Wattenmeergerinsel Durch Schlick und Schlamm, ein schmutzig gelbes Band. Poltert der Sturm nicht, nörgelt Windgewinsel. Ich seh' die Sonne Morgens Wasser trinken, Und Abends wieder in die Wogen sinken. Der Reiher, dem das Nest zerschossen wird, Er baut sich an im ersten besten Walde. Der Flüchtling, der von Land zu Ländern irrt, Erreicht vielleicht noch eine grüne Halde, Wo süß und sanft die Friedenstaube girrt, Und er die reichste Ruhe findet balde. Verdammt bin ich auf dieses öde Eiland, Ich gab mein Wort: es ist für mich kein Freiland. Zwar hab' ich sonst, was nur das Herz begehrt, Cigarren, Bücher, Schreibpapier und Tinte. Auch ist die Seehundjagd mir nicht verwehrt Und was an Vögeln fliegt in meine Flinte. Jedwede Woche kommt ein Schiff, beschwert Mit Briefen, Packen, Zucker, Öl, Korinthe. Erst gestern aß ich ein Diner von Pfordte, Und, hinterher, von Kranzler ein Stück Torte. Verbannt. Gleichviel weßhalb, ich bin’s, ich bin verbannt Auf eine kleine, deichumrahmte Inſel. Weit liegt mein walddurchrauſchtes Vaterland. Hier ſchleicht und kriecht das Wattenmeergerinſel Durch Schlick und Schlamm, ein ſchmutzig gelbes Band. Poltert der Sturm nicht, nörgelt Windgewinſel. Ich ſeh’ die Sonne Morgens Waſſer trinken, Und Abends wieder in die Wogen ſinken. Der Reiher, dem das Neſt zerſchoſſen wird, Er baut ſich an im erſten beſten Walde. Der Flüchtling, der von Land zu Ländern irrt, Erreicht vielleicht noch eine grüne Halde, Wo ſüß und ſanft die Friedenstaube girrt, Und er die reichſte Ruhe findet balde. Verdammt bin ich auf dieſes öde Eiland, Ich gab mein Wort: es iſt für mich kein Freiland. Zwar hab’ ich ſonſt, was nur das Herz begehrt, Cigarren, Bücher, Schreibpapier und Tinte. Auch iſt die Seehundjagd mir nicht verwehrt Und was an Vögeln fliegt in meine Flinte. Jedwede Woche kommt ein Schiff, beſchwert Mit Briefen, Packen, Zucker, Öl, Korinthe. Erſt geſtern aß ich ein Diner von Pfordte, Und, hinterher, von Kranzler ein Stück Torte. <TEI> <text> <body> <pb n="117" facs="#f0125"/> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b">Verbannt.</hi> </head><lb/> <milestone unit="section" rendition="#hr"/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l><hi rendition="#in">G</hi>leichviel weßhalb, ich bin’s, ich bin verbannt</l><lb/> <l>Auf eine kleine, deichumrahmte Inſel.</l><lb/> <l>Weit liegt mein walddurchrauſchtes Vaterland.</l><lb/> <l>Hier ſchleicht und kriecht das Wattenmeergerinſel</l><lb/> <l>Durch Schlick und Schlamm, ein ſchmutzig gelbes Band.</l><lb/> <l>Poltert der Sturm nicht, nörgelt Windgewinſel.</l><lb/> <l> <hi rendition="#et">Ich ſeh’ die Sonne Morgens Waſſer trinken,</hi> </l><lb/> <l> <hi rendition="#et">Und Abends wieder in die Wogen ſinken.</hi> </l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Der Reiher, dem das Neſt zerſchoſſen wird,</l><lb/> <l>Er baut ſich an im erſten beſten Walde.</l><lb/> <l>Der Flüchtling, der von Land zu Ländern irrt,</l><lb/> <l>Erreicht vielleicht noch eine grüne Halde,</l><lb/> <l>Wo ſüß und ſanft die Friedenstaube girrt,</l><lb/> <l>Und er die reichſte Ruhe findet balde.</l><lb/> <l> <hi rendition="#et">Verdammt bin ich auf dieſes öde Eiland,</hi> </l><lb/> <l> <hi rendition="#et">Ich gab mein Wort: es iſt für mich kein Freiland.</hi> </l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Zwar hab’ ich ſonſt, was nur das Herz begehrt,</l><lb/> <l>Cigarren, Bücher, Schreibpapier und Tinte.</l><lb/> <l>Auch iſt die Seehundjagd mir nicht verwehrt</l><lb/> <l>Und was an Vögeln fliegt in meine Flinte.</l><lb/> <l>Jedwede Woche kommt ein Schiff, beſchwert</l><lb/> <l>Mit Briefen, Packen, Zucker, Öl, Korinthe.</l><lb/> <l> <hi rendition="#et">Erſt geſtern aß ich ein Diner von Pfordte,</hi> </l><lb/> <l> <hi rendition="#et">Und, hinterher, von Kranzler ein Stück Torte.</hi> </l> </lg><lb/> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [117/0125]
Verbannt.
Gleichviel weßhalb, ich bin’s, ich bin verbannt
Auf eine kleine, deichumrahmte Inſel.
Weit liegt mein walddurchrauſchtes Vaterland.
Hier ſchleicht und kriecht das Wattenmeergerinſel
Durch Schlick und Schlamm, ein ſchmutzig gelbes Band.
Poltert der Sturm nicht, nörgelt Windgewinſel.
Ich ſeh’ die Sonne Morgens Waſſer trinken,
Und Abends wieder in die Wogen ſinken.
Der Reiher, dem das Neſt zerſchoſſen wird,
Er baut ſich an im erſten beſten Walde.
Der Flüchtling, der von Land zu Ländern irrt,
Erreicht vielleicht noch eine grüne Halde,
Wo ſüß und ſanft die Friedenstaube girrt,
Und er die reichſte Ruhe findet balde.
Verdammt bin ich auf dieſes öde Eiland,
Ich gab mein Wort: es iſt für mich kein Freiland.
Zwar hab’ ich ſonſt, was nur das Herz begehrt,
Cigarren, Bücher, Schreibpapier und Tinte.
Auch iſt die Seehundjagd mir nicht verwehrt
Und was an Vögeln fliegt in meine Flinte.
Jedwede Woche kommt ein Schiff, beſchwert
Mit Briefen, Packen, Zucker, Öl, Korinthe.
Erſt geſtern aß ich ein Diner von Pfordte,
Und, hinterher, von Kranzler ein Stück Torte.
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Zitationshilfe: | Liliencron, Detlev von: Adjutantenritte und andere Gedichte. Leipzig, [1883], S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liliencron_adjutantenritte_1883/125>, abgerufen am 04.03.2025. |