Liebknecht, Wilhelm: Zur orientalischen Frage oder Soll Europa kosakisch werden? 2. Aufl. Leipzig, 1878.Die Schande Europas. ("Vorwärts" vom 10. Oktober 1876.) Unter diesem Titel hat die politische Wetterfahne, Emile von "Die Schande Europas", das sind nicht die Türken. "Die Schande Europas" ist, daß "es kein Europa mehr giebt", Ob wahr oder erfunden, das Wort ist richtig: es giebt kein Europa Die Schande Europas. („Vorwärts‟ vom 10. Oktober 1876.) Unter dieſem Titel hat die politiſche Wetterfahne, Emile von „Die Schande Europas‟, das ſind nicht die Türken. „Die Schande Europas‟ iſt, daß „es kein Europa mehr giebt‟, Ob wahr oder erfunden, das Wort iſt richtig: es giebt kein Europa <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0011" n="[7]"/> <div n="1"> <head><hi rendition="#b">Die Schande Europas.</hi><lb/> („Vorwärts‟ vom 10. Oktober 1876.)</head><lb/> <p>Unter dieſem Titel hat die politiſche Wetterfahne, <hi rendition="#g">Emile von<lb/> Girardin</hi> in Paris, ſoeben eine Broſchüre veröffentlicht, in welcher die<lb/> Girardin’ſche Anſicht über die orientaliſche Frage ausgeſprochen und die<lb/> Girardin’ſche Löſung empfohlen wird. „Die Schande Europas‟ iſt,<lb/> daß die Türken in Europa ſind; die „Schande‟ kann nur dadurch ge-<lb/> tilgt werden, daß man die Türken aus Europa jagt — und Rußland<lb/> freie Hand läßt. Daß die Türken der angegriffene Theil ſind, daß alle<lb/> Vorwürfe, die man ihnen macht, mit demſelben, ja theilweiſe mit größerem<lb/> Recht gegen diejenigen Mächte gerichtet werden können, welche die Vor-<lb/> würfe machen; daß der Beſitztitel <hi rendition="#g">aller</hi> Völker genau denſelben Werth<lb/> hat wie der türkiſche; daß den Türken die Cultur <hi rendition="#g">fähigkeit</hi> abſprechen<lb/> ein Unſinn iſt, und daß ihr Cultur <hi rendition="#g">ſtand,</hi> wenn auch <hi rendition="#g">unter</hi> dem der<lb/> entwickeltſten Culturvölker ſtehend, doch dem der <hi rendition="#g">Ruſſen</hi> und der von<lb/> dieſen protegirten Stämme des türkiſchen Reichs vollkommen gleich iſt<lb/> — das genirt einen Giradin nicht, und genirt auch den gedankenloſen<lb/> Haufen nicht, der blind auf die Türken ſchimpft, weil ſie Türken ſind.</p><lb/> <p>„Die Schande Europas‟, das ſind nicht die <hi rendition="#g">Türken</hi>.</p><lb/> <p>„Die Schande Europas‟ iſt, daß „es <hi rendition="#g">kein Europa mehr giebt</hi>‟,<lb/> wie ein ausländiſcher Diplomat ſich neulich ausgedrückt haben ſoll.<lb/> „<hi rendition="#aq">ll n’y a plus d’Europe</hi> — <hi rendition="#g">es giebt kein Europa mehr</hi>. Früher<lb/> gab es in Europa Staaten und ein Staatenſyſtem. Jetzt giebt es nur<lb/><hi rendition="#g">einen</hi> Staat, nur <hi rendition="#g">eine</hi> Macht — <hi rendition="#g">Rußland</hi>.‟</p><lb/> <p>Ob wahr oder erfunden, das Wort iſt richtig: es giebt kein Europa<lb/> mehr, es giebt nur noch ein Rußland — eine halbbarbariſche Macht,<lb/> die ſich gerade ſo viel Civiliſation angeeignet hat, um ihre barbariſchen<lb/> Ziele mit dem Raffinement der Civiliſation verfolgen zu können. Der<lb/> brutalſte Raubſtaat, den die Geſchichte kennt, der einzige, welcher der<lb/> langen, ununterbrochenen Reihe von an der Menſchheit begangenen Ver-<lb/> brechen keinen der Menſchheit erzeigten Dienſt mildernd an die Seite<lb/> ſtellen kann, dieſer räuberiſchſte, grauſamſte, heuchleriſchſte aller Raub-<lb/> ſtaaten darf es wagen, ſich als Vertreter der Menſchheit und der<lb/> Menſchlichkeit aufzuſpielen, und, die Hände noch rauchend von dem Blute<lb/> des gemordeten Polen, Krokodilsthränen zu vergießen über die „Türken-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [[7]/0011]
Die Schande Europas.
(„Vorwärts‟ vom 10. Oktober 1876.)
Unter dieſem Titel hat die politiſche Wetterfahne, Emile von
Girardin in Paris, ſoeben eine Broſchüre veröffentlicht, in welcher die
Girardin’ſche Anſicht über die orientaliſche Frage ausgeſprochen und die
Girardin’ſche Löſung empfohlen wird. „Die Schande Europas‟ iſt,
daß die Türken in Europa ſind; die „Schande‟ kann nur dadurch ge-
tilgt werden, daß man die Türken aus Europa jagt — und Rußland
freie Hand läßt. Daß die Türken der angegriffene Theil ſind, daß alle
Vorwürfe, die man ihnen macht, mit demſelben, ja theilweiſe mit größerem
Recht gegen diejenigen Mächte gerichtet werden können, welche die Vor-
würfe machen; daß der Beſitztitel aller Völker genau denſelben Werth
hat wie der türkiſche; daß den Türken die Cultur fähigkeit abſprechen
ein Unſinn iſt, und daß ihr Cultur ſtand, wenn auch unter dem der
entwickeltſten Culturvölker ſtehend, doch dem der Ruſſen und der von
dieſen protegirten Stämme des türkiſchen Reichs vollkommen gleich iſt
— das genirt einen Giradin nicht, und genirt auch den gedankenloſen
Haufen nicht, der blind auf die Türken ſchimpft, weil ſie Türken ſind.
„Die Schande Europas‟, das ſind nicht die Türken.
„Die Schande Europas‟ iſt, daß „es kein Europa mehr giebt‟,
wie ein ausländiſcher Diplomat ſich neulich ausgedrückt haben ſoll.
„ll n’y a plus d’Europe — es giebt kein Europa mehr. Früher
gab es in Europa Staaten und ein Staatenſyſtem. Jetzt giebt es nur
einen Staat, nur eine Macht — Rußland.‟
Ob wahr oder erfunden, das Wort iſt richtig: es giebt kein Europa
mehr, es giebt nur noch ein Rußland — eine halbbarbariſche Macht,
die ſich gerade ſo viel Civiliſation angeeignet hat, um ihre barbariſchen
Ziele mit dem Raffinement der Civiliſation verfolgen zu können. Der
brutalſte Raubſtaat, den die Geſchichte kennt, der einzige, welcher der
langen, ununterbrochenen Reihe von an der Menſchheit begangenen Ver-
brechen keinen der Menſchheit erzeigten Dienſt mildernd an die Seite
ſtellen kann, dieſer räuberiſchſte, grauſamſte, heuchleriſchſte aller Raub-
ſtaaten darf es wagen, ſich als Vertreter der Menſchheit und der
Menſchlichkeit aufzuſpielen, und, die Hände noch rauchend von dem Blute
des gemordeten Polen, Krokodilsthränen zu vergießen über die „Türken-
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