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[Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Erster Theil. Halle, 1747.

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Geschichte des dritten Bischof Alberts, neuntes Jahr,
1206fragte er: Wo ist der Haufe der Christen? Geh, sagte er, melde den Christen,
welche vor zwey Jahren meine aus Esthland zurückgehende Armee gleichsam
im Schlafe niedergehauen, sie sollen mich und alle meine Leute nun wachend fin-
den. Wie die Christen das hörten, eilten sie zum Streite des HErrn, setzten
den Feinden mit frühem Morgen nach, passirten ungefähr um drey Uhr bey Asche-
rade
die Düne, und fanden sie da vor sich. Die Heiden, welche sahen, daß
diese nachkämen, erschracken über gewisse Umstände und erhuben ein starkes Ge-
schrey. Sie riefen auch die ihrigen zusammen und rückten den Christen entgegen.
Die Christen entsatzten sich vor diesem Gebölke und ihrer Macht gar nicht, son-
dern verliessen sich auf GOtt,*) brachen auch mit empor gehaltnen Fahnen in sie ein,
hieben hier und da nieder, und machten das Gefechte auf beyden Theilen immer
hitziger. Die Litthauer, die fast geschwinder und grausamer sind als andre
Völker, und vorher sich verlauten lassen, sie wären jetzo am besten wachend um
sich zu schlagen, zeigten endlich nach einer langen und tapfern Gegenwehr den
Rücken; und wie sie zum Gefechte gewandt waren, so wurden sie noch weit schnel-
ler zur Flucht. Einige flohen nach den Wäldern, andere nach dem Wege, und
liessen Gefangene und Beute im Stiche. Die Christen verfolgten sie den ganzen
Tag, und tödteten ihrer viele; die übrigen entkamen mit der Flucht. Darauf
wandten sie sich zur Beute, und nahmen den Weibern und Kindern der Neubekehr-
ten nebst allen Gefangenen die Ketten ab. Es kamen auch alle Neubekehrte,
Liven so wol als Letten, samt den Deutschen zusammen, dankten GOtt für
das verlorne und wiedergefundene Schaf, oder für die Schafe, die aus der Wölfe
Rachen entrissen waren, theilten die Beute unter sich, und schickten alle erledigte
Gefangene an ihre Freunde zurück.

d) Für venientes, möchte ich lesen, inuenientes. [Scheint doch wol auch venientes bey-
behalten werden zu können.
e) Dieser Strik komt wieder beym Jahre 1213 n. 7 vor.
f) Ostium**) pflegen die Mönche gern mit einem h. zu schreiben.
g) Siehe die Geschichte Meinhards n. 4.
§. 6.

Nachdem der HErr seine Kirche von dem Ueberfal der Heiden befreyet, so
besorgte der Bischof, sie möchten nach seiner Abreise ein gleiches thun, und Lief-
land
aller Orten verwüsten; daher gedachte er die Burg der Selen h) zu schlei-
fen, welche ihnen allezeit bey ihrem Aus- und Einzuge zur Zuflucht diente, und
fertigte durch ganz Liefland und Lethgallien Boten ab, zum Feldzuge die auf-
zubieten, welche sich schon zum Christlichen Glauben geschlagen hatten. Wie
nun eine grosse Armee beysammen war, schickte der Bischof den Abt Dietrich und
den Präpositus Engelbert mit seiner ganzen Hofstatt und mit den Pilgern, nebst
den Brüdern der Ritterschaft Christi aus, die Selen anzugreifen. Diese schlu-
gen sich nach Ascherad, gingen über die Düne, und fanden die Körper der vor-
her erschlagenen Litthauer noch unbegraben, die sie auf dem Wege zertraten, in
guter Ordnung weiter gingen, und vor die Burg der Selen kamen. Sie schlos-
sen die Burg auf allen Ecken ein, verwundeten viele auf den Werken mit Pfeilen,
viele auf den Dörfern nahmen sie gefangen, viele machten sie nieder, trugen Holz
zusammen, und zündeten ein starkes Feuer an. Sie liessen den Selen keine Ru-
he Tag und Nacht, und jagten ihnen manches Schrecken ein. Daher riefen diese
die Aeltesten von der Armee heimlich zu sich und hielten um Friede an. Diese aber
sprachen: Wenn ihr den wahren Frieden begehret, so entsaget der Abgötterey, und
nehmt den wahren Friedensstifter, der Christus ist, in euer Schloß auf, lasset
euch taufen und weiset ein andermal die Litthauer, als Feinde des christlichen Na-
mens, vor eurer Burg weg. Dieses Friedensformular stand ihnen an; sie hän-

digten
*) [Jm Lateinischen stehet, et ideo confidentes. Vielleicht hat ein Manuscript gehabt, et in deo confi-
dentes,
welches allerdings richtiger ist.
**) Beyde Manuscripte lesen hier hostiam, wiewol das Rigische dieses Wort geändert zu haben scheinet;
habe daher die Grubersche Leseart beybehalten.

Geſchichte des dritten Biſchof Alberts, neuntes Jahr,
1206fragte er: Wo iſt der Haufe der Chriſten? Geh, ſagte er, melde den Chriſten,
welche vor zwey Jahren meine aus Eſthland zuruͤckgehende Armee gleichſam
im Schlafe niedergehauen, ſie ſollen mich und alle meine Leute nun wachend fin-
den. Wie die Chriſten das hoͤrten, eilten ſie zum Streite des HErrn, ſetzten
den Feinden mit fruͤhem Morgen nach, paſſirten ungefaͤhr um drey Uhr bey Aſche-
rade
die Duͤne, und fanden ſie da vor ſich. Die Heiden, welche ſahen, daß
dieſe nachkaͤmen, erſchracken uͤber gewiſſe Umſtaͤnde und erhuben ein ſtarkes Ge-
ſchrey. Sie riefen auch die ihrigen zuſammen und ruͤckten den Chriſten entgegen.
Die Chriſten entſatzten ſich vor dieſem Geboͤlke und ihrer Macht gar nicht, ſon-
dern verlieſſen ſich auf GOtt,*) brachen auch mit empor gehaltnen Fahnen in ſie ein,
hieben hier und da nieder, und machten das Gefechte auf beyden Theilen immer
hitziger. Die Litthauer, die faſt geſchwinder und grauſamer ſind als andre
Voͤlker, und vorher ſich verlauten laſſen, ſie waͤren jetzo am beſten wachend um
ſich zu ſchlagen, zeigten endlich nach einer langen und tapfern Gegenwehr den
Ruͤcken; und wie ſie zum Gefechte gewandt waren, ſo wurden ſie noch weit ſchnel-
ler zur Flucht. Einige flohen nach den Waͤldern, andere nach dem Wege, und
lieſſen Gefangene und Beute im Stiche. Die Chriſten verfolgten ſie den ganzen
Tag, und toͤdteten ihrer viele; die uͤbrigen entkamen mit der Flucht. Darauf
wandten ſie ſich zur Beute, und nahmen den Weibern und Kindern der Neubekehr-
ten nebſt allen Gefangenen die Ketten ab. Es kamen auch alle Neubekehrte,
Liven ſo wol als Letten, ſamt den Deutſchen zuſammen, dankten GOtt fuͤr
das verlorne und wiedergefundene Schaf, oder fuͤr die Schafe, die aus der Woͤlfe
Rachen entriſſen waren, theilten die Beute unter ſich, und ſchickten alle erledigte
Gefangene an ihre Freunde zuruͤck.

d) Fuͤr venientes, moͤchte ich leſen, inuenientes. [Scheint doch wol auch venientes bey-
behalten werden zu koͤnnen.
e) Dieſer Strik komt wieder beym Jahre 1213 n. 7 vor.
f) Oſtium**) pflegen die Moͤnche gern mit einem h. zu ſchreiben.
g) Siehe die Geſchichte Meinhards n. 4.
§. 6.

Nachdem der HErr ſeine Kirche von dem Ueberfal der Heiden befreyet, ſo
beſorgte der Biſchof, ſie moͤchten nach ſeiner Abreiſe ein gleiches thun, und Lief-
land
aller Orten verwuͤſten; daher gedachte er die Burg der Selen h) zu ſchlei-
fen, welche ihnen allezeit bey ihrem Aus- und Einzuge zur Zuflucht diente, und
fertigte durch ganz Liefland und Lethgallien Boten ab, zum Feldzuge die auf-
zubieten, welche ſich ſchon zum Chriſtlichen Glauben geſchlagen hatten. Wie
nun eine groſſe Armee beyſammen war, ſchickte der Biſchof den Abt Dietrich und
den Praͤpoſitus Engelbert mit ſeiner ganzen Hofſtatt und mit den Pilgern, nebſt
den Bruͤdern der Ritterſchaft Chriſti aus, die Selen anzugreifen. Dieſe ſchlu-
gen ſich nach Aſcherad, gingen uͤber die Duͤne, und fanden die Koͤrper der vor-
her erſchlagenen Litthauer noch unbegraben, die ſie auf dem Wege zertraten, in
guter Ordnung weiter gingen, und vor die Burg der Selen kamen. Sie ſchloſ-
ſen die Burg auf allen Ecken ein, verwundeten viele auf den Werken mit Pfeilen,
viele auf den Doͤrfern nahmen ſie gefangen, viele machten ſie nieder, trugen Holz
zuſammen, und zuͤndeten ein ſtarkes Feuer an. Sie lieſſen den Selen keine Ru-
he Tag und Nacht, und jagten ihnen manches Schrecken ein. Daher riefen dieſe
die Aelteſten von der Armee heimlich zu ſich und hielten um Friede an. Dieſe aber
ſprachen: Wenn ihr den wahren Frieden begehret, ſo entſaget der Abgoͤtterey, und
nehmt den wahren Friedensſtifter, der Chriſtus iſt, in euer Schloß auf, laſſet
euch taufen und weiſet ein andermal die Litthauer, als Feinde des chriſtlichen Na-
mens, vor eurer Burg weg. Dieſes Friedensformular ſtand ihnen an; ſie haͤn-

digten
*) [Jm Lateiniſchen ſtehet, et ideo confidentes. Vielleicht hat ein Manuſcript gehabt, et in deo confi-
dentes,
welches allerdings richtiger iſt.
**) Beyde Manuſcripte leſen hier hoſtiam, wiewol das Rigiſche dieſes Wort geaͤndert zu haben ſcheinet;
habe daher die Gruberſche Leſeart beybehalten.
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[62/0094] Geſchichte des dritten Biſchof Alberts, neuntes Jahr, fragte er: Wo iſt der Haufe der Chriſten? Geh, ſagte er, melde den Chriſten, welche vor zwey Jahren meine aus Eſthland zuruͤckgehende Armee gleichſam im Schlafe niedergehauen, ſie ſollen mich und alle meine Leute nun wachend fin- den. Wie die Chriſten das hoͤrten, eilten ſie zum Streite des HErrn, ſetzten den Feinden mit fruͤhem Morgen nach, paſſirten ungefaͤhr um drey Uhr bey Aſche- rade die Duͤne, und fanden ſie da vor ſich. Die Heiden, welche ſahen, daß dieſe nachkaͤmen, erſchracken uͤber gewiſſe Umſtaͤnde und erhuben ein ſtarkes Ge- ſchrey. Sie riefen auch die ihrigen zuſammen und ruͤckten den Chriſten entgegen. Die Chriſten entſatzten ſich vor dieſem Geboͤlke und ihrer Macht gar nicht, ſon- dern verlieſſen ſich auf GOtt, *) brachen auch mit empor gehaltnen Fahnen in ſie ein, hieben hier und da nieder, und machten das Gefechte auf beyden Theilen immer hitziger. Die Litthauer, die faſt geſchwinder und grauſamer ſind als andre Voͤlker, und vorher ſich verlauten laſſen, ſie waͤren jetzo am beſten wachend um ſich zu ſchlagen, zeigten endlich nach einer langen und tapfern Gegenwehr den Ruͤcken; und wie ſie zum Gefechte gewandt waren, ſo wurden ſie noch weit ſchnel- ler zur Flucht. Einige flohen nach den Waͤldern, andere nach dem Wege, und lieſſen Gefangene und Beute im Stiche. Die Chriſten verfolgten ſie den ganzen Tag, und toͤdteten ihrer viele; die uͤbrigen entkamen mit der Flucht. Darauf wandten ſie ſich zur Beute, und nahmen den Weibern und Kindern der Neubekehr- ten nebſt allen Gefangenen die Ketten ab. Es kamen auch alle Neubekehrte, Liven ſo wol als Letten, ſamt den Deutſchen zuſammen, dankten GOtt fuͤr das verlorne und wiedergefundene Schaf, oder fuͤr die Schafe, die aus der Woͤlfe Rachen entriſſen waren, theilten die Beute unter ſich, und ſchickten alle erledigte Gefangene an ihre Freunde zuruͤck. 1206 d⁾ Fuͤr venientes, moͤchte ich leſen, inuenientes. [Scheint doch wol auch venientes bey- behalten werden zu koͤnnen. e⁾ Dieſer Strik komt wieder beym Jahre 1213 n. 7 vor. f⁾ Oſtium **) pflegen die Moͤnche gern mit einem h. zu ſchreiben. g⁾ Siehe die Geſchichte Meinhards n. 4. §. 6. Nachdem der HErr ſeine Kirche von dem Ueberfal der Heiden befreyet, ſo beſorgte der Biſchof, ſie moͤchten nach ſeiner Abreiſe ein gleiches thun, und Lief- land aller Orten verwuͤſten; daher gedachte er die Burg der Selen h⁾ zu ſchlei- fen, welche ihnen allezeit bey ihrem Aus- und Einzuge zur Zuflucht diente, und fertigte durch ganz Liefland und Lethgallien Boten ab, zum Feldzuge die auf- zubieten, welche ſich ſchon zum Chriſtlichen Glauben geſchlagen hatten. Wie nun eine groſſe Armee beyſammen war, ſchickte der Biſchof den Abt Dietrich und den Praͤpoſitus Engelbert mit ſeiner ganzen Hofſtatt und mit den Pilgern, nebſt den Bruͤdern der Ritterſchaft Chriſti aus, die Selen anzugreifen. Dieſe ſchlu- gen ſich nach Aſcherad, gingen uͤber die Duͤne, und fanden die Koͤrper der vor- her erſchlagenen Litthauer noch unbegraben, die ſie auf dem Wege zertraten, in guter Ordnung weiter gingen, und vor die Burg der Selen kamen. Sie ſchloſ- ſen die Burg auf allen Ecken ein, verwundeten viele auf den Werken mit Pfeilen, viele auf den Doͤrfern nahmen ſie gefangen, viele machten ſie nieder, trugen Holz zuſammen, und zuͤndeten ein ſtarkes Feuer an. Sie lieſſen den Selen keine Ru- he Tag und Nacht, und jagten ihnen manches Schrecken ein. Daher riefen dieſe die Aelteſten von der Armee heimlich zu ſich und hielten um Friede an. Dieſe aber ſprachen: Wenn ihr den wahren Frieden begehret, ſo entſaget der Abgoͤtterey, und nehmt den wahren Friedensſtifter, der Chriſtus iſt, in euer Schloß auf, laſſet euch taufen und weiſet ein andermal die Litthauer, als Feinde des chriſtlichen Na- mens, vor eurer Burg weg. Dieſes Friedensformular ſtand ihnen an; ſie haͤn- digten *) [Jm Lateiniſchen ſtehet, et ideo confidentes. Vielleicht hat ein Manuſcript gehabt, et in deo confi- dentes, welches allerdings richtiger iſt. **) Beyde Manuſcripte leſen hier hoſtiam, wiewol das Rigiſche dieſes Wort geaͤndert zu haben ſcheinet; habe daher die Gruberſche Leſeart beybehalten.

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Zitationshilfe: [Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Erster Theil. Halle, 1747, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lettus_chronik01_1747/94>, abgerufen am 21.11.2024.