[Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Erster Theil. Halle, 1747.von 1205 bis 1206. durch angebotene Geschenke nicht bewogen werden, den Deutschen mit jenen ein1205Unglück zuzubereiten. a) Der Wogastrom fliesset aus dem innern Theil von Liefland herunter in die Düne, und fält zwischen Yxkul und Lenewarden in dieselbe. b) Jch finde, daß Gall oder Kall im Esthnischen eine Lage an der Seite bedeute. Daher glaube ich, die, so die Düne befahren, haben das Land, so sich an der westli- chen Seite des Stroms in die Länge hinziehet, Semgal genant, welches einige für das Ende des Landes erklären. Denn Sem heist Land. Also scheinen auch die Letten als Bewohner des innern Theils von Liefland Lettgallen genennet zu werden; weil ihre Wohnplätze längst dem Ledastrom sich erstrecken, der in den Liefländischen Meerbusen sich ergiesset. Das sage ich aber doch nicht ohne Beysorge zu verstossen, und bin willig gerne denen nachzugeben, welche dieser Oerter kundiger sind. §. 4. Der Herr Bischof, der von des Königs Gesandten zu diesem Gespräch mit §. 5. Als die Deutschen die Arglist der Liven in Erwegung zogen, bedankten sie c) Hier *) Für inquam list das Revelsche Manuscript namque. **) Für Kyranus list das Revelsche Manuscript Hircanus. M 2
von 1205 bis 1206. durch angebotene Geſchenke nicht bewogen werden, den Deutſchen mit jenen ein1205Ungluͤck zuzubereiten. a) Der Wogaſtrom flieſſet aus dem innern Theil von Liefland herunter in die Duͤne, und faͤlt zwiſchen Yxkul und Lenewarden in dieſelbe. b) Jch finde, daß Gall oder Kall im Eſthniſchen eine Lage an der Seite bedeute. Daher glaube ich, die, ſo die Duͤne befahren, haben das Land, ſo ſich an der weſtli- chen Seite des Stroms in die Laͤnge hinziehet, Semgal genant, welches einige fuͤr das Ende des Landes erklaͤren. Denn Sem heiſt Land. Alſo ſcheinen auch die Letten als Bewohner des innern Theils von Liefland Lettgallen genennet zu werden; weil ihre Wohnplaͤtze laͤngſt dem Ledaſtrom ſich erſtrecken, der in den Lieflaͤndiſchen Meerbuſen ſich ergieſſet. Das ſage ich aber doch nicht ohne Beyſorge zu verſtoſſen, und bin willig gerne denen nachzugeben, welche dieſer Oerter kundiger ſind. §. 4. Der Herr Biſchof, der von des Koͤnigs Geſandten zu dieſem Geſpraͤch mit §. 5. Als die Deutſchen die Argliſt der Liven in Erwegung zogen, bedankten ſie c) Hier *) Fuͤr inquam liſt das Revelſche Manuſcript namque. **) Fuͤr Kyranus liſt das Revelſche Manuſcript Hircanus. M 2
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von 1205 bis 1206.
durch angebotene Geſchenke nicht bewogen werden, den Deutſchen mit jenen ein
Ungluͤck zuzubereiten.
1205
a⁾ Der Wogaſtrom flieſſet aus dem innern Theil von Liefland herunter in die Duͤne,
und faͤlt zwiſchen Yxkul und Lenewarden in dieſelbe.
b⁾ Jch finde, daß Gall oder Kall im Eſthniſchen eine Lage an der Seite bedeute.
Daher glaube ich, die, ſo die Duͤne befahren, haben das Land, ſo ſich an der weſtli-
chen Seite des Stroms in die Laͤnge hinziehet, Semgal genant, welches einige fuͤr
das Ende des Landes erklaͤren. Denn Sem heiſt Land. Alſo ſcheinen auch die Letten
als Bewohner des innern Theils von Liefland Lettgallen genennet zu werden; weil
ihre Wohnplaͤtze laͤngſt dem Ledaſtrom ſich erſtrecken, der in den Lieflaͤndiſchen
Meerbuſen ſich ergieſſet. Das ſage ich aber doch nicht ohne Beyſorge zu verſtoſſen,
und bin willig gerne denen nachzugeben, welche dieſer Oerter kundiger ſind.
§. 4.
Der Herr Biſchof, der von des Koͤnigs Geſandten zu dieſem Geſpraͤch mit
eingeladen war, ertheilte auf Rath ſeiner Leute an gemeldeten Stephanus dieſe
Antwort: Es iſt bekant, ſprach er, daß es eine durchgaͤngige Gewohnheit aller
Laͤnder iſt, daß Geſandte, welche ihr Principal beſtimmet, zu dem hingehen, oder
ihn aufſuchen, an wen ſie geſchickt werden. Ein Fuͤrſte aber, ſo demuͤthig und
leutſelig er auch iſt, gehet niemals aus ſeiner Feſtung den Geſandten entgegen.
Denn es geziemet, fuhr er fort *), ſolchen und ſolcher Herren Abgeordneten, uns in
unſrer Stadt zu finden, wo ſie von uns ſo wol als den unſrigen koͤnnen anſtaͤndi-
ger empfangen und bequemer bedienet werden. Sie moͤchten alſo nur kommen
und fuͤr nichts bange ſeyn, ſie ſolten ſtandesgemaͤs bewirthet werden. Als der
beſtimte Tag kam, erſchienen die Liven zum Geſpraͤche an dem Wogenefluß im
Gewehr. Auch die Aelteſten vom Schloß Holme, die Stifter des ganzen Un-
gluͤcks, fuhren zu ihnen hinauf zu Schiffe, landeten bey dem Schloß Ykeskole
an, und riefen dieſe auch mit ſich.
§. 5.
Als die Deutſchen die Argliſt der Liven in Erwegung zogen, bedankten ſie
ſich gleich und wolten nicht hinauf. Jene aber blieben auf ihrem Sinn und beſpra-
chen ſich mit ihren Landsleuten, die Chriſten aus dem Lande zu ſchaffen. Jndeſ-
ſen baten zwey von den Neubekehrten in Ykeskola, Kyran **) und Layan, den
Commendanten Conrad inſtaͤndigſt, er moͤchte ihnen doch verſtatten der Liven
Verſamlung mit beyzuwohnen, damit ſie ihre Hartnaͤckigkeit wiſſen, und melden koͤn-
ten, was jene vor Anſchlaͤge gegen die Glaͤubigen Chriſti unternehmen. Sie hat-
ten Herz genug, zu dem fuͤrchterlichen Heer der Feinde hinzugehen, indem ſie ſich
auf ihre zahlreichen Verwandten und Freunde darunter ſteiften. Conrad hielt
dieſes fuͤr hoͤchſt thoͤricht, und rieth ihnen, wegen Menge und Bosheit der Liven es
bleiben zu laſſen. Doch ließ er ſich auf ihr anhaltend Flehen bewegen, und gab
ihnen Urlaub. So bald ſie in die Verſamlung traten, wurden ſie von den Landes-
aͤlteſten beym Leibe genommen, und man wolte ſie zwingen, den Glauben an Chri-
ſtum abzulegen und von den Deutſchen ſich los zu ſagen. Doch dieſe waren
beſtaͤndig in der Liebe GOttes, und bekanten, daß ſie den angenommenen Glauben
von ganzem Herzen lieb haͤtten; bezeugten daneben, daß keine Arten der Marter
vermoͤgend waͤren, ſie von der Liebe und Gemeinſchaft der Chriſten zu trennen
und loszureiſſen. Daher wurden ſo gar ihre Anverwandten ſo grimmig erbittert,
daß nun ihr jetziger Haß ſtaͤrker war, als die vorige Liebe. Hierauf wurden ihnen,
auf einmuͤthigen Ausſpruch der Liven, Stricke an die Fuͤſſe gebunden, und ſie mitten
durch die Verſamlung geſchleifet; da man ſie denn erbaͤrmlich quaͤlte
c⁾
, das Einge-
weide heraus riß, und Beine und Arme aus einander renkete. Wir haben keinen
Zweifel daran, daß ſie mit den heiligen Maͤrtyrern fuͤr ihr ſo wichtiges Marterthum
das ewige Leben werden empfangen haben.
c) Hier
*) Fuͤr inquam liſt das Revelſche Manuſcript namque.
**) Fuͤr Kyranus liſt das Revelſche Manuſcript Hircanus.
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