[Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Erster Theil. Halle, 1747.Geschichte des dritten Bischof Alberts, sechs und zwanzigstes Jahr, §. 4. 1223Also war die Esthländische Kirche vielen Kriegsunruhen unterworfen, §. 5. Damit nun die Kirche in Liefland ihre Tochter die Esthländische Kirche, stürmung
Geſchichte des dritten Biſchof Alberts, ſechs und zwanzigſtes Jahr, §. 4. 1223Alſo war die Eſthlaͤndiſche Kirche vielen Kriegsunruhen unterworfen, §. 5. Damit nun die Kirche in Liefland ihre Tochter die Eſthlaͤndiſche Kirche, ſtuͤrmung
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Von ſolchen Beaͤngſtigungen des Krieges konte nun ob-<lb/> erwehnte Kirche, die noch ganz klein und ſchwach war auf keinerley Art frey wer-<lb/> den, als durch die Kirche von <hi rendition="#fr">Liefland.</hi> Dieſe war ihre rechte und erſte Mutter<lb/> allezeit durch die Wehen der Eroberung, und weil ſie ſelbige durchs Bad der Wie-<lb/> dergeburt <hi rendition="#fr">JEſu Chriſti</hi> geboren hatte; obgleich viele Muͤtter ſich dieſe Tochter<lb/> faͤlſchlich angemaſſet, und mit luͤgenhaftem Vorgeben allezeit an ſich gezogen; da-<lb/> von die eine Mutter der <hi rendition="#fr">Ruſſen</hi> ohne Kinder und unfruchtbar war, weil ſie nicht<lb/> aus Hofnung der Wiedergeburt im Glauben an den HErrn <hi rendition="#fr">JEſum Chriſtum,</hi><lb/> ſondern aus Hofnung des <hi rendition="#fr">Tributs</hi> und der Beute ſich Laͤnder zu unterwerfen<lb/> trachtete.</p> </div><lb/> <div n="4"> <head>§. 5.</head><lb/> <p>Damit nun die Kirche in <hi rendition="#fr">Liefland</hi> ihre Tochter die <hi rendition="#fr">Eſthlaͤndiſche</hi> Kirche,<lb/> welche ſie <hi rendition="#fr">JEſu Chriſto</hi> geboren hatte, von den gegenwaͤrtigen Drangſalen er-<lb/> loͤſen moͤchte; ſo ſchickte der Hochwuͤrdige Biſchof von <hi rendition="#fr">Riga</hi> hin, und ließ die Or-<lb/> densbruͤder wie auch die Maͤnner der Kirche mit den Pilgern, Kaufleuten und <hi rendition="#fr">Ri-<lb/> giſchen</hi> Buͤrgern, auch allen <hi rendition="#fr">Liven</hi> und <hi rendition="#fr">Letten</hi> zuſammen kommen, und kuͤn-<lb/> digte allen, die der Kirche in <hi rendition="#fr">Liefland</hi> angehoͤrten, den Feldzug an. 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Geſchichte des dritten Biſchof Alberts, ſechs und zwanzigſtes Jahr,
§. 4.
Alſo war die Eſthlaͤndiſche Kirche vielen Kriegsunruhen unterworfen,
die wie ein gebaͤrend Weib war, ſo Traurigkeit und groſſen Schmerz hat, bis ſie
geboren hat, und deren Geburt der Drache verfolget, nemlich derjenige Behemoth,
der den Fluß verſchlang und noch Hofnung hatte, daß gar der Jordan in ſeinen
Rachen ſtuͤrzen wuͤrde. Von ſolchen Beaͤngſtigungen des Krieges konte nun ob-
erwehnte Kirche, die noch ganz klein und ſchwach war auf keinerley Art frey wer-
den, als durch die Kirche von Liefland. Dieſe war ihre rechte und erſte Mutter
allezeit durch die Wehen der Eroberung, und weil ſie ſelbige durchs Bad der Wie-
dergeburt JEſu Chriſti geboren hatte; obgleich viele Muͤtter ſich dieſe Tochter
faͤlſchlich angemaſſet, und mit luͤgenhaftem Vorgeben allezeit an ſich gezogen; da-
von die eine Mutter der Ruſſen ohne Kinder und unfruchtbar war, weil ſie nicht
aus Hofnung der Wiedergeburt im Glauben an den HErrn JEſum Chriſtum,
ſondern aus Hofnung des Tributs und der Beute ſich Laͤnder zu unterwerfen
trachtete.
§. 5.
Damit nun die Kirche in Liefland ihre Tochter die Eſthlaͤndiſche Kirche,
welche ſie JEſu Chriſto geboren hatte, von den gegenwaͤrtigen Drangſalen er-
loͤſen moͤchte; ſo ſchickte der Hochwuͤrdige Biſchof von Riga hin, und ließ die Or-
densbruͤder wie auch die Maͤnner der Kirche mit den Pilgern, Kaufleuten und Ri-
giſchen Buͤrgern, auch allen Liven und Letten zuſammen kommen, und kuͤn-
digte allen, die der Kirche in Liefland angehoͤrten, den Feldzug an. Alle wa-
ren treulich gehorſam, verſamleten ſich mit ihrer Armee bey der See Aſtigerwe,
und riefen vorerwehnten Hochwuͤrdigen Biſchof von Riga mit ſich, ſamt ſeinem
nicht weniger Hochwuͤrdigen Bruder, dem Biſchof Hermann, wie auch mit allen
ſeinen Maͤnnern, Prieſtern und Rittern. Nach daſelbſt genommenen Unterredun-
gen und nach verrichteter Andacht ſandte man die beſten und ſtaͤrkſten von der Armee
voraus, daß ſie durch Ungannien Tag und Nacht fort marſchirten, und den fol-
genden Morgen das Schloß Tarbat zum voraus erreichen moͤchten. Dieſe theil-
ten ihr Heer wieder und beorderten einige, das Schloß anzugreifen; die andern
ſchickten ſie nach Wierland die noch bisherigen Rebellen auszupluͤndern; dieſe
brachten auch nach drey Tagen Schafe und Ochſen und andere Nothwendigkeiten
zur Armee in Ueberfluß herbey. Die Biſchoͤfe aber, die ſamt den Pilgern und dem
ganzen Haufen nachfolgten, ruͤckten am Mariaͤ Himmelfarths Tage vors Schloß;
weil ein Jahr vorher am ſelbigen Tage Viliende eingenommen worden. Sie
ſchlugen das Feld vol Zelter; ſtritten wider die im Schloſſe, verfertigten ſich da-
bey kleine Geruͤſte und Patherellen; machten vor ſich viel Kriegsmaſchinen zu rechte;
und fuͤhrten ein Sturmdach oder einen ſehr ſtarken hoͤlzernen Thurm auf, den ſie
aus den groͤſten und hoͤchſten Baͤumen recht kuͤnſtlich und mit dem Schloſſe gleich
hoch gezimmert hatten. Sie brachten ihn naͤher an den Wal, und fingen gleich
an darunter die Erde zu untergraben. Die Helfte der Armee ward befehliget,
Tag und Nacht zu miniren, die uͤbrigen muſten die nachgefallene Erde wegſchaffen.
Hierdurch ſank Morgens fruͤh ein groſſer Theil des Gegrabenen am Walle ein,
worauf ſie das Sturmdach naͤher ans Schloß ſchoben. Jnzwiſchen fertigten ſie
auch Prieſter und Ritter, die lauter ehrbare Maͤnner waren zu dem Koͤnig ab, ver-
ſprachen ihm dabey freyen Abzug, er ſolle mit Mann und Pferd und allen ſeinen
Sachen abziehen, wenn er nur aus dem Schloſſe gehen, und dieſes abtruͤnnige Volk
verlaſſen wolle. Allein der Koͤnig, der von den Nogardern Entſatz hofte, ſtand
recht hartnaͤckig darauf, das Schloß keinesweges ſo ſtehen zu laſſen. Unterdeſſen
kamen die Ruſſen, und pluͤnderten in der Provinz. Jn den Zelten ward lerm,
und gleich machten die Deutſchen ſich fertig, um ihnen entgegen zuruͤcken. Da-
her begaben ſie ſich aufs freye Feld, und lieſſen die andern beym Schloſſe zur Be-
lagerung. Wie aber keine Ruſſen kommen wolten, ſchritten ſie wieder zur Be-
ſtuͤrmung
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