Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759.XIV. Die Gans. Die Federn einer Gans beschämten den neuge- XV. Die
XIV. Die Gans. Die Federn einer Gans beſchämten den neuge- XV. Die
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XIV.
Die Gans.
Die Federn einer Gans beſchämten den neuge-
bohrnen Schnee. Stolz auf dieſes blendende Ge-
ſchenk der Natur, glaubte ſie eher zu einem Schwa-
ne, als zu dem was ſie war, gebohren zu ſeyn.
Sie ſonderte ſich von ihres gleichen ab, und
ſchwamm einſam und majeſtätiſch auf dem Teiche
herum. Bald dehnte ſie ihren Hals, deſſen ver-
rätheriſcher Kürze ſie mit aller Macht abhelfen woll-
te. Bald ſuchte ſie ihm die prächtige Bügung zu
geben, in welcher der Schwan das würdigſte An-
ſehen eines Vogels des Apollo hat. Doch verge-
bens; er war zu ſteif, und mit aller ihrer Bemü-
hung brachte ſie es nicht weiter, als daß ſie eine
lächerliche Gans ward, ohne ein Schwan zu
werden.
XV. Die
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Zitationshilfe: | Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/38>, abgerufen am 04.03.2025. |