Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759.

Bild:
<< vorherige Seite
XXIV.
Die Schwalbe.

Glaubet mir, Freunde; die grosse Welt ist nicht
für den Weisen, ist nicht für den Dichter! Man
kennet da ihren wahren Werth nicht, und ach! sie
sind oft schwach genug, ihn mit einem nichtigen zu
vertauschen.

In den ersten Zeiten war die Schwalbe ein eben
so tonreicher, melodischer Vogel, als die Nachtigall.
Sie ward es aber bald müde, in den einsamen Bü-
schen zu wohnen, und da von niemand, als dem
fleissigen Landmanne und der unschuldigen Schäfe-
rinn gehöret und bewundert zu werden. Sie ver-
ließ ihre demüthigere Freundin, und zog in die
Stadt. -- Was geschah? Weil man in der Stadt
nicht Zeit hatte, ihr göttliches Lied zu hören, so
verlernte sie es nach und nach, und lernte dafür --
bauen.



XXV. Der
XXIV.
Die Schwalbe.

Glaubet mir, Freunde; die groſſe Welt iſt nicht
für den Weiſen, iſt nicht für den Dichter! Man
kennet da ihren wahren Werth nicht, und ach! ſie
ſind oft ſchwach genug, ihn mit einem nichtigen zu
vertauſchen.

In den erſten Zeiten war die Schwalbe ein eben
ſo tonreicher, melodiſcher Vogel, als die Nachtigall.
Sie ward es aber bald müde, in den einſamen Bü-
ſchen zu wohnen, und da von niemand, als dem
fleiſſigen Landmanne und der unſchuldigen Schäfe-
rinn gehöret und bewundert zu werden. Sie ver-
ließ ihre demüthigere Freundin, und zog in die
Stadt. — Was geſchah? Weil man in der Stadt
nicht Zeit hatte, ihr göttliches Lied zu hören, ſo
verlernte ſie es nach und nach, und lernte dafür —
bauen.



XXV. Der
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0124" n="104"/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#g"> <hi rendition="#aq">XXIV.</hi><lb/> <hi rendition="#b">Die</hi> <hi rendition="#fr">Schwalbe.</hi> </hi> </head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">G</hi>laubet mir, Freunde; die gro&#x017F;&#x017F;e Welt i&#x017F;t nicht<lb/>
für den Wei&#x017F;en, i&#x017F;t nicht für den Dichter! Man<lb/>
kennet da ihren wahren Werth nicht, und ach! &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ind oft &#x017F;chwach genug, ihn mit einem nichtigen zu<lb/>
vertau&#x017F;chen.</p><lb/>
          <p>In den er&#x017F;ten Zeiten war die Schwalbe ein eben<lb/>
&#x017F;o tonreicher, melodi&#x017F;cher Vogel, als die Nachtigall.<lb/>
Sie ward es aber bald müde, in den ein&#x017F;amen Bü-<lb/>
&#x017F;chen zu wohnen, und da von niemand, als dem<lb/>
flei&#x017F;&#x017F;igen Landmanne und der un&#x017F;chuldigen Schäfe-<lb/>
rinn gehöret und bewundert zu werden. Sie ver-<lb/>
ließ ihre demüthigere Freundin, und zog in die<lb/>
Stadt. &#x2014; Was ge&#x017F;chah? Weil man in der Stadt<lb/>
nicht Zeit hatte, ihr göttliches Lied zu hören, &#x017F;o<lb/>
verlernte &#x017F;ie es nach und nach, und lernte dafür &#x2014;<lb/>
bauen.</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#aq">XXV.</hi> Der</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[104/0124] XXIV. Die Schwalbe. Glaubet mir, Freunde; die groſſe Welt iſt nicht für den Weiſen, iſt nicht für den Dichter! Man kennet da ihren wahren Werth nicht, und ach! ſie ſind oft ſchwach genug, ihn mit einem nichtigen zu vertauſchen. In den erſten Zeiten war die Schwalbe ein eben ſo tonreicher, melodiſcher Vogel, als die Nachtigall. Sie ward es aber bald müde, in den einſamen Bü- ſchen zu wohnen, und da von niemand, als dem fleiſſigen Landmanne und der unſchuldigen Schäfe- rinn gehöret und bewundert zu werden. Sie ver- ließ ihre demüthigere Freundin, und zog in die Stadt. — Was geſchah? Weil man in der Stadt nicht Zeit hatte, ihr göttliches Lied zu hören, ſo verlernte ſie es nach und nach, und lernte dafür — bauen. XXV. Der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/124
Zitationshilfe: Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/124>, abgerufen am 21.12.2024.