Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759.

Bild:
<< vorherige Seite
XX.
(5)

Wäre ich nicht so alt! knirschte der Wolf. Aber
ich muß mich, leider, in die Zeit schicken. Und so
kam er zu dem fünften Schäfer.

Kennst du mich, Schäfer? fragte der Wolf.

Deines gleichen wenigstens kenne ich: versetzte
der Schäfer.

"Meines gleichen? Daran zweifle ich sehr. Ich
"bin ein so sonderbarer Wolf, daß ich deiner,
"und aller Schäfer Freundschaft wohl werth bin."

Und wie sonderbar bist du denn?

"Ich könnte kein lebendiges Schaf würgen und
"fressen, und wenn es mir das Leben kosten sollte.
"Ich nähre mich blos mit todten Schafen. Ist
"das nicht löblich? Erlaube mir also immer, daß
"ich mich dann und wann bey deiner Heerde einfin-
"den, und nachfragen darf, ob dir nicht --

Spare
G 2
XX.
(5)

Wäre ich nicht ſo alt! knirſchte der Wolf. Aber
ich muß mich, leider, in die Zeit ſchicken. Und ſo
kam er zu dem fünften Schäfer.

Kennſt du mich, Schäfer? fragte der Wolf.

Deines gleichen wenigſtens kenne ich: verſetzte
der Schäfer.

„Meines gleichen? Daran zweifle ich ſehr. Ich
„bin ein ſo ſonderbarer Wolf, daß ich deiner,
„und aller Schäfer Freundſchaft wohl werth bin.“

Und wie ſonderbar biſt du denn?

„Ich könnte kein lebendiges Schaf würgen und
„freſſen, und wenn es mir das Leben koſten ſollte.
„Ich nähre mich blos mit todten Schafen. Iſt
„das nicht löblich? Erlaube mir alſo immer, daß
„ich mich dann und wann bey deiner Heerde einfin-
„den, und nachfragen darf, ob dir nicht —

Spare
G 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0119" n="99"/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">XX</hi>.</hi><lb/>
(5)</head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">W</hi>äre ich nicht &#x017F;o alt! knir&#x017F;chte der Wolf. Aber<lb/>
ich muß mich, leider, in die Zeit &#x017F;chicken. Und &#x017F;o<lb/>
kam er zu dem fünften Schäfer.</p><lb/>
          <p>Kenn&#x017F;t du mich, Schäfer? fragte der Wolf.</p><lb/>
          <p>Deines gleichen wenig&#x017F;tens kenne ich: ver&#x017F;etzte<lb/>
der Schäfer.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Meines gleichen? Daran zweifle ich &#x017F;ehr. Ich<lb/>
&#x201E;bin ein &#x017F;o &#x017F;onderbarer Wolf, daß ich deiner,<lb/>
&#x201E;und aller Schäfer Freund&#x017F;chaft wohl werth bin.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Und wie &#x017F;onderbar bi&#x017F;t du denn?</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ich könnte kein lebendiges Schaf würgen und<lb/>
&#x201E;fre&#x017F;&#x017F;en, und wenn es mir das Leben ko&#x017F;ten &#x017F;ollte.<lb/>
&#x201E;Ich nähre mich blos mit todten Schafen. I&#x017F;t<lb/>
&#x201E;das nicht löblich? Erlaube mir al&#x017F;o immer, daß<lb/>
&#x201E;ich mich dann und wann bey deiner Heerde einfin-<lb/>
&#x201E;den, und nachfragen darf, ob dir nicht &#x2014;</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">G 2</fw>
          <fw place="bottom" type="catch">Spare</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[99/0119] XX. (5) Wäre ich nicht ſo alt! knirſchte der Wolf. Aber ich muß mich, leider, in die Zeit ſchicken. Und ſo kam er zu dem fünften Schäfer. Kennſt du mich, Schäfer? fragte der Wolf. Deines gleichen wenigſtens kenne ich: verſetzte der Schäfer. „Meines gleichen? Daran zweifle ich ſehr. Ich „bin ein ſo ſonderbarer Wolf, daß ich deiner, „und aller Schäfer Freundſchaft wohl werth bin.“ Und wie ſonderbar biſt du denn? „Ich könnte kein lebendiges Schaf würgen und „freſſen, und wenn es mir das Leben koſten ſollte. „Ich nähre mich blos mit todten Schafen. Iſt „das nicht löblich? Erlaube mir alſo immer, daß „ich mich dann und wann bey deiner Heerde einfin- „den, und nachfragen darf, ob dir nicht — Spare G 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/119
Zitationshilfe: Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/119>, abgerufen am 21.11.2024.