Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769].

Bild:
<< vorherige Seite
Hamburgische
Dramaturgie.


Eilftes Stück.





Die Erscheinung eines Geistes war in einem
französischen Trauerspiele eine so kühne
Neuheit, und der Dichter, der sie wag-
te, rechtfertiget sie mit so eignen Gründen, daß
es sich der Mühe lohnet, einen Augenblick da-
bey zu verweilen.

"Man schrie und schrieb von allen Seiten,
sagt der Herr von Voltaire, daß man an Ge-
spenster nicht mehr glaube, und daß die Erschei-
nung der Todten, in den Augen einer erleuchteten
Nation, nicht anders als kindisch seyn könne.
Wie?
versetzt er dagegen; das ganze Alterthum
hätte diese Wunder geglaubt, und es sollte
nicht vergönnt seyn, sich nach dem Alterthume
zu richten? Wie? unsere Religion hätte der-
gleichen ausserordentliche Fügungen der Vorsicht
geheiliget, und es sollte lächerlich seyn, sie zu
erneuern?"

Diese
L
Hamburgiſche
Dramaturgie.


Eilftes Stuͤck.





Die Erſcheinung eines Geiſtes war in einem
franzoͤſiſchen Trauerſpiele eine ſo kuͤhne
Neuheit, und der Dichter, der ſie wag-
te, rechtfertiget ſie mit ſo eignen Gruͤnden, daß
es ſich der Muͤhe lohnet, einen Augenblick da-
bey zu verweilen.

„Man ſchrie und ſchrieb von allen Seiten,
ſagt der Herr von Voltaire, daß man an Ge-
ſpenſter nicht mehr glaube, und daß die Erſchei-
nung der Todten, in den Augen einer erleuchteten
Nation, nicht anders als kindiſch ſeyn koͤnne.
Wie?
verſetzt er dagegen; das ganze Alterthum
haͤtte dieſe Wunder geglaubt, und es ſollte
nicht vergoͤnnt ſeyn, ſich nach dem Alterthume
zu richten? Wie? unſere Religion haͤtte der-
gleichen auſſerordentliche Fuͤgungen der Vorſicht
geheiliget, und es ſollte laͤcherlich ſeyn, ſie zu
erneuern?„

Dieſe
L
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0095" n="[81]"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Hamburgi&#x017F;che<lb/><hi rendition="#g">Dramaturgie.</hi><lb/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
Eilftes Stu&#x0364;ck.</hi> </head><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <dateline> <hi rendition="#c">Den 5ten Junius, 1767.</hi> </dateline><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <p><hi rendition="#in">D</hi>ie Er&#x017F;cheinung eines Gei&#x017F;tes war in einem<lb/>
franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen Trauer&#x017F;piele eine &#x017F;o ku&#x0364;hne<lb/>
Neuheit, und der Dichter, der &#x017F;ie wag-<lb/>
te, rechtfertiget &#x017F;ie mit &#x017F;o eignen Gru&#x0364;nden, daß<lb/>
es &#x017F;ich der Mu&#x0364;he lohnet, einen Augenblick da-<lb/>
bey zu verweilen.</p><lb/>
        <p><cit><quote>&#x201E;Man &#x017F;chrie und &#x017F;chrieb von allen Seiten,</quote></cit><lb/>
&#x017F;agt der Herr von Voltaire, <cit><quote>daß man an Ge-<lb/>
&#x017F;pen&#x017F;ter nicht mehr glaube, und daß die Er&#x017F;chei-<lb/>
nung der Todten, in den Augen einer erleuchteten<lb/>
Nation, nicht anders als kindi&#x017F;ch &#x017F;eyn ko&#x0364;nne.<lb/>
Wie?</quote></cit> ver&#x017F;etzt er dagegen; <cit><quote>das ganze Alterthum<lb/>
ha&#x0364;tte die&#x017F;e Wunder geglaubt, und es &#x017F;ollte<lb/>
nicht vergo&#x0364;nnt &#x017F;eyn, &#x017F;ich nach dem Alterthume<lb/>
zu richten? Wie? un&#x017F;ere Religion ha&#x0364;tte der-<lb/>
gleichen au&#x017F;&#x017F;erordentliche Fu&#x0364;gungen der Vor&#x017F;icht<lb/>
geheiliget, und es &#x017F;ollte la&#x0364;cherlich &#x017F;eyn, &#x017F;ie zu<lb/>
erneuern?&#x201E;</quote></cit></p><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">L</fw>
        <fw place="bottom" type="catch">Die&#x017F;e</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[81]/0095] Hamburgiſche Dramaturgie. Eilftes Stuͤck. Den 5ten Junius, 1767. Die Erſcheinung eines Geiſtes war in einem franzoͤſiſchen Trauerſpiele eine ſo kuͤhne Neuheit, und der Dichter, der ſie wag- te, rechtfertiget ſie mit ſo eignen Gruͤnden, daß es ſich der Muͤhe lohnet, einen Augenblick da- bey zu verweilen. „Man ſchrie und ſchrieb von allen Seiten, ſagt der Herr von Voltaire, daß man an Ge- ſpenſter nicht mehr glaube, und daß die Erſchei- nung der Todten, in den Augen einer erleuchteten Nation, nicht anders als kindiſch ſeyn koͤnne. Wie? verſetzt er dagegen; das ganze Alterthum haͤtte dieſe Wunder geglaubt, und es ſollte nicht vergoͤnnt ſeyn, ſich nach dem Alterthume zu richten? Wie? unſere Religion haͤtte der- gleichen auſſerordentliche Fuͤgungen der Vorſicht geheiliget, und es ſollte laͤcherlich ſeyn, ſie zu erneuern?„ Dieſe L

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/95
Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. [81]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/95>, abgerufen am 23.11.2024.