Ihr Freunde, denen hier das mannichfache Spiel Des Menschen, in der Kunst der Nachahmung gefiel: Ihr, die ihr gerne weint, ihr weichen, bessern Seelen, Wie schön, wie edel ist die Lust, sich so zu quälen; Wenn bald die süße Thrän', indem das Herz er- weicht, In Zärtlichkeit zerschmilzt, still von den Wangen schleicht, Bald die bestürmte Seel', in jeder Nerv' erschüttert, Im Leiden Wollust fühlt, und mit Vergnügen zittert! O sagt, ist diese Kunst, die so Eur Herz zerschmelzt, Der Leidenschaften Strom so durch Eur Inners wälzt, Vergnügend, wenn sie rührt, entzückend, wenn sie schrecket, Zu Mitleid, Menschenlieb', und Edelmuth erwecket, Die Sittenbilderinn, die jede Tugend lehrt, Ist die nicht Eurer Gunst, und Eurer Pflege werth?
Die Fürsicht sendet sie mitleidig auf die Erde, Zum Besten des Barbars, damit er menschlich werde; Weiht sie, die Lehrerin der Könige zu seyn, Mit Würde, mit Genie, mit Feur vom Himmel ein;
Heißt
Prolog. (Geſprochen von Madame Loͤwen.)
Ihr Freunde, denen hier das mannichfache Spiel Des Menſchen, in der Kunſt der Nachahmung gefiel: Ihr, die ihr gerne weint, ihr weichen, beſſern Seelen, Wie ſchoͤn, wie edel iſt die Luſt, ſich ſo zu quaͤlen; Wenn bald die ſuͤße Thraͤn’, indem das Herz er- weicht, In Zaͤrtlichkeit zerſchmilzt, ſtill von den Wangen ſchleicht, Bald die beſtuͤrmte Seel’, in jeder Nerv’ erſchuͤttert, Im Leiden Wolluſt fuͤhlt, und mit Vergnuͤgen zittert! O ſagt, iſt dieſe Kunſt, die ſo Eur Herz zerſchmelzt, Der Leidenſchaften Strom ſo durch Eur Inners waͤlzt, Vergnuͤgend, wenn ſie ruͤhrt, entzuͤckend, wenn ſie ſchrecket, Zu Mitleid, Menſchenlieb’, und Edelmuth erwecket, Die Sittenbilderinn, die jede Tugend lehrt, Iſt die nicht Eurer Gunſt, und Eurer Pflege werth?
Die Fuͤrſicht ſendet ſie mitleidig auf die Erde, Zum Beſten des Barbars, damit er menſchlich werde; Weiht ſie, die Lehrerin der Koͤnige zu ſeyn, Mit Wuͤrde, mit Genie, mit Feur vom Himmel ein;
Heißt
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0056"n="42"/><divn="2"><head><hirendition="#b"><hirendition="#g">Prolog.</hi><lb/>
(Geſprochen von Madame Loͤwen.)</hi></head><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p><hirendition="#in">I</hi>hr Freunde, denen hier das mannichfache Spiel<lb/>
Des Menſchen, in der Kunſt der Nachahmung<lb/><hirendition="#et">gefiel:</hi><lb/>
Ihr, die ihr gerne weint, ihr weichen, beſſern<lb/><hirendition="#et">Seelen,</hi><lb/>
Wie ſchoͤn, wie edel iſt die Luſt, ſich ſo zu quaͤlen;<lb/>
Wenn bald die ſuͤße Thraͤn’, indem das Herz er-<lb/><hirendition="#et">weicht,</hi><lb/>
In Zaͤrtlichkeit zerſchmilzt, ſtill von den Wangen<lb/><hirendition="#et">ſchleicht,</hi><lb/>
Bald die beſtuͤrmte Seel’, in jeder Nerv’ erſchuͤttert,<lb/>
Im Leiden Wolluſt fuͤhlt, und mit Vergnuͤgen zittert!<lb/>
O ſagt, iſt dieſe Kunſt, die ſo Eur Herz zerſchmelzt,<lb/>
Der Leidenſchaften Strom ſo durch Eur Inners waͤlzt,<lb/>
Vergnuͤgend, wenn ſie ruͤhrt, entzuͤckend, wenn ſie<lb/><hirendition="#et">ſchrecket,</hi><lb/>
Zu Mitleid, Menſchenlieb’, und Edelmuth erwecket,<lb/>
Die Sittenbilderinn, die jede Tugend lehrt,<lb/>
Iſt die nicht Eurer Gunſt, und Eurer Pflege werth?</p><lb/><p>Die Fuͤrſicht ſendet ſie mitleidig auf die Erde,<lb/>
Zum Beſten des Barbars, damit er menſchlich werde;<lb/>
Weiht ſie, die Lehrerin der Koͤnige zu ſeyn,<lb/>
Mit Wuͤrde, mit Genie, mit Feur vom Himmel ein;<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Heißt</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[42/0056]
Prolog.
(Geſprochen von Madame Loͤwen.)
Ihr Freunde, denen hier das mannichfache Spiel
Des Menſchen, in der Kunſt der Nachahmung
gefiel:
Ihr, die ihr gerne weint, ihr weichen, beſſern
Seelen,
Wie ſchoͤn, wie edel iſt die Luſt, ſich ſo zu quaͤlen;
Wenn bald die ſuͤße Thraͤn’, indem das Herz er-
weicht,
In Zaͤrtlichkeit zerſchmilzt, ſtill von den Wangen
ſchleicht,
Bald die beſtuͤrmte Seel’, in jeder Nerv’ erſchuͤttert,
Im Leiden Wolluſt fuͤhlt, und mit Vergnuͤgen zittert!
O ſagt, iſt dieſe Kunſt, die ſo Eur Herz zerſchmelzt,
Der Leidenſchaften Strom ſo durch Eur Inners waͤlzt,
Vergnuͤgend, wenn ſie ruͤhrt, entzuͤckend, wenn ſie
ſchrecket,
Zu Mitleid, Menſchenlieb’, und Edelmuth erwecket,
Die Sittenbilderinn, die jede Tugend lehrt,
Iſt die nicht Eurer Gunſt, und Eurer Pflege werth?
Die Fuͤrſicht ſendet ſie mitleidig auf die Erde,
Zum Beſten des Barbars, damit er menſchlich werde;
Weiht ſie, die Lehrerin der Koͤnige zu ſeyn,
Mit Wuͤrde, mit Genie, mit Feur vom Himmel ein;
Heißt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/56>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.